Gipfel der inhaltslosen Versprechen

Die »Koalition der Willigen« will Truppen in die Ukraine entsenden. Vielleicht. Und wann auch immer

Mit Wolodymyr Selenskyj im Schlepptau sprach Emmanuel Macron von einer breiten Koalition für die Friedenssicherung in der Ukraine. Konkrete Aussagen blieb Frankreichs Staatschef schuldig.
Mit Wolodymyr Selenskyj im Schlepptau sprach Emmanuel Macron von einer breiten Koalition für die Friedenssicherung in der Ukraine. Konkrete Aussagen blieb Frankreichs Staatschef schuldig.

Mehr als 30 Staaten, große Erklärungen und wenig Inhalt. Beim Treffen der »Koalition der Willigen« in Paris haben die westlichen Ukraine-Unterstützer erneut über Sicherheitsgarantien für das Land beraten. Dabei ging es fast ausschließlich ums Militär. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte im Vorfeld erklärt, eine starke ukrainische Armee müsse zentrales Element künftiger Sicherheitsgarantien für sein Land sein.

Nach dem Treffen teilten der französische Gastgeber Emmanuel Macron und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit, dass 26 westliche Länder bereits seien, Truppen zur Absicherung eines Waffenstillstands oder Friedens zwischen Russland und der Ukraine zu entsenden. Die Länder hätten sich bereiterklärt, Bodentruppen, Kräfte in der Luft oder auf See dafür einzusetzen, sagte von der Leyen. Welche Länder sich beteiligen wollen und wie, sagte die Kommissionspräsidentin nicht.

Nur halbherzige Zusagen zum Ukraine-Einsatz

Zuletzt hatten immer mehr Staaten erklärt, keine Soldaten in die Ukraine schicken zu wollen, zuletzt am Freitag Japan. Und bei den Staaten, die sich bereit erklären, ist die Risikobereitschaft gering. Nato-Neuling Schweden sprach beispielsweise von Schiffen, um das Meer zu überwachen.

Auch Deutschland, das zumindest rhetorisch gerne scharf schießt, druckst auffällig rum. Bundeskanzler Friedrich Merz wollte sich noch nicht auf eine Beteiligung festlegen. Zunächst müssten Finanzierung, Bewaffnung und Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte im Mittelpunkt stehen, sagte er nach Angaben seines Regierungssprechers.

Es bleibt also alles beim Alten, großspurigen Vorankündigungen folgen unkonkrete und inhaltsleere Erklärungen. In Paris habe sich die »Koalition der wolkigen Ankündigungen« getroffen, fasst der »Spiegel« äußerst treffend zusammen. Und eine Koalition, die in Teilen die Realität verkennt.

Ausländische Truppen

Denn Russland wird, so viel ist klar, Nato-Truppen in der Ukraine nicht akzeptieren. Am Freitag bekräftigte Putin beim Wirtschaftsforum in Wladiwostok erneut seinen Standpunkt und bezeichnete Nato-Truppen als legitimes Angriffsziel. Nach einem Friedensschluss habe »ihre Anwesenheit überhaupt keinen Sinn«, so Putin weiter.

Als mögliche Lösung verhandle die EU mit den USA über die Entsendung von Soldaten aus Nicht-Nato-Ländern, berichtet der US-Sender NBC. Danach könnten die USA mit Drohnen und Satelliten die Überwachung einer nicht näher definierten demilitarisierten Zone übernehmen. Am Boden sollen Soldaten etwa aus Bangladesch und Saudi-Arabien zum Einsatz kommen. Die Ukraine könnte zusätzlich bilaterale Abkommen mit ihren Verbündeten schließen. Die Türkei würde die Sicherheit der Schifffahrt im Schwarzen Meer absichern. Der Plan sei nach dem Trump-Putin-Treffen in Alaska ausgearbeitet worden, schreibt NBC.

Trump will Beziehungen zu Moskau nicht verschärfen

Der Plan lässt jedoch viele Fragen offen, etwa was geschieht, sollte Russland die Ukraine oder die ausländischen Truppen angreifen. Trump selbst halte sich bezüglich dieser Lösung bedeckt, heißt es. Der US-Präsident scheint nicht zu scharfen Maßnahmen bereit zu sein und sich auf die Rolle des Beobachters beschränken zu wollen. So kann er später immer noch agieren und reagieren und gleichzeitig die Regierung in Kiew an der kurzen Leine halten.

Dazu passt, dass Trump laut NBC seinen Beratern gesagt haben soll, er sei »fest entschlossen«, die Beziehungen zu Russland nicht zu beschädigen. Auf diese Weise hält er sich als Vermittler im Spiel, eine Rolle, die die Europäer überhaupt nicht ausfüllen können. Allerdings scheint sich Trump nach US-Angaben bewusst zu sein, dass ein Treffen zwischen Putin und Selenskyj in absehbarer Zeit illusorisch ist. Er blicke pessimistisch auf die Möglichkeit, in naher Zukunft zwischen den beiden Präsidenten vermitteln zu können, heißt es.

Die Mär vom persönlichen Treffen zwischen Selenskyj und Putin

Seit Monaten spukt ein mögliches Treffen zwischen Selenskyj und Putin durch die Forderungen der Ukraine. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit zündet der ukrainische Präsident diese politische Nebelkerze, wohlwissend, dass der Kreml darauf nicht eingehen wird. Doch Selenskyj braucht dieses Manöver, um sich selbst, den Ukrainer und seinen westlichen Partnern vorzugaukeln, er habe irgendwelche Zügel in der Hand.

Und Moskau spielt das Spiel mit, tut immer wieder so, als sei man prinzipiell bereit, wenn denn die Vorbedingungen stimmen. Das tun sie natürlich niemals. Und zwischendurch gibt es auch aus dem Kreml eine Nebelkerze. Beim Wirtschaftsforum in Wladiwostok lud Putin Selenskyj nach Moskau zum Verhandeln ein und versprach »100 Prozent Sicherheitsgarantien« (sic!).

Niemand hat eine Idee für einen Frieden

Dass es in absehbarer Zukunft kein Treffen zwischen Putin und Selenskyj geben wird, ist eine sicherere Wette. Zumal, und das wurde bereits vor Wochen beanstandet, überhaupt nicht klar ist, worüber die beiden reden sollen. Und ohne Vorbereitung finden Treffen von Staatschef (die sich gegenseitig nicht einmal anerkennen) sowieso nicht statt, mussten selbst westliche Diplomaten einräumen.

Auch eine Friedenstruppe, selbst wenn sie nicht so genannt werden will, braucht Vorbereitung. Und eine Vorbedingung, nämlich dass die Waffen schweigen. Und hier ist der Haken für alle wolkigen Ankündigungen der Koalition. Abgesehen davon, dass in Moskau niemand bereit zu sein scheint, die Invasion zu beenden, kommt auch aus Europa keinerlei Vorschlag, wie ein Waffenstillstand erreicht werden soll. Nicht ein einziger. Statt zu überlegen, zieht man sich auf die bequeme Position zurück, dass Russland ja nicht will. Und solange muss man sich über Friedenssicherung keine Gedanken machen.

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