Kommunalwahlkampf: Sechs Tote und eine Verschwörungstheorie

Selbst Elon Musk beteiligt sich an wilden Theorien im NRW-Kommunalwahlkampf

Alice Weidel beteiligt sich an Verschwörungserzählungen um die Todesfälle von AfD-Kommunalkandidaten in NRW.
Alice Weidel beteiligt sich an Verschwörungserzählungen um die Todesfälle von AfD-Kommunalkandidaten in NRW.

Am Sonntagabend postete die AfD-Vorsitzende Alice Weidel auf X nur einen Satz: »Vier AfD-Kandidaten gestorben«. Darunter verwies sie auf einen Post des Corona-Leugners Stefan Homburg, der die Todesfälle von vier AfD-Kandidaten für die nordrhein-westfälische Kommunalwahl am übernächsten Wochenende als »statistisch fast unmöglich« bezeichnete. Homburgs Posting wurde über 3000 Mal geteilt. X-Besitzer Elon Musk versah den Beitrag in einem Kommentar mit zwei Ausrufezeichen.

Erst mal aber zurück zu den AfD-Kandidaten. In Blomberg, Bad Lippspringe, Schwerte und Rheinberg sind seit Mitte August Kandidaten der AfD für die jeweiligen Kommunalparlamente gestorben. Die AfD-Lokalpolitiker waren zwischen 59 und 71 Jahren alt. Am Dienstagabend wurde bekannt, dass zwei weitere AfD-Kommunalpolitiker aus dem Bergischen verstorben sind, allerdings schon im Mai und im Juli. Einer der beiden hatte eine Lebervorerkrankung und starb an Nierenversagen, der andere beging Suizid. Über alle verstorbenen AfD-Politiker sagen die jeweiligen Kreispolizeibehörden, dass es keine Hinweise auf ein Fremdverschulden gebe.

Auch die Aussage von Stefan Homburger, dass die Zahl der verstorbenen AfD-Lokalpolitiker statistisch fast unmöglich sei, stimmt so nicht. Bei den Kommunalwahlen werden rund 20 000 Mandate vergeben. »Solche Todesfälle von Bewerberinnen und Bewerbern bei den Kommunalwahlen ereignen sich – unabhängig von Partei- oder Wählergruppenzugehörigkeit – bedauerlicherweise bei allen Wahlen, und daher auch bei den anstehenden Kommunalwahlen. Aktuell betrifft das neben der AfD unter anderem auch die Tierschutzpartei, die FDP und die Freien Wähler«, erklärt ein Sprecher der Landeswahlleiterin. Insgesamt sind zwölf Kandidat*innen für die anstehenden Wahlen gestorben.

Für die jeweiligen Städte ist das eine Herausforderung. In Blomberg etwa, wo ein AfD-Kandidat gestorben ist, hat der Kreis Lippe der Partei gestattet, einen neuen Kandidaten aufzustellen. Die für den betreffenden Bezirk ausgestellten Wahlscheine und schon verschickte Briefwahlunterlagen verlieren allerdings ihre Gültigkeit. Das alles muss nur neu gedruckt und verschickt werden. Die Wahl im betroffenen Bezirk gilt juristisch als Nachwahl.

Die AfD Nordrhein-Westfalen gibt sich betont sachlich. Sie erklärt zwar, die Todesfälle untersuchen zu wollen, dass man zum derzeitigen Zeitpunkt aber von »tragischen Einzelfällen« ausgehe. Wirklich mysteriös sei keiner der Todesfälle, so ein Vorstandssprecher zum extrem rechten Portal »Nius«.

Offiziell kann sich die AfD problemlos sachlich geben. Verschwörungserzählungen um die Todesfälle verbreiten sich auch ohne passende Zitate von Funktionär*innen. Dafür sorgt ein internationaler, rechter Online-Mob. So verfasste und teilte etwa der britische Ex-Hooligan Tommy Robinson mehrere Beiträge zum Thema. In einem ist davon die Rede, AfD-Politiker würden in »beispielloser Geschwindigkeit« ermordet. In anderen wird von Geheimdiensttaten fabuliert. Kommentare in den Netzwerken fordern Donald Trump dazu auf, Obduktionen der Verstorbenen zu verlangen.

Die AfD profitiert von solchen Erzählungen, so unrealistisch sie auch sein mögen. Die Partei begibt sich gerne und regelmäßig in die Opferrolle. Die Geschichten von der bösen Antifa, die den Wahlkampf sabotiert, haben sich abgenutzt. »Mysteriöse Todesfälle« und das Geraune von statistischen Unmöglichkeiten heben die Opfer- und Oppositionserzählung der Partei auf ein neues Level. Die Wahl der AfD wird so zum mutigen Widerstandsakt. Das gefällt ihr und ihrem Umfeld.

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