Prozess gegen Christina Block: Klassenjustiz mal anders

Selten stehen Reiche in Deutschland vor Gericht. Wenn aber doch, dann kommt es zu einem Klassentreffen der anderen Art, meint Olivier David.

Christina Block steht wegen mutmaßlicher Kindesentführung vor Gericht.
Christina Block steht wegen mutmaßlicher Kindesentführung vor Gericht.

Ein Dienstagmorgen Ende September vor dem Hamburger Landgericht. In einem Prozess angeklagt ist die Steakhaus-Erbin Christina Block. Der Vorwurf: Kindesentführung. Unstrittig ist, dass die Kinder Theodor und Klara in der Silvesternacht 2023/2024 in Dänemark unter Anwendung von Gewalt zurück zur Angeklagten gebracht worden sind, nachdem der Vater der Kinder, Stephan Hensel, sie nach einem Besuch der beiden an seinem Wohnort in Dänemark behält.

Während die Justiz sich in ihrem Strafverfolgungsinteresse in aller Regel der unteren Klasse widmet, kommen die Straftaten der Reichen, auch »white collar crime« genannt, nur selten auf das Tableau. Und während Armutsbetroffene zusätzlich zu ihrer Straftat auch für die Umstände, die zur Straftat geführt haben, mit bestraft werden – Armutsbetroffenen wird bei Diebstahldelikten häufig ein strafverschärfendes gewerbliches Motiv unterstellt –, können Reiche sich die besten Strafverteidiger leisten und somit die Chance erhöhen, besser davonzukommen als mit Pflichtverteidigern.

Es ist ein interessantes Schauspiel, was sich auf den Fluren und im Gerichtssaal abspielt, an Tagen, an denen Christina Block und sechs weiteren Mitangeklagten der Prozess gemacht wird. Das Interesse der Medien ist riesengroß, auch international: Der britische »Guardian« berichtete, die »New York Post«, die »Times of Israel«, die Nachrichtenagentur Reuters.

Olivier David

Olivier David ist Autor und Journalist. 2022 erschien von ihm »Keine Aufstiegsgeschichte«, in dem er autobiografisch den Zusammenhang von Armut und psychischen Erkrankungen beschreibt. Bevor er mit 30 den Quereinstieg in den Journalismus schaffte, arbeitete er im Supermarkt und Lager, als Kellner und Schauspieler. 2024 erscheint sein Essayband »Von der namenlosen Menge« im Haymon Verlag. Für »nd« schreibt er in der monatlichen Kolumne »Klassentreffen« über die untere Klasse und ihre Gegner*innen. Alle Texte auf dasnd.de/klassentreffen. Zudem hostet er einen gleichnamigen Podcast über Klasse, Krise und Kultur. Alle Folgen auf dasnd.de/klasse.

Auch vor Gericht selbst spielt die mediale Bühne eine Rolle, sie fließt sogar in den Prozess ein. Ingo Bott, der Anwalt der Angeklagten, befragt an diesem Tag den Vater der Kinder, Stephan Hensel. Dieser ist bei der Entführung geschlagen worden, im Verfahren tritt er als Nebenkläger auf. Bott fragt Hensel, ob seine Kinder die Berichte in der Presse verfolgen würden. Ja, das täten sie, antwortet dieser. Die Berichterstattung nimmt Einfluss auf das Verfahren – und kann, wenn sie vorverurteilt, sogar strafmildernd wirken.

Dieser Prozess ist anders als vergleichbare Fälle, gerade weil die Hauptangeklagte der Klasse der Reichen entstammt. Andere Klasse, andere Möglichkeiten. Bei der Überwachung des Grundstücks von Hensel wurden Drohnen und Überwachungskameras eingesetzt. Ein Team mutmaßlicher israelischer Sicherheitsleute soll die Entführung durchgeführt haben.

Der ehemalige Regierungssprecher von Gerhardt Schröder, Béla Anda, ist Blocks PR-Berater. Block selbst soll laut Staatsanwaltschaft die Firma mit einem 100 000 Euro-Auftrag versorgt haben. Weitere mutmaßliche Beteiligte: der Sportmoderator Gerhard Delling, ein israelischer Ex-Minister, ein hochrangiger Ex-LKA-Beamter.

Es geht an dieser Stelle nicht um die Frage von Schuld und Unschuld. Es geht darum, wie ungleich die Zugänge zur Öffentlichkeit sind. Und wie die einen die Möglichkeit haben, Millionensummen auf den Tisch zu legen, um ihren Willen durchzusetzen, während die anderen für ihre Armut und ihren Pass bestraft werden. Und am Ende geht es schlicht darum, dass die Justiz je nach sozialer Klasse, Ethnie und Reputation oftmals zu unterschiedlichen Strafen kommt. Und das ist der wahre Skandal in diesem Fall.

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