Soziale Spaltung erreicht Berliner Hochschulen

Die Mehrheit der Berliner Studierenden lebt am Existenzminimum, zeigen neue Zahlen

Studieren ohne Heizung: Viele Studierende müssen sparen, wo es geht.
Studieren ohne Heizung: Viele Studierende müssen sparen, wo es geht.

Gibt es noch das studentische Lotterleben? Zumindest finanziell dürften es sich wohl die wenigsten Studierenden noch leisten können. Fast ein Drittel der Berliner Studierenden lebt von weniger als 800 Euro im Monat. Weitere 42 Prozent leben von 900 bis 1000 Euro im Monat. Das geht aus vorläufigen Ergebnissen einer noch laufenden Erhebung des Studierendenwerks hervor, aus denen Geschäftsführerin Petra Mai-Hartung am Montag vor dem Wissenschaftsausschuss des Abgeordentenhaus zitierte.

»Das tolle Studierendenleben findet überwiegend nicht mehr statt«, sagte Mai-Hartung. Zwei Drittel der befragten Studierenden gaben an, maximal 60 Euro im Monat für Freizeit und Kultur auszugeben. 20 Prozent planten demnach sogar überhaupt kein Budget für Freizeit ein.

Das Geld für die Erholung wird an anderer Stelle gebraucht: 66 Prozent der Studierenden zahlen mehr als 380 Euro im Monat für die Miete – den im Bafög-Satz vorgesehenen Anteil für das Wohnen. Schnell kann es noch viel teurer werden: Mehr als 750 Euro im Monat geben elf Prozent der Studierenden für die Miete aus. Dabei kann es lange dauern, bis man überhaupt in die Position kommt, Miete zu zahlen. 40 Prozent der Studienanfänger suchten länger als ein halbes Jahr nach einer Bleibe, so Mai-Hartung. »Viele können sich die geforderten Angebotsmieten nicht leisten und müssen weitersuchen«, berichtet sie.

Die schwierige Lage auf dem Wohnungsmarkt ist für Mai-Hartung der entscheidende Faktor für die soziale Spaltung, die sich aktuell unter Studierenden vollziehe. Studierende, die aus armen Haushalten stammen, könnten sich Berlin kaum noch leisten. Und auf der anderen Seite? »Vor allem der mangelhafte Wohnungsmarkt trägt dazu bei, dass Studierende, die wegen ihrer Ausgangsbedingungen besser mit Mehrfachbelastungen umgehen können, einen Vorteil haben«, sagte Mai-Hartung.

Das Studierendenwerk könne das Problem alleine kaum lösen. Gerade mal fünf Prozent der Berliner Studierenden wohnten in einem Wohnheim. »Damit sind wir im Bundesvergleich absolutes Schlusslicht«, sagte Mai-Hartung. Der Bestand des Studierendenwerks wachse nur langsam. Bei einem neuen Wohnheim, das am Aristotelessteig in Lichtenberg entstehen soll, hoffe man, im kommenden Jahr mit dem Bau beginnen zu können. »Weitere Bauten sehe ich gerade nicht«, sagte Mai-Hartung. Zwei weitere anvisierte Bauprojekte am Eichkamp in Charlottenburg und auf dem Gelände der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Schöneberg habe man inzwischen aufgegeben.

»Es geht nicht nur um die absolute Höhe, sondern auch um die Geschwindigkeit, mit der die Miete steigt«, sagte Gabriel Tiedje von der Landesastenkonferenz, der Vertretung der Studierenden. »Die Löhne und das Bafög steigen nicht in gleicher Höhe.« Müsse ein Student seine Wohnung verlassen, sei von einem Tag auf den anderen der Verbleib in Berlin unsicher, weil Neuvermietungen zumeist deutlich teurer seien. »Solche sozialen Probleme belasten auch den Studienalltag«, so Tiedje.

Bei den Beratungsstellen der Studierendenvertretungen beobachte man in jüngster Zeit einen deutlichen Anstieg der Anfragen. »Man spürt, dass die Stimmung schwieriger wird«, sagte Tiedje. Sich das Studium mit Krediten zu finanzieren, sei für die meisten Studierenden keine Option. »Die Konditionen für Kredite sind gerade katastrophal«, so Tiedje. Die bundeseigene Kreditanstalt für den Wiederaufbau (KfW) verlange mittlerweile kaum leistbare Zinssätze.

»Das tolle Studierendenleben findet überwiegend nicht mehr statt.«

Petra Mai-Hartung Studierendenwerk Berlin

»Das Studium wird zu einem Privileg«, warnte Katja Urbach. Sie engagiert sich bei der Initiative Arbeiterkind, die Neuakademiker beim Ankommen an der Universität unterstützt. »Viele können es sich einfach nicht mehr leisten zu studieren.« Es sei nicht ungewöhnlich, dass Studierende nicht nur einen, sondern zwei oder drei Nebenjobs haben. Für das Studium bleibe dann nur noch wenig Zeit. »Stress, Erschöpfung und Erkrankung« führten dazu, dass viele ihr Studium über die Regelstudienzeit verlängerten oder gleich ganz abbrächen.

»Der Bafög-Satz deckt die Kosten in den Großstädten überhaupt nicht ab«, kritisierte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD). Berlin sei im Bund daran gescheitert, den Wohnzuschuss im Bafög nach der Höhe der Mieten am Studienstandort zu differenzieren. Sie werbe dafür, dass die Hochschulen mehr duale Studiengänge anbieten. So könnten die Studierenden schon während des Studiums arbeiten und sich finanziell besser absichern. Trotz der aktuellen Kürzungsdiskussion an Hochschulen müssten Beratungsangebote für Studierende erhalten bleiben. »Gerade Studierende aus nicht-akademischen Haushalten sind stärker auf Peer Groups angewiesen«, sagte sie. Daher dürfe man bei diesen Angeboten nicht kürzen.

Einen praktischen Vorschlag, wie die finanziellen Leiden vieler Studierender gelindert werden könnten, machte Katja Urbatsch. Die Semestergebühren beliefen sich inzwischen auf Beträge zwischen 360 und 390 Euro. »Vor der Zahlungsfrist gehen regelmäßig bei uns Notrufe ein«, sagte sie. Viele Studierende könnten die Gebühren nicht auf einen Schlag aufbringen. »Wir würden uns wünschen, dass Berlin mit gutem Beispiel vorangeht und hier eine Ratenzahlung ermöglicht«, sagte Urbach.

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