- Politik
- Wende in Österreich
Die Erneuerung der österreichischen Linken
Die ostdeutsche Wende manifestierte sich in Österreich auch im Konflikt um das besetzte Ernst-Kirchweger-Haus
Damals war ich noch nicht einmal ein Staubkorn. Auch meine Eltern und meine Tante in Graz waren 1989/90 zu jung – Kinder –, um die Lage politisch einzuordnen. Zurück blieben diffuse Erinnerungen an Fernsehbilder von Trabbis, die wohl während des Paneuropäischen Picknicks die österreichisch-ungarische Grenze querten, von »Wind of Change« beim Fall der Mauer und von Menschen, die »Auf der Mauer, auf der Lauer« sangen. Meiner Oma prägte sich der Fall der Mauer als »Freudentag« ein. Ihre Mutter stammte aus Magdeburg, von vereinzelten Besuchen bei der Verwandtschaft hatte sie vor allem an der Grenze aufmarschierende bewaffnete Soldaten in Erinnerung.
In Österreich war indes eine andere – nämlich die sogenannte Brandmauer – bereits 1983 gefallen. Damals verlor die Sozialdemokratie die absolute Mehrheit und ging eine kleine Koalition mit der rechtsextremen Freiheitlichen Partei Österreich (FPÖ) ein. Von 1986 bis 1992 prägte zudem die Waldheim-Affäre das Land. Kurt Waldheim, in jenen Jahren Bundespräsident, hatte verschwiegen, dass er Mitglied des Nationalsozialistischen Studentenbunds gewesen war, und zudem einige Lücken in der Erzählung über seinen Kriegseinsatz auf dem Balkan gelassen.
Erstmals beschäftigte sich die Öffentlichkeit mit der Beteiligung der Bevölkerung an NS-Verbrechen, auch im Zuge des auf die ostdeutsche Wende und die deutsche Vereinigung folgenden Rechtsrucks in Österreich. Es war auch jene Zeit, in der der Mythos, Österreich sei das erste Opfer der Nationalsozialisten gewesen, ins Wanken geriet. Die Wende in Ostdeutschland entfachte zudem Sorge um die Neutralität des Landes, die Zahl der Totalverweigerer des Militärdienstes erreichte 1990 einen Höchststand, es folgten jahrelange Verfahren wegen Aufrufen zur Nichtbefolgung von Militärgesetzen. Antimilitarismus war en vogue, auch in der Kommunistischen Partei Österreich (KPÖ).
Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.
»Es war eine komplizierte Zeit«, erinnert sich KPÖ-Urgestein Michael Graber, im Gespräch mit »nd«. Seine Partei hatte die Linie Gorbatschows unterstützt und Hoffnung auf Reformen in der Sowjetunion gesetzt. Sie sollten es attraktiver machen, für einen »osteuropäischen Sozialismus« einzutreten. »Für mich bedeutete die Wende eine Krise der politischen Orientierung und der Identität«, erzählt Graber. Sich vom »realen Sozialismus« zu verabschieden und »neue post-kapitalistische Ideen« aufzubauen, dauerte Jahre und war, für ihn und die Partei, mit vielen Widersprüchen verbunden. Das drückte sich auch in Wahlergebnissen aus. Die Zustimmung für die KPÖ erreichte in den 90er Jahren ihren Tiefpunkt. Zusätzlich hatte das Ende der DDR ökonomische Folgen. Deutsche Behörden beschlagnahmten KPÖ-Werte als SED-Vermögen, es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit und, in Grabers Worten, die »Enteignung der KPÖ«.
Die Entwicklung äußerte sich auch in innerlinken Konflikten. In den 90er Jahren besetzten Autonome ein Haus der KPÖ im zehnten Wiener Gemeindebezirk. Wenn es die sozialistischen Länder nicht mehr gebe, gebe es auch die Partei bald nicht mehr und man könne ihr die Häuser wegnehmen, schätzt Graber die Idee dahinter ein.
Robert Foltin wiederum, seines Zeichens der autonomen Szene entstammend, sieht das anders. »Die Krise der KPÖ und ihre Ankündigung einer Öffnung zur übrigen Linken hin wurde benutzt, um das Haus zu besetzen, weil es von der KPÖ nur sporadisch genutzt wurde«, schreibt er in einem Buch über österreichische linke Bewegungen.
Ein weiteres Motiv sei die Hoffnung gewesen, dass eine kommunistische Partei die Besetzung nicht durch die Polizei räumen lassen würde. Die KPÖ drohte damals mit einer Gegenbesetzung durch Hunderte steirische Bergarbeiter*innen. Schließlich beruhigte sich der Konflikt. 2004 verkaufte die Partei das Haus – begründet mit der finanziellen Misere durch das Gerichtsurteil über die DDR-Gelder. Später übernahm die Stadt Wien die Eigentümerschaft. Das Ernst-Kirchweger-Haus (EKH) – benannt nach einem Kommunisten, der in den 60er Jahren bei einer antifaschistischen Demonstration von einem Burschenschafter erschlagen wurde – ist bis heute ein Knotenpunkt der Wiener linken Szene.
Abgesehen davon waren die Autonomen von der Wende wenig beeindruckt, so Foltin. Sie richteten ihren Blick damals nicht auf »revolutionäre Staaten«, sondern auf »Unruhen und Guerillakriege im Trikont und Europa«, wie er schreibt. »1989/1991 ist die Bedeutung der staatlichen Orientierung der Linken zu ihrem sichtbaren Ende gekommen.« Eine »diffuse Antistaatsideologie« rief Ungewissheit hervor, »aber auch neue Perspektiven für revolutionäre Veränderungen«. Schlussendlich auch für Graber und die KPÖ, meint dieser: »Unser Ausweg war die Erneuerung.« Über Erneuerung freute sich damals auch meine Oma.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.