Knorr in Auerbach: Keine Scheu vor der Auseinandersetzung

Für die Rettung des Fertigsuppen-Werks in Auerbach (Vogtland) wurde dessen Betriebsrat vom DGB geehrt

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Werk von Unilever in Auerbach kommen Fertiggerichte der Marke »Knorr« in die Tüte
Im Werk von Unilever in Auerbach kommen Fertiggerichte der Marke »Knorr« in die Tüte

Bis zum »Geschmack von Italien« dauert es ganze fünf Minuten: Deckel öffnen, heißes Wasser aufgießen, kurz warten, loslöffeln. »Stock Pots« heißen nach dem englischen Wort für »Suppentopf« die Becher, die bei Kunden in ganz Europa den schnellen Hunger zwischendurch stillen sollen – und die im sächsischen Vogtland ein traditionsreiches Werk für Fertignahrung vor dem Aus bewahrt haben. »Das ist unsere Lebensversicherung«, sagt Mario Schädlich über eine zehn Millionen Euro teure Maschine, die dieser Tage installiert wird, am 6. November offiziell anlaufen und danach 30 Millionen Stock Pots pro Jahr produzieren soll. »Damit ist unsere Existenz gesichert.«

Anfang 2024 sah die Welt in Auerbach noch ganz anders aus. Damals verkündete der Unilever-Konzern die Streichung von 80 der 175 Stellen in dem Betrieb. Viele Mitarbeiter fürchteten, das sei der Anfang vom Ende, sagt Schädlich, Chef des Betriebsrates. Die Gewerkschaft NGG erklärte, die Zukunft des Standortes sei »unsicher«. Dessen Geschichte reicht weit zurück. Ab 1878 wurde auf dem Werksgelände zunächst Bier gebraut, dann Suppenwürze hergestellt. Später befand sich in Auerbach das Stammwerk des VEB »Suppina«, der die gesamte DDR mit Fertigsuppen versorgte. Seit 1989 wurden diese für die Marke »Knorr« gefertigt, zunächst unter dem Dach der Maizena-Unternehmensgruppe aus Heilbronn, einer Tochter des US-Konzerns CPC. Dessen Nahrungsmittelsparte wiederum wurde im Jahr 2000 in den britischen Unilever-Konzern integriert. Er pries das Werk Auerbach als »Europas modernste Instant-Suppen-Fabrik« – und stellte es doch zur Disposition. Von einem befürchteten »Sterben auf Raten« sprach Sachsens DGB.

Dass es dazu doch nicht kam, liegt nach Ansicht des Gewerkschafts-Dachverbands auch an einem widerspenstigen Betriebsrat, den der DGB deshalb mit dem sächsischen Mitbestimmungspreis 2025 ehrte. Die Arbeitnehmervertretung habe »mit Demonstrationen und starker politischer Unterstützung Druck gemacht, um Alternativen zum Beschäftigungsabbau zu finden«.

Einige Zeugnisse dafür finden sich in Schädlichs Büro, etwa ein Foto mit Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), das bei einer Kabinettssitzung im Vogtland entstand, kurz nach einem Protestmarsch der Belegschaft durch Auerbach. Der Betriebsrat drängte auch andere Politiker zur Unterstützung, verhandelte mit dem Management des Unternehmens, bat Kollegen um Hilfe, mit denen er im deutschen und europäischen Konzernbetriebsrat sitzt. »Man braucht die richtigen Ansprechpartner«, sagt Schädlich, »und man darf keine Scheu haben, die Auseinandersetzung zu suchen.«

»Man braucht die richtigen Ansprechpartner.«

Mario Schädlich Chef des Betriebsrats

Früchte trägt diese nicht immer. Beim einzigen ostdeutschen Werk von Haribo im 30 Autominuten entfernten Wilkau-Haßlau blieb der Eigentümer 2020 trotz massiver Proteste stur. Bei Unilever zeigte man sich gesprächsbereit, gründete eine Arbeitsgruppe und suchte nach Alternativen für das Werk. Drei der zehn dortigen Produktionslinien wurden trotzdem demontiert und nach Rumänien verlagert; 60 Mitarbeiter mussten gehen, viele davon in Frührente. Immerhin: Betriebsbedingte Kündigungen gab es keine, sagt Schädlich. Der DGB merkt an, man habe »durch gute Betriebsvereinbarungen die Arbeitsbedingungen deutlich verbessert«. Vor allem aber gelang es, die Zukunft des Werks zu sichern. Eine Vereinbarung zur Standortsicherung wurde zwar nicht unterschrieben, aber die Großinvestition vereinbart: »Das ist wertvoller als ein Papier«, sagt Schädlich.

Auerbach ist nach seinen Angaben eine von nur noch vier Fabriken für Fertigsuppen in Europa. Einst gab es 15 Werke. Der Markt ist stark in Bewegung, und Unilever wird intern dafür kritisiert, Trends wie den zu veganen Gerichten verschlafen zu haben. So wurde die Marke »Vegetarian Butcher« 2024 verkauft, obwohl es nach pflanzenbasierten Produkten, die Fleisch imitieren, eine große Nachfrage gibt. Schädlich hofft auf eine Trendwende und innovative Produkte – die dann zuerst in Auerbach in die Tüte kommen könnten. Das zweite Knorr-Werk in Heilbronn sei zehnmal so groß. Wenn es um die Einführung neuer Produkte gehe, »sind wir flexibler«.

Den Kampf um das Werk hat der Betriebsrat gewonnen; nun stehen weitere »Auseinandersetzungen« an. Im Herbst wird über einen neuen Manteltarifvertrag für die Branche im Osten verhandelt. Der Abstand zum Westen bei Arbeitszeit und Entgelt sei immer noch groß, sagt Schädlich; ab Oktober seien Streiks möglich. Am 6. November allerdings wird bei Knorr in Auerbach auf jeden Fall gefeiert.

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