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Stammheim an der Aller

Im Prozess gegen Daniela Klette, ehemalige Militante aus der RAF, trügen die Erinnerungen von Zeugen. Ein Besuch im Hochsicherheitssaal Verden-Eitze

Niedersächsische Polizisten mit Maschinengewehren bewachen das mit Nato-Draht umzäunte Gelände samt Hochsicherheitsgerichtssaal.
Niedersächsische Polizisten mit Maschinengewehren bewachen das mit Nato-Draht umzäunte Gelände samt Hochsicherheitsgerichtssaal.

Es ist pervers. Mindestens 3,6 Millionen Euro Miete werden dem Eigentümer einer Reithalle gezahlt – für ein temporäres Denkmal, das sich die niedersächsische Justiz in Eitze bauen ließ.

Eitze hat etwa 1500 Einwohner*innen und ist seit gut 50 Jahren ein Stadtteil von Verden an der Aller. Seit Ende Mai 2025 gelten hier dienstags und mittwochs besondere Verkehrsregeln mit unübersehbaren Parkverbotszonen. An diesen beiden Wochentagen findet der Strafprozess gegen Daniela Klette statt, die der Roten Armee Fraktion (RAF) angehört haben soll und im Frühjahr 2024 in Berlin-Kreuzberg verhaftet wurde.

An einem Vormittag im September schaut sogar der Eigentümer der Reithalle vorbei.

Das vier Hektar große Areal der hier ansässigen Außenstelle des Landgerichts Verden gleicht einer Festung. Vermummte Polizisten halten Maschinenpistolen an ihrem Oberkörper und stehen vor einem Nato-Stacheldrahtzaun, der das Gelände umgibt. Unmittelbar dahinter ist ein Kinderspielplatz. Einige Schritte weiter öffnet sich den Besucher*innen der Blick auf die Reithalle, die zu einem bombastischen Gerichtssaal umgebaut wurde. Dieser erinnert an die Mehrzweckhalle in Stuttgart-Stammheim, wo von Mitte der 1970er bis in die 2010er Jahre Gerichtsverfahren gegen Mitglieder der RAF stattgefunden haben und die sich seit 2023 im Rückbau befindet, um dort ein Haftkrankenhaus zu bauen. Einen Unterschied zu Stammheim gibt es allerdings: Damals war der Presse- und Zuschauerbereich nicht durch eine Glaswand vom übrigen Prozesssaal räumlich und akustisch abgetrennt, wie es heute in Verden der Fall ist.

Unangebrachter Sicherheitsaufwand

Tatsächlich sind die hiesigen Sicherheitsmaßnahmen gegenwärtig beispiellos. Die 66-jährige Daniela Klette scheint für die Justiz gefährlicher als frühere Angeklagte einer aktiven Stadtguerilla der 1970er und 1980er, bevor die Militanten der RAF 1992 erklärten, »Angriffe auf führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat« einzustellen und schließlich 1998 ihr Projekt gemeinsam beendeten.

Selbst die Lokalpresse spricht von »Aberwitz«. Die Szenerie, die sich in Eitze den Zuschauer*innen bietet, bezeichnet der »Weser-Kurier« als »gespenstisch«. Der Prozess habe »absurde Züge angenommen«.

Gespenstig: Ein gesperrter Kinderspielplatz hinter Stacheldraht auf dem Gelände der Außenstelle des Landgerichts Verden.
Gespenstig: Ein gesperrter Kinderspielplatz hinter Stacheldraht auf dem Gelände der Außenstelle des Landgerichts Verden.

Die öffentliche Botschaft dieser Inszenierung ist jedoch klar: Hier wird einer höchst gefährlichen Terroristin der Prozess gemacht. Eine Bewertung ist damit schon vorgegeben, da können der Vorsitzende Richter Lars Engelke und die Staatsanwältin Annette Marquardt noch so oft betonen, dass es sich um ein ganz normales, völlig unpolitisches Verfahren handle.

Linke töten nicht für Geld

Daniela Klette ist wegen eines Dutzends Raubüberfällen auf Supermarktkassen und Geldtransporter angeklagt, die sie vor neun bis 25 Jahren mit zwei Gefährten unternommen haben soll. Anders als bei bewaffneten Geldräubern, wurde sie von der Staatsanwaltschaft zusätzlich auch wegen versuchten Mords angeklagt. Auch wenn der Mordvorwurf inzwischen vom Tisch ist, unterstellt das fünfköpfige Gericht noch immer eine Tötungsabsicht. Dies zeigt, wie realitätsfern dessen Einschätzungen über Linke sind, denn diese würden, um an Geld zu gelangen, nicht den Verlust von Menschenleben einplanen. Und als eine aufrechte Linke hat sich Daniela Klette im laufenden Verfahren und mit öffentlichen Stellungnahmen wiederholt ausgezeichnet.

34 Prozesstage sind seit Verhandlungsbeginn im März vergangen. Zuletzt wurden zwei bis drei Zeugen pro Tag gehört und über ihre lange zurückliegenden Beobachtungen befragt. Ihre Aussagen haben sich merklich den Informationen aus der öffentlichen Fahndung angepasst. Inzwischen sprechen viele von drei Täter*innen und können ihnen sogar Geschlechter zuordnen: Von »zwei Männern und einer Frau« erzählt beispielsweise eine Zeugin, die bei der polizeilichen Vernehmung am Tattag 2016 noch zu Protokoll gegeben hat: »Ich habe eindeutig erkennen können, dass vier Personen im Auto sitzen, zwei vorne, zwei hinten.« Das Auto sei rappelvoll mit Menschen gewesen. Bis Jahresende sind noch etwa 16 Prozesstage terminiert, voraussichtlich wird die Verhandlung bis ins kommende Jahr dauern.

Viel Kosten und Aufwand für wenige Anwesende: Die Hochsicherheitsreithalle in Verden-Eitze, wo gegen Daniela Klette verhandelt wird.
Viel Kosten und Aufwand für wenige Anwesende: Die Hochsicherheitsreithalle in Verden-Eitze, wo gegen Daniela Klette verhandelt wird.

Seit über sechs Monaten läuft nun der Prozess ohne Vorkommnisse, die die existierenden Sicherheitsvorkehrungen rechtfertigen würden. Diese wirken so maßlos überdimensioniert, auch weil an den Verhandlungstagen nur drei bis zehn Besucher*innen anwesend sind. Darunter befinden sich Linke, die der Angeklagten freundlich zuwinken, und oft auch Menschen aus der Region, die sich den Prozess einmal ansehen wollen. An einem Mittwochvormittag im September schaut sogar der wohlhabende Eigentümer der Reithalle mit weiblicher Begleitung vorbei – und unterliegt dabei nicht der üblichen scharfen Kontrolle. Anders als Zuhörer*innen und Pressevertreter*innen wird das Paar nach einer Pause mit Toilettengang nicht durchleuchtet und abgetastet, sondern durchgewunken. Über das Vorgehen bei den Einlasskontrollen entscheidet das Gericht. Letztlich deutet auch die Ungleichbehandlung der Prozessbesucher*innen darauf hin, dass Daniela Klette in diesem politischen Prozess kein faires Verfahren zu erwarten hat.

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