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Fußball in der Champions League oder Volkssport auf dem Mars

Zirkus Europa: Wenn Chelsea in der Königsklasse beim FC Bayern gastiert

  • Sven Goldmann
  • Lesedauer: 3 Min.
In der Leere der Pandemie empfing der FC Bayern zuletzt den Chelsea FC in München.
In der Leere der Pandemie empfing der FC Bayern zuletzt den Chelsea FC in München.

Natürlich reden jetzt wieder alle über das Finale dahoam. Über jenen Sonnabend im Mai des Jahres 2012, als der FC Bayern zum Endspiel der Champions League in die Münchner Arena einlud. Über Thomas Müllers spätes Führungstor, Didier Drogbas noch späteren Ausgleich und Bastian Schweinsteigers Fehlschuss im Elfmeterschießen. Spiele gegen den FC Chelsea werden die Bayern wohl ewig an das Drama dahoam erinnern. Der einstige Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge hat mal erzählt, dass er sich jeden Sommer das Video vom verlorenen Finale anschaue – und immer wieder endet es mit Londoner Ekstase und Münchner Entsetzen.

An diesem Mittwoch nun gastiert die neureiche Abordnung von der Stamford Bridge zur Eröffnung der neuen Spielzeit des europäischen Fußballzirkus bei den Bayern. Warum redet dabei eigentlich keiner vom August 2020? Vor fünf Jahren spielte Chelsea zum bislang letzten Mal in der Arena am Autobahnkreuz München-Nord vor. Das Rückspiel im Achtelfinale war sportlich von eher bescheidenem Wert, weil die Bayern das Hinspiel 3:0 gewonnen hatten und kein noch so dramatisches Trauma ihren Einzug in die nächste Runde verhindern konnte. Und doch war dieses Spiel ein ganz besonderes, nämlich die Ouvertüre zu einer Veranstaltung, die den Blick freigab in eine mögliche Zukunft, an die sich heute kaum noch jemand erinnern mag.

Zirkus Europa

Früher schlicht Pokal der Landesmeister, heute Champions League: ein inszeniertes Spektakel und Gelddruckmaschine des Fußballs. Sven Goldmann blickt auf den kommenden Spieltag.

Ein Virus mit dem sperrigen Namen SARS-CoV-2 brachte damals das öffentliche Leben weltweit zum Stillstand, für ein paar Monate auch die Champions League. Als der beste und teuerste Wettbewerb der Welt im Sommer wieder angepfiffen wurde, geschah dies in gespenstischer Stille. Den Fans, für die dieses Spektakel erfunden wurde, bekamen Plätze an einem Katzentisch samt Fernseher zugewiesen. Der Volkssport Fußball verlor seine Seele an eine digitale Inszenierung, in der Likes und Klicks mehr zählten als Jubel und Applaus. Die Münchner Arena war kaum wiederzuerkennen: statt Fangesängen hallten die Rufe der Spieler und das Klatschen des Balles nach. Die Leere verlieh dem Abend etwas Surreales – bei einer Atmosphäre wie im Training, nur dass ein Millionenpublikum zuschaute.

Gleich am nächsten Tag flogen die Bayern zum Finalturnier nach Lissabon, wo die acht besten Mannschaften Europas ihren Champion in einem Miniturnier ermittelten. Der Rest der Geschichte ist bekannt. Die Münchner Abordnung fügte dem von Lionel Messi angeführten Weltklub FC Barcelona beim 8:2 eine Demütigung zu, die an das WM-Halbfinale der deutschen Nationalmannschaft ein paar Jahre zuvor gegen Brasilien erinnerte. Im Halbfinale folgte ein 3:0 über Olympique Lyon und im Endspiel ein 1:0 gegen Paris Saint-Germain. Die Bayern feierten ihre Thronbesteigung im menschenleeren Estadio da Luz – und vor einem Millionenpublikum auf Instagram. Die »Zeit« kleidete ihr Unbehagen in die schöne Formulierung: »Vielleicht wirkte das Finalturnier in Lissabon deshalb so merkwürdig ortlos, als wäre es eine Pokerrunde in irgendeinem Hotel. Es hätte auch auf dem Mars stattfinden können.«

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