Tod Mutombos: Land Berlin in Verantwortung

Landesstelle gegen Diskriminierung spricht formelle Beanstandung gegen Berliner Polizei aus

Mutombo Mansamba, der Bruder von Kupa Ilunga Medard Mutombo, bei einer Pressekonferenz in der Beratungsstelle Reach Out 2022.
Mutombo Mansamba, der Bruder von Kupa Ilunga Medard Mutombo, bei einer Pressekonferenz in der Beratungsstelle Reach Out 2022.

Der Tod Kupa Ilunga Medard Mutombos sei vermeidbar gewesen, heißt es von der Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung und gegen Diskriminierung. Die dort angesiedelte Ombudsstelle hat am Montag eine formelle Beanstandung ausgesprochen und fordert die Berliner Polizei zur Abhilfe auf.

Die formelle Beanstandung ist das schärfste Instrument der Ombudsstelle. Damit sieht die Stelle, die 2020 für das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) geschaffen wurde, das Land Berlin in der Verantwortung für den Tod des aus dem Kongo zugezogenen Berliners.

Polizei und psychisch Erkrankte

Mutombo, ein schwarzer Mann, lebte laut Aussagen der LADG-Ombudsstelle zwei Jahrzehnte mit einer paranoiden Schizophrenie in einem betreuten Wohnheim für wohnungslose Personen in Spandau. Rechtlich galt er als Mensch mit Behinderung. Seine Muttersprache war Französisch, Deutsch sprach er nicht.

Am 14. September 2022 betraten mehrere Polizeibeamte und Rettungskräfte die Wohnung Mutombos. Anlass war, dass der Mann zeitweise in eine geschlossene psychiatrische Abteilung verlegt werden sollte. Der Zustand des psychisch Erkrankten hatte sich zuvor verschlechtert.

Elf Minuten vergingen zwischen dem Eintreffen von polizeilicher Verstärkung und der Bewusstlosigkeit Mutombos. Das entnimmt die Ombudsstelle den polizeilichen Protokollen, die ihr vorliegen. Demnach hätten die Polizeibeamten den Mann auf Deutsch erfolglos gebeten, mit ihm zu kommen. Laut Aussagen zweier Zeugen sei bei Mutombo eine Kniefixierung angewandt worden. Er verlor noch in seiner Wohnung das Bewusstsein, wurde reanimiert und in der Charité in ein künstliches Koma versetzt. Am 6. Oktober 2022 verstarb er in der Klinik an den Folgen eines Hirnschadens durch Sauerstoffmangel.

Diskriminierung in zwei Fällen

Medard Mutombos Bruder war laut Aussagen der Ombudsstelle der engste Angehörige. Am 12. Januar 2023 reichte er Beschwerde bei der Stelle ein. Er habe sich »Unterstützung bei der Aufklärung des Todes seines Bruders und eine grundlegende Veränderung der polizeilichen Praxis bei Maßnahmen gegenüber Menschen in psychischen Ausnahmesituationen in der Zukunft« erhofft, teilt die Ombudsstelle mit.

Diese sieht nach Prüfung des Falls zwei Verstöße gegen das Landesantidiskriminierungsgesetz. Zum einen wegen Diskriminierung durch Unterlassung und zum anderen durch aktives Tun. Dabei geht es der Stelle nicht darum, die individuelle Schuld von einzelnen Polizeibeamten, sondern die Verantwortung der Behörde festzustellen.

»Gleichbehandlung ist in dem Fall eine faktische Benachteiligung«, sagt Felix Haßelmann, juristischer Berater der LADG-Ombudsstelle. »Wir sprechen von einer Pflicht zur Berücksichtigung von Differenz«, so Haßelmann. Im Falle Mutombos fehlten nicht nur ein Dolmetscher und Fachpersonal für Menschen in psychischen Krisen. Es gab nicht einmal eine Einsatzplanung der Polizei. Erst vor Ort sollen die Beamten erfahren haben, dass Mutombo nur Französisch sprach.

Zudem hatten die Beamten keinen richterlichen Beschluss, die Wohnung Mutombos zu betreten. Der Mann habe weder für sich noch für andere eine Gefahr dargestellt. Er war wegen seiner Vorerkrankung sogar besonders schutzbedürftig. »Der Tod wäre mit Sicherheit ausgeblieben, wenn der Einsatz modifiziert oder abgebrochen worden wäre«, so Haßelmann.

Anerkennen, entschädigen, aufarbeiten

Die formelle Beanstandung hat die Ombusstelle nicht nur ausgesprochen, weil sie nach Prüfung des Falls Verstöße gegen das Landesantidiskriminierungsgesetz festgestellt hat, sondern auch, weil der Versuch einer »gütlichen Streitbeilegung erfolglos war«, teilt die Stelle mit. So habe es zwar konstruktive Gespräche zwischen der Senatsinnenverwaltung und der Ombusstelle gegeben. Zuletzt blieben jedoch Auskunftsersuche an die Verwaltung unbeantwortet.

Die Innenverwaltung sehe – anders als die Ombudsstelle – zudem das Bezirksamt Spandau verantwortlich für die Einsatzplanung zum Fall Mutombo. Auf Anfrage erklärte ein Sprecher der Innenverwaltung, dass eine Stellungnahme zum Tod Medard Mutombos »in Ermangelung der Erkenntnisse aus dem laufenden Ermittlungsverfahren nicht möglich« sei. Gegenüber dem Bruder Mutombos drückt man Mitleid aus. »Ich entschuldige mich daher aus tiefstem Herzen für den Tod seines Bruders, denn unbestritten bleibt, dass er im Kontext staatlichen Handelns zu Tode kam«, teilt ein Vertreter des Abteilungsleiters Thilo Cablitz für die Innenverwaltung mit.

Die Ombudsstelle fordert vom Land Berlin die Anerkennung der Verantwortung für den Tod von Medard Mutombo und eine Entschädigungszahlung von mindestens 45 000 Euro an den Bruder. Bisher kam das Land nur für die Kosten der Beerdigung auf. Außerdem soll die Verwaltung eine wissenschaftliche Studie zu polizeilichen Maßnahmen gegen Menschen in psychischen Ausnahmesituationen veranlassen und bestehende Konzepte für Einsätze evaluieren.

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