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Im Blindflug nach Neuhardenberg
Flugplatz will statellitengestütztes System – aber nicht, um Ausweichstelle für den BER zu werden
Verspätete Passagiermaschinen, die wegen des Nachtflugverbots am Großflughafen BER in Schönefeld nicht mehr landen dürfen, müssen anderswo aufsetzen, zum Beispiel weit weg von Berlin bei Hannover. Brandenburgs Infrastrukturminister Detlef Tabbert (BSW) hat nun laut nachgedacht. Die Idee der Industrie- und Handelskammer, den Flugplatz Neuhardenberg als Ausweichstelle für den BER zu nutzen, nehme er gern auf und lasse sie prüfen. »Die Perspektive, Neuhardenberg für größere Flugzeuge zu öffnen, ist in vielfacher Hinsicht interessant«, zitiert die Nachrichtenagentur dpa den Minister.
In Neuhardenberg gibt es einen ehemaligen Militärflugplatz mit einer 2400 Meter langen Start- und Landebahn, auf der sogar ein großer Airbus vom Typ A320 aufsetzen und abheben könnte. Einst waren in Neuhardenberg, das damals Marxwalde hieß, die DDR-Regierungsstaffel und außerdem Jagdflieger der NVA stationiert, darunter als junger Fliegeroffizier auch der spätere Kosmonaut Sigmund Jähn, der 1978 mit einem sowjetischen Raumschiff als erster Deutscher ins Weltall startete.
Die Idee, die Möglichkeiten der langen Start- und Landebahn wieder für mehr zu nutzen als für ein paar Sport- und Segelflieger, ist nicht neu. Vor 20 Jahren hatte die irische Billigfluggesellschaft Ryanair Interesse, ihre damals zwei Maschinen von Schönefeld nach Neuhardenberg zu verlegen und die Flotte an diesem neuen Standort zu verstärken. Doch daraus wurde nichts. Denn Berlin und Brandenburg wollten den Flugverkehr von großen Passagiermaschinen am neuen Hauptstadtflughafen BER konzentrieren und keine Abweichungen davon zulassen. Auch mit dem Ansinnen, zum Flughafen Eberswalde-Finow zu gehen, blitzte Ryanair deshalb ab.
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Aber nachts? Ginge da etwas? Angesichts des strengen Nachtflugverbots von 0 bis 5 Uhr in Schönefeld begrüßt der BER alle Bemühungen, den Fluggesellschaften und den Passagieren Kosten und lange Umwege zu ersparen.
Die Grünen sind alarmiert. »Wenn im Oderbruch Passagierflugzeuge über die Dächer dröhnen, ist das schon ein riesiger Einschnitt in die Lebenswelten der Menschen vor Ort, die da leben, weil sie eben genau das nicht wollen. Sie wollen ihre Ruhe«, erklärt Juliane Roschitz, Vorsitzende der Grünen im Landkreis Märkisch-Oderland, wo sich Neuhardenberg befindet. Der Landeplatz liege außerdem in einer ökologisch sensiblen Region. »Eine Ausweitung des Flugbetriebs hätte gravierende Folgen für die Tierwelt.« Davon abgesehen: Der nächste Bahnhof sei mehrere Kilometer entfernt und Busse fahren, wenn überhaupt, nur wenige Male am Tag. Wer nach Neuhardenberg wolle, sei auf sein Auto angewiesen. »Für ein Projekt, das viele Millionen verschlingen soll, ist eine solche Anbindung ein schlechter Witz«, meint Roschitz.
Die Bundestagsabgeordnete Andrea Lübcke (Grüne) springt ihrer Parteifreundin bei und fordert: »Anstatt Flugbewegungen zu verlagern, sollte der Fokus auf der Reduzierung des klimaschädlichen Flugverkehrs und einer nachhaltigen Verkehrspolitik liegen.«
Doch Uwe Hädicke winkt ab. Er ist Geschäftsführer der Airport Berlin-Neuhardenberg GmbH und sagt »nd« am Montag: »Nachtflüge mit dem Ziel BER in Neuhardenberg landen zu lassen, ist ein interessanter Gedanke und nachvollziehbar, in der Realität aber aufgrund der bestehenden landesplanerischen Voraussetzungen derzeit nicht sehr wahrscheinlich und daher nicht unser Geschäftsmodell.«
Aus einem anderen Grund bemühe sich der Airport Neuhardenberg jetzt um die Zulassung eines satellitengestützten An- und Abflugs. Es gehe darum, dass sich eine südeuropäische Firma ansiedeln wolle, die Flugzeuge wartet. Das kann sie nach Darstellung von Hädicke ohne Umstände tun. Die vielleicht zwei Maschinen pro Woche, die dann kommen würden, dürften in Neuhardenberg landen – allerdings nicht bei jedem Wetter, weil der Flugplatz ohne das satellitengestützte System auf Sicht angeflogen werden muss. Darum begehre der Airport die Zulassung dieses Systems – übrigens ganz grundsätzlich bereits seit 15 Jahren. »Das brauchen wir. Sonst können wir schließen.« Es sei noch ein zweiter Investor in Sicht: Ein Bio-Pharmaunternehmen, das Cannabis für medizinische Zwecke verarbeite. Dieses Unternehmen wolle einen verlässlichen, wetterunabhängigen Lufttransport.
Die Wartungsfirma wolle mit 120 Arbeitsplätzen starten, die Bio-Pharmafirma mit 80 Beschäftigten. Wenn solche Dimensionen als wenig erheblich hingestellt werden, so ärgert das Hädicke. Denn für Neuhardenberg und die Region seien 200 Jobs eine Hausnummer. Der Flughafen selbst zählt darüber hinaus 20 Beschäftigte.
Bereits 2007, als es um den erhofften Umzug von Ryanair nach Neuhardenberg ging, hatte der damalige Bürgermeister Mario Eska (Linke) erklärt, im Ort sei Fluglärm wegen der damit verbundenen Jobs geradezu erwünscht. Eska selbst war seinerzeit arbeitslos und nur ehrenamtlicher Bürgermeister. In der Kommunalpolitik ist Eska nach wie vor aktiv. Er ist stellvertretender Linksfraktionschef in der Gemeindevertretung.
Auch Airportchef Uwe Hädicke ist kommunalpolitisch engagiert, als Stadtverordneter der Linken in Seelow. Er versichert für die Airport Berlin-Neuhardenberg GmbH: »Wir zielen ausdrücklich nicht auf finanzielle Mittel des Steuerzahlers ab – weder in der Vergangenheit, noch in der Zukunft.«
Die Grünen hatten gewarnt, es würden für wenige Flüge hunderte Millionen Euro an Steuergeldern versenkt. Die Kosten pro Flug und pro Passagier stünden in keinem Verhältnis, es wäre ein Paradebeispiel für die Verschwendung öffentlicher Mittel. »Flughäfen haben sich in der Vergangenheit viel zu oft als teure Milliardengräber erwiesen.«
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