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»Klar« im NDR: Ein Sender mit »Haltung«
Christoph Ruf über den Rauswurf von Julia Ruhs beim Norddeutschen Rundfunk
Lieber NDR,
du hast allen Ernstes das Format »Klar« mit der konservativen Moderatorin Julia Ruhs abgesetzt? Hast du noch nicht mitbekommen, dass Konservative und Rechte auf nichts mehr warten als auf einen erneuten Anlass, eine angeblich linke Monokultur in den Medien zu beklagen?
Nicht? Komisch, du sendest doch vom Emsland bis an die Nordseeinseln und hast doch sicher regelmäßig Kontakt mit dort lebenden Menschen. Ach so, hast du nicht. Na dann erkläre ich es dir: In Zeiten, in denen die Glaubwürdigkeitskrise der Medien – und so leid es mir tut, vor allem der öffentlich-rechtlichen – so tiefgreifend wie noch nie zuvor ist, benimmst du dich wie ein Gesundheitspolitiker, der seine Unabhängigkeit beteuert und sich danach für die großzügige Spende eines Pharmakonzerns bedankt. Ach so, du meinst, du kommst aus der Nummer raus, indem du Ruhs durch eine andere konservative Frau ersetzt? Ich bin da skeptisch, denn wenn du deine Personalentscheidungen jetzt immer so triffst wie bei Ruhs, dann wird auch Tanit Koch bald ein Problem haben.
nd-Feuilleton-Chef Christof Meueler vertritt in der Causa Ruhs eine andere Meinung. Lesen Sie seinen Beitrag »Julia Ruhs geht wieder steil« hier.
Bei Ruhs war es ja so, dass sich viele Mitarbeitende gegen die Kollegin ausgesprochen haben sollen. Nicht öffentlich natürlich, das hätte ja Mut verlangt. Lass mich raten, lieber NDR, die Unterzeichner kamen nicht von den Nordseeinseln und auch nicht aus dem Emsland. Die wohnen wahrscheinlich eher in den Hamburger Vierteln unweit des Funkhauses, in denen die Welt noch in Ordnung ist, weil alle die gleichen Ansichten haben, die im Fachjargon als »Haltung« zusammengefasst werden. Wer Haltung hat, kann keine konservative Moderatorin zulassen, schon gar nicht, wenn die nur O-Töne in ihre Filme integriert, die die eigene These stützen. Das machen zwar viele eurer Politikformate auch, aber eben mit Haltung.
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.
Jetzt frage ich mich natürlich, lieber NDR, was euer Intendant beruflich so macht. Irgendwas mit Medien, hoffe ich doch. Oder ging es nur um den Betriebsfrieden für sensible Seelen, die widerstreitende Meinungen nicht als Ansporn sehen, das bessere Argument zu finden? Das wäre ja echt doof jetzt, weil Meinungspluralismus im Journalismus so eine Art Lebensversicherung ist. Aber ich fürchte, lieber NDR, du merkst nicht mal, dass du dir den eigenen Ast absägst. Wie viel Prozent deiner Klientel, meinst du, heißt deine Entscheidung gut? Ich sage: unter zehn. Ich gehöre als links denkender Mensch, wie du merkst, nicht dazu.
Zum Thema: Ein plumper Bestseller – Julia Ruhs warnt vor der »Links-grünen Meinungsmacht«
Linke-Chefin Heidi Reichinnek, die dich ebenfalls kritisiert hat, auch nicht. Und der linkswählende Freund, der mir vergangene Woche das Buch »Inside Tagesschau« (euer Format, oder?) empfohlen hat, ebenfalls nicht. Darin, sagt er, werde behauptet, in den Öffentlich-Rechtlichen herrsche eine gewisse Einseitigkeit. »Ist ja auch nicht von der Hand zu weisen«, hat er angefügt. Mir hat diese Schlussbemerkung zu denken gegeben. Euch wird’s nur der Beweis sein, dass die Beitragszahler eben noch einen Bewusstseinsrückstand haben.
Und damit zurück in die angeschlossenen Funkhäuser und ihre ureigene Logik: Wer behauptet, dass es eine Cancel Culture gibt, lügt, denn Cancel Culture ist nur ein rechter Kampfbegriff. Wer sie dennoch sieht, ist also rechts und wird gecancelt.
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