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Langjähriger Spitzel in linken Bewegungen enttarnt
Er soll auch in Deutschland Informationen für Polizei gesammelt haben
Mindestens drei Jahre lang soll sich ein Spitzel in Frankreich in verschiedenen linksradikalen Zusammenhängen bewegt haben. So schreiben es Aktivist*innen in einem detaillierten Dossier, das nach einer Auswertung des Handys des jungen Mannes erstellt wurde. Er soll demnach unter verschiedenen Decknamen wie »Momo«, »molo« oder »zer0« in großem Umfang sensible Informationen an Polizeibeamt*innen übergeben haben. Er soll im November 2001 geboren sein, seine Staatsangehörigkeit wird nicht genannt, er verfüge aber über einen unsicheren Aufenthaltsstatus.
Offenbar handelte es sich bei seinen Auftraggebern um die Polizei – einen Beleg dafür gibt es aber nicht. Im Titel des Dossiers wird auch der französische Inlandsgeheimdienst erwähnt, der dem Innenministerium untersteht. In Frankreich gibt es kein Trennungsgebot von Polizei und Diensten, diese kooperieren viel enger als etwa in Deutschland.
Mutmaßlich handelt es sich bei dem Mann nicht um einen Behördenmitarbeiter, sondern um einen Informanten, der selbst aus linken Bewegungen kommt. Seine Berichte umfassten operative politische Planungen sowie persönliche Daten wie Aufenthaltsstatus, Nationalitäten und private Lebensumstände von Aktivist*innen. Dazu markierte er die Informationen unter anderem mit Fahnen für LGBTQI oder der Türkei.
In dem Dossier wird vermutet, dass »Momo« nach einer Festnahme unter Druck gesetzt wurde und sich zu einer Zusammenarbeit entschloss. Ihm seien Videobeweise von ihm begangener Straftaten vorgelegt worden. Dann sei gedroht worden, ihn ins Gefängnis oder sogar in Abschiebehaft zu stecken. Im Gegenzug für seine Kooperation soll ihm nicht nur eine Aufenthaltserlaubnis, sondern auch Bargeld, Zahlungen für Miete, Zugtickets, Medikamente und Ausbildung zugesagt worden sein.
Neben seiner intensiven Überwachungstätigkeit in Frankreich – insbesondere in Paris, dem Anti-Atom-Protestort Bure und bei den Aufständen der »Soulèvements de la Terre« – war der Informant auch in Deutschland unterwegs. So soll er vor wenigen Wochen beim »Anarchist Barrio« des Camps von »Rheinmetall entwaffnen!« in Köln gewesen sein. Auch über ein für die dritte Septemberwoche geplantes Camp gegen die Rüstungsfirma Elbit im schwäbischen Ulm hat er offenbar seine Führung informiert. Auch von einem Einsatz in Belgien wird in dem Dossier berichtet. Demnach reichte er auch Angaben zu Aktivist*innen aus Berlin und Athen weiter.
»Er tauchte unregelmäßig bei Treffen auf, übernahm keine Verantwortung, war aber bei Aktionen immer vorne mit dabei«, heißt es weiter. Vor der Enttarnung des Spitzels soll es konkrete Verdachtsmomente anderer Aktivist*innen gegeben haben. Daraufhin sei er den Angaben zufolge observiert und zur Rede gestellt worden. »Bei diesem Treffen war es möglich, sein Telefon einzusehen«, wird in dem Dossier formuliert – es bleibt offen, ob »Momo« das Gerät freiwillig herausgab. Darauf hätten sich Chatverläufe mit fünf verschiedenen Polizeibeamt*innen befunden, die bis März 2022 zurückreichten. Anschließend habe er »sehr schnell gestanden«.
Die enthüllten Chatverläufe zeigen laut dem Outing ein engmaschiges Überwachungsnetzwerk – einige Nachrichten sind in dem Dossier auch als Screenshots veröffentlicht. Treffen mit Beamt*innen fanden demnach teilweise im Zwei-Tages-Rhythmus statt, vor und nach größeren Aktionen täglich. Die Kommunikation lief über die Messengerdienste Telegram und Whatsapp, der Hauptchat trug den Titel »Amigo«. Fragen der Beamt*innen richteten sich nach geplanten Aktionen und vermeintlichen Rädelsführern, darunter zum 1. Mai 2025 in Paris und bei Protesten gegen den jährlichen Naziaufmarsch am 9. Mai in der Hauptstadt.
Das Outing aus Frankreich erinnert an den deutschen LKA-Beamten Simon Bromma, die unter Decknamen agierende »Danielle Durand« aus Österreich sowie den britischen Polizisten Mark Kennedy, die in den Zehnerjahren auch im jeweiligen Ausland linke Bewegungen infiltierten. Als Polizeibeamt*innen benötigten sie für Grenzübertritt und jede anschließende Maßnahme im fremden Hoheitsgebiet eine Genehmigung des betreffenden Staates. Für Informant*innen von Polizei oder Geheimdiensten sind diese Regelungen jedoch laxer – sie brauchen etwa in Deutschland für das Betreten einer Wohnung keine Erlaubnis.
»Der Einsatz von Spitzeln in unseren Bewegungen ist leider alltäglich geworden«, heißt es in dem Dossier aus Frankreich. Es endet mit einem klaren Statement: »Kraft uns, Feuer den Spitzeln!«
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