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Müll und Zuwanderung
In Hagen bestimmen AfD-Themen die Debatte in der Stichwahl
Es war nicht viel mehr als eine halbe Stunde, die Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen am Montag für den Wahlkampf investiert hat. Trotzdem zeigt der Einsatz von Wüst, dass es in Hagen um etwas geht. Wüsts CDU-Parteikollege Dennis Rehbein tritt hier in der Stichwahl gegen Michael Eiche von der AfD an. Rehbein erhielt in der ersten Runde 25 Prozent der Stimmen, sein Gegner 21 Prozent. In Duisburg, Gelsenkirchen und Bergheim, wo es AfD-Kandidaten ebenfalls in die Stichwahlen geschafft haben, lagen sie eindeutiger hinter ihren jeweiligen Gegner*innen von SPD und CDU. Wüsts Wahlkampfeinsatz in Hagen setzt also auch ein Zeichen, dass er seine Aussage vom Wahlabend, dass ihm die Erfolge der AfD Sorgen bereiten, ernst meint.
Am kommenden Sonntag folgt nun die Stichwahl. Über Gelsenkirchen und Duisburg wurde schon vor dem ersten Wahlgang viel berichtet; Hagen hingegen wurde ein wenig vergessen, dabei holte die AfD hier auch in der Vergangenheit Spitzenergebnisse. Jetzt ist Hagen Thema. Besser gesagt, Müll und Zuwanderung in Hagen sind Thema. Vom »Spiegel« bis zum rechtskonservativen Online-Medium »Nius« wird darüber berichtet. Der ein oder andere dramatisch in Szene gesetzte Müllhaufen inklusive.
In der TV-Talkshow »Markus Lanz« ließ sich CDU-Kandidat Dennis Rehbein über Armutszuwanderung aus Südosteuropa aus. Die Gegend um den Bahnhof nannte er dabei »Klein-Bukarest«. Für die AfD sind das bedeutende Geländegewinne: Ihre Themen werden auch ohne sie in ihrem Jargon diskutiert. So erklärte auch Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link am Wahlabend via »Bild«, sich nicht mehr »verarschen und bescheißen« lassen zu wollen, und forderte die Bundespolitik auf, härter gegen Armutszuwanderung und vermeintlichen Sozialbetrug vorzugehen. Äußerungen, für die der Sozialdemokrat viel Lob vom rechten Rand bekam.
Wie es aussieht, wenn CDU und AfD direkt aufeinandertreffen, war am Dienstagabend in Hagen zu beobachten. Die »Westfalenpost« und »Radio Hagen« hatten zum Duell zwischen Rehbein und Eiche geladen. Und auch hier dominierten jene Themen, die von der Hagener AfD mit »SOS« abgekürzt werden: »Sicherheit, Ordnung, Sauberkeit«. Dabei gab es andere, die eine Vertiefung verdient gehabt hätten. Zu allerlei Frust führte in der Stadt zuletzt die Schließung einer Berufsschule mit 3600 Schüler*innen aus Brandschutzgründen zum Ende der Sommerferien. Aktuell wird ein Großteil der Schüler*innen online unterrichtet. Große Sorgen gibt es vor allem um Abschlussklassen, die vor ihren Prüfungen die Praxisräume nicht nutzen können. Mehrfach demonstrierten Schüler*innen für eine schnelle Lösung des Problems, doch die ist nicht absehbar. Gerade mal die Hälfte der Räume kann möglicherweise nach den Herbstferien wieder nutzbar sein.
Das Schulproblem bewegt in Hagen Eltern, Schüler*innen und auch die Wirtschaft, die um die Qualifikation ihrer Auszubildenden besorgt ist. Zwischen Rehbein und Eiche sorgt es aber nicht für große Diskussionen. Der CDU-Mann erklärt, er stehe für pragmatische Lösungen, es gebe da bisweilen aber Probleme. So müssten Räumlichkeiten des Landes von der Stadt erst mal angemietet werden. AfD-Mann Eiche plädiert auch für Pragmatismus und raunt dann nur noch, dass es an Schulen noch »ganz andere Probleme« gebe. Ein Muster, dass sich durch den Abend zieht. In Sachfragen hat der Kandidat der »Alternative« keine Alternativen anzubieten, stattdessen nur Anspielungen für die rechte Zuhörerschaft.
Zu vermeintlichen »Angsträumen« in der Stadt versucht CDU-Kandidat Rehbein zu differenzieren, sagt etwa, dass er sich im Bahnhofsumfeld nicht unsicher fühle, man aber etwas tun müsse. Er will mehr Licht, möglicherweise Videoüberwachungen, mehr Streifen des Ordnungsamts und eine bessere Kooperation mit der Polizei. Michael Eiche erklärt, er habe am Bahnhof schon »die Beine in die Hand nehmen« müssen; er fühle sich dort sehr wohl unsicher. Andere Rezepte als der CDU-Kandidat hat er aber nicht, nur die düstere Botschaft: »Das sind die Folgen der unbegrenzten Zuwanderung, die wir jetzt alle ausbaden müssen.« Dass man etwas »ausbaden« müsse, sagt Eiche oft, auch dass man kommunal nicht viel tun könne. Gestaltungsanspruch sieht anders aus.
Am kommenden Sonntag wird Hagen vermutlich nicht blau, denn Dennis Rehbein ist dann nicht nur Kandidat der CDU. Auch SPD und Grüne unterstützen ihn. Beim Thema Integration wird AfD-Politiker Eiche schließlich sehr deutlich: In Hagen würden Sinti und Roma »ihre Örtlichkeiten sehr schnell wechseln«, da habe man überhaupt keine Möglichkeiten. Die Moderatorinnen gehen auf das klar geäußerte Vorurteil nicht ein. Auch sonst halten sie das Gespräch über grundsätzliche Einstellungen bei der AfD kurz. Dabei gibt es in Hagen einiges zu besprechen. Andreas Geitz, wiedergewählter Ratsherr, posierte im Sommer 2020 auf den Stufen des Reichstags, als Corona-Leugnerinnen versuchten, diesen zu stürmen. Einem Bezirksvertreter der AfD gefiel auf Facebook ein Kommentar, in dem ein neues Konzentrationslager Treblinka für »diese verlogenen sogenannten Mächtigen« gefordert wurde. Der Bezirkspolitiker löschte den entsprechenden Meinungsbeitrag. Seine Facebook-Seite ist allerdings bis heute ein bunter Blumenstrauß extrem rechter Propaganda.
Parteikollege Michael Eiche tut all das ziemlich leichtfertig ab. Zum Reichstagssturm sagt er, an »der Geschichte ist nichts dran gewesen«. Nazi-Posts in sozialen Netzwerken? »Einzelne Ausreißer«, gegen die man vorgehe. Dass mal jemand etwas »Falsches« like, passiere aber. Er jedenfalls sei sauber, das habe eine Selbstauskunft beim Verfassungsschutz ergeben, so der AfD-Kandidat. Eiche wünscht sich, dass die CDU mit seiner Partei zusammenarbeitet. Ein Wunsch, dem Dennis Rehbein nicht nachkommen wird. »Es gibt Beschlüsse der Bundespartei, und an die habe ich mich zu halten«, sagt er und erklärt, dass er die Wähler*innen der AfD nicht per se für »rechtsextrem« halte. Bei der Partei differenziere er aber. Solange die »gewisse Personen und Positionen« in ihren Reihen dulde, sei eine Zusammenarbeit »einfach inakzeptabel«.
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