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Q216: Hotspot des Mieterprotests
In der Frankfurter Allee 216 organisiert sich Widerstand gegen zu hohe Mieten
Seit 20 Monaten organisieren sich Bewohner*innen in der Frankfurter Allee 216 in der Mieter*innengewerkschaft Berlin (MGB). Die hatte am Dienstagabend zum Treffen ins nahe gelegene Hubertusbad geladen. Rund 30 Bewohner*innen waren gekommen.
Vor zehn Jahren galten die Eigentümer des Wohngebäudes Arndt Ulrich und Lutz Lakowski noch als vorbildliche Projektentwickler auf dem Gebiet von Plattenbauten. »Die beiden kaufen in Berlin abrissreife Plattenbauten auf, sanieren sie und schaffen im Inneren Kleinstwohnungen. Dann vermieten sie diese wieder – zu bezahlbaren Preisen«, schrieb die Journalistin Carina Braun 2016 in einem Artikel für das Goetheinstitut.
Dort wird das Gebäude Frankfurter Allee 216 als Beispiel für die gelungene Sanierung eines Plattenbaus genannt. Q216 – diese Zahl steht noch heute groß und sichtbar auf dem Wohnhaus in unmittelbarer Nähe des S-Bahnhofs Lichtenberg. Der 2012 sanierte Plattenbau bietet 450 Miniapartments. Viele der Bewohner*innen sind Studierende, Auszubildende und junge Erwachsene.
Die Eigentümer aber haben die Homepage für das Q216 abgeschaltet. Das Modellprojekt auf dem Gebiet der Plattenbausanierung hat sich längst zu einem Hotspot der Mieter*innenorganisierung entwickelt. Mittlerweile stößt man auf Berichte über die zahlreichen Proteste der Bewohner*innen, wenn man in Suchmaschinen »Q216« eingibt.
Das ist das Verdienst der kontinuierlichen Arbeit der MGB. Die hat unterdessen Postkarten gedruckt, auf denen die Umrisse des Q216 mit einem großen Megaphon zu sehen sind. Darüber steht »Organize«. Die MGB dokumentiert ihre kontinuierliche Organisationsarbeit auf ihrer Webseite.
Die Gewerkschaft sammelte Mängelrügen, organisierte Hausversammlungen und ließ Wohnungen neu vermessen. Dabei stellte sich heraus, dass fast alle Wohnungen bis zu zehn Quadratmeter kleiner sind als im Mietvertrag aufgeführt. Das ist ein wesentlicher Punkt, auf den sich Klagen zur Mietminderung stützen.
Leo wohnt seit zwei Jahren in so einer Wohnung. Wenn er juristisch Erfolg hat, würde er monatlich 100 Euro sparen. Wie viele engagierte Mieter*innen will er seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen. Das liegt auch an den Erfahrungen der letzten Monate. Zunächst habe es Gespräche gegeben, doch bald wurde der Kontakt von der Eigentümerseite abgebrochen. »Seitdem läuft die Kommunikation nur noch über Anwält*innen, und es wird mit Klagen gedroht«, beschreibt Leo die Auseinandersetzung.
Doch zumindest die aktiven Mieter*innen, die sich im Hubertusbad versammelt haben, lassen sich davon nicht abschrecken. Sie sind entschlossen, ihre Rechte mit einer Gemeinschaftsklage durchzusetzen. Der auf Mietrecht spezialisierte Rechtsanwalt Antonio Leonhardt informierte am Dienstag über die Chancen und Risiken einer solchen Klage. So erörterte er detailliert, was es kosten würde, wenn die Mieter*innen die Klage ganz oder teilweise verlieren sollten. Einige Anwesende hatten zwar zunächst noch weiteren Informationsbedarf. Am Ende waren aber alle entschlossen, die Klage einzuleiten.
MGB-Aktivist Lino stellte auf der Versammlung den Mietkampf-Solitopf vor: »Ziel ist es, alle MGB-Mitglieder, bei denen Kosten anfallen, mit gleichen Anteilen zu unterstützen.« Während die Klagen laufen, soll eine Übernahme der anfallenden Kosten zu 50 Prozent garantiert werden. Bei Prozessende soll dann die finale Ausschüttung erfolgen. Nachdem die MGB einen Grundbetrag beigesteuert hat, soll das Geld durch Flohmärkte und Partys zusammenkommen. »Doch für die MGB ist es das Ziel, die Prozesse zu gewinnen oder so viel politischen Druck zu erzeugen, dass es zu einer außergerichtlichen Einigung im Sinne der Mieter*innen kommt«, sagt Mieter Leo.
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