Friedensplan: Zu schön, um wahr zu sein

In 20 Punkten hat die US-Regierung einen Plan zur Befriedung des Gazastreifens vorgelegt

  • Mirko Keilberth, Beirut
  • Lesedauer: 4 Min.
Strategiespiele im Weißen Haus: US-Präsident Donald Trump (r) und der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu
Strategiespiele im Weißen Haus: US-Präsident Donald Trump (r) und der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu

Es war der Moment, auf den viele im Nahen Osten lange sehnlich gewartet hatten. Als Donald Trump und Benjamin Netanjahu am Montagabend in Washington die Einigung auf einen 20-Punkte-Plan verkündeten, ging eine Welle der Erleichterung durch die sozialen Medien. Die täglichen Bilder von toten Kindern in den Armen ihrer Eltern, in den Gängen der halbzerstörten Krankenhäuser des Gaza-Steifens, haben deutliche Spuren in der Region hinterlassen. »Egal wie ungerecht die Lösung sein mag, das Blutvergießen muss sofort aufhören«, schimpft der Moderator des libanesischen Staatsfernsehens während der Live-Übertragung der Pressekonferenz von Trump und Netanjahu. Aber auch an seiner Aversion gegen das kumpelhafte und selbstgefällige Auftreten der beiden lässt Walid Abud keinen Zweifel.

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Dies sei vielleicht einer der größten Tage seit Beginn der Zivilisation, hören die Gäste des Cafe Junis im Beiruter Stadtteil Al-Amra den US-Präsidenten mit ernster Mine sagen. »In Gedanken ist er wohl bereits bei der Verleihung des Friedensnobelpreises«, lacht die Studentin Dana Ferdowsi. Wie viele im Libanon erlebt sie jeden Tag, was es bedeutet, wenn ein Waffenstillstand von beiden Seiten unterschiedlich ausgelegt wird. Erst am Vortag hatten israelische Kampfjets wieder im Süden des Landes angebliche Hisbollah-Kommandeure bombardiert. »Wir sind offiziell vielleicht nicht mehr im Krieg, aber erleben doch täglich, was Netanjahu mit militärischer Oberhoheit meint: Ein Freifahrtschein für Bombardierungen, wann es ihm passt. Aber immerhin: In Trumps Gesicht ist Entschlossenheit zu sehen. Er kann es sich kaum leisten, dass ein mit seinem Namen versehener Plan nicht umgesetzt wird.«

Einig ist man sich überall in der Region, dass die von Trumps Sondergesandtem Steve Witkoff mit mehreren arabischen Ländern abgesprochene Initiative der seit Langem ernsthafteste Versuch ist, das Blutvergießen in Gaza zu beenden. Denn in einem unterscheidet er sich von Trumps lapidaren Kommentaren über Gaza in den vergangenen Monaten. Die zynisch als »freiwillige Ausreise« umschriebene ethnische Säuberung kommt darin nicht vor.

Der Plan ist daher ein Rückschlag für den Versuch der israelischen Ultraradikalen, die bereits in der Nacht ihr schärfstes Geschütz gegen Netanjahu aufgefahren hatten: Sollte der israelische Regierungschef in Washington einem völligen Rückzug der Armee aus Gaza zustimmen, würden ihre Galionsfiguren, Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir und Finanzminister Bezalel Smotrich, die Regierungskoalition verlassen, so die Drohung.

Noch vor seinem Rückflug nach Jerusalem versuchte Netanjahu die aus bewaffneten Siedlern, Nationalisten und religiösen Fanatikern bestehende Szene zu beruhigen. Mit einer Videobotschaft, die den Auftritt mit Trump als historischen Sieg erscheinen lässt, wandte er sich an die Öffentlichkeit: »Statt uns steht nun die Hamas isoliert da. Die arabische und muslimische Welt macht immensen Druck auf deren Führung, um den Plan anzunehmen. Ich habe im Übrigen in keinem Fall vor, die Armee vollständig abzuziehen. Wir bekommen also beides: die Geiseln und behalten die militärische Kontrolle.« Und noch einen Trumpf scheint Netanjahu aus Washington mitnehmen zu können. Die Angehörigen der Geisel, Oppositionsführer Jair Lapid und viele Kommentatoren sehen in Trumps Plan einen Ausweg aus der Logik der Gewalt, Netanjahu wirkt also nicht mehr isoliert.

Seltene Einigkeit zeigen Menschenrechtsaktivisten und Ultranationalisten, die den 20-Punkte-Frieden auf dem Telegramkanal »Abu Ali Express« als neuesten Bluff Netanjahus loben. »Die Verwirrung über die Details des Plans gibt Zeit für die nun kommende totale Zerstörung von Gaza-Stadt. Und dafür wird zukünftig die Hamas verantwortlich gemacht werden.«

Im Gazastreifen hoffen hingegen Flüchtlinge wie Akram Al-Surani aus Gaza-Stadt innig auf den im Plan erwähnten Wiederaufbau. »Politik ist uns egal, auch eine Fremdverwaltung«, so der Schriftsteller. »Wir wollen leben.« Doch bei den Kommentatoren von TV-Sendern im Libanon und Jordanien und bei Al-Jazeera aus Katar ist die Euphorie vom Montag bereits verflogen. Für die Hamas wäre die Unterzeichnung des Papiers eine Niederlage, warnen sie. Zwar darf die Führung aus Gaza in ein Drittland ausreisen und erhielte sogar eine Amnestie. Doch die verbliebenen Kämpfer müssten ihre Waffen abgeben, auch der politische Flügel der Hamas soll aus Gaza verbannt werden.

»Politik ist uns egal, auch eine Fremdverwaltung. Wir wollen leben.«

Akram Al-Surani Flüchtling aus Gaza-Stadt

Israel behält trotz eines Abzugs der Armee die militärische Oberhoheit über Gaza und das Westjordanland, in dem die Siedler derzeit mit nie dagewesener Brutalität Palästinenser vertreiben. Die vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag im letzten Jahr als illegal bezeichnete Besatzung geht also weiter.

Dennoch werden zwischen Casablanca und Bagdad die positiven Aspekte von Trumps Plan hervorgehoben. Die Freilassung der verbliebenen Geiseln, ein permanenter Waffenstillstand, eine Regierung von Technokraten, die von einer internationalen Friedenstruppe geschützt wird, und eine von Trump selbst angeführten Kommission schien noch vor wenigen Tagen wie ein unerfüllbarer Traum. Trotz aller Unklarheiten werden zumindest die arabischen Nachbarstaaten diese Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen.

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