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Mexiko: Bewegung im Fall der fünf Gefangenen von Cancuc
Mexikos Justiz ist nach einer Stellungnahme der UN zum Handeln aufgefordert
San Cristóbal de las Casas. In Mexiko kommt Bewegung in den Fall der Fünf von Cancuc: Seit über drei Jahren sitzen fünf indigene Männer aus San Juan Cancuc, das im Zentrum des Bundesstaats Chiapas liegt, im Gefängnis. Es handelt sich um die Tzeltal Manuel Sántiz Cruz, Agustín Pérez Domínguez, Juan Velasco Aguilar, Martín Pérez Domínguez und Agustín Pérez Velasco. Allesamt sind sie Gegner eines Megaprojektes durch indigenes Territorium – der Autobahn San Cristóbal nach Palenque im Süden Mexikos, deren Bau ohne Konsultation mit den Anwohner*innen beschlossen wurde. Die Arbeiten haben am 8. Juni 2024 begonnen, begleitet von Protesten indigener Gruppen, die ihre Lebensweise bedroht sehen.
Die Fünf von Cancuc wurden 2022 nach dem Tod eines kommunalen Polizisten festgenommen und später zu 25 Jahren Haft wegen Mordes verurteilt. Anwält*innen und Menschenrechtszentren kritisieren, dass das Urteil auf fehlerhaften und widersprüchlichen Beweisen basiert.
Verfahren voller Ungereimtheiten
Von Beginn an war der Fall von Rechtsverletzungen geprägt: Die Männer wurden ohne gültigen Haftbefehl aufgegriffen, waren teils stundenlang »verschwunden«, ohne Dolmetscher und ohne rechtliche Vertretung. Ermittlungsakten enthalten widersprüchliche Gutachten, fehlende Beweise und unklare Aussagen. Beobachter*innen sprechen von einem exemplarischen Fall der »Fabrik der Schuldigen« – dem Vorgehen der Justiz, durch systematische Nutzung von Folter Unschuldige dazu zu bringen, falsche Geständnisse zu unterschreiben. Allein im Bundesstaat Chiapas begleitet und dokumentiert das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas (Frayba) zurzeit über 50 Fälle von willkürlicher Verhaftung und Folter.
Nicht nur Menschenrechtsorganisationen sprechen im Fall der Fünf von Cancuc von einer willkürlichen Inhaftierung. Auch die UN Working Group on Arbitrary Detention (WGAD), eine Arbeitsgruppe zur Untersuchung mutmaßlich willkürlicher Verhaftungen, hat diesen Vorwurf inzwischen bestätigt und fordert von Mexiko die sofortige Freilassung der Betroffenen. In ihrer im Mai veröffentlichten Stellungnahme (Opinion Nr. 21/2025) kommt die WGAD zu einem eindeutigen Ergebnis: Die Festnahme sei willkürlich, die Verfahren seien unfair. Die WGAD fordert drei zentrale Schritte: Zuallererst die unverzügliche Freilassung und obendrein neben der Wiedergutmachung für erlittene Schäden auch eine unabhängige Untersuchung gegen die Verantwortlichen. Damit erhält die jahrelange Kampagne der Angehörigen und Unterstützer*innen neuen Rückenwind.
Familien zwischen Wut und Hoffnung
Die Angehörigen kämpfen seit Jahren um Gerechtigkeit – gemeinsam mit dem Menschenrechtszentrum Frayba und dem Anti-Knast Kollektiv »No Estamos Todxs« (Wir sind nicht alle). Sie berichten von zerstörten Existenzen, Armut und Stigmatisierung durch die Haft. Gleichzeitig betonen sie die Unschuld der Männer. In einem offenen Brief heißt es unter anderem: »Ihr einziges Verbrechen ist es, arm, indigen und – vor allem – Verteidiger der Erde und des Territoriums zu sein.«
Anfang September versammelten sich Angehörige, das Frayba und das Kollektiv »No Estamos Todxs« in der Hauptstadt von Chiapas, Tuxtla Gutiérrez, um den öffentlichen Druck auf die Justiz zu verstärken. Sie forderten nicht nur die sofortige Freilassung der fünf Tzeltal, sondern verwiesen explizit auf den Mangel an Dolmetscher*innen während des Verfahrens und die erzwungene Isolation der Gefangenen. Darüber hinaus wiesen die Redner*innen darauf hin, dass die Inhaftierten systematisch kriminalisiert und stigmatisiert wurden – was sich in den lokalen Medien und in der langen Haft ohne angemessene Anhörung widerspiegele. Abschließend appellierten sie an die mexikanischen Gerichte, die Stellungnahme der UN WGAD umzusetzen und den Fall als Richtlinie gegen strukturelle Diskriminierung indigener Bevölkerung zu nutzen.
Der Fall liegt nun vor höheren Gerichten in Chiapas. Die Anwält*innen der Fünf von Cancuc fordern, mit Verweis auf die Stellungnahme der UN-Arbeitsgruppe und auf die internationale Dimension deren sofortige Freilassung. nd
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