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Inselleben in der Adria
Die nd-Kolumnistin schwimmt in der blauen Adria
Es knattert, als habe sich eine faustgroße Fliege im Vorhang verfangen. Ich schrecke auf. Stockfinstere Nacht. Ich blinzele zum Handy – Mittwoch, 4.53 Uhr. In der Küche sehe ich durchs Ostfenster auf die blitzerhellte Bucht. Donnern übertönt das Surren aus dem Schlafzimmer. Kommt die Fähre überhaupt?
Mitte September. Wir sind per Katamaran auf die westlichste kroatische Insel gereist. Die Ferienwohnung liegt direkt am Kai – im Obergeschoss der einzigen Dorfkneipe. Hier landen Fähre und Segler, führen alle Wege vorbei. Hinter dem Haus steigt man an Stangen ins Wasser, treibt zwei Steine tiefer in der warmen See.
Ich schwimme jeden Morgen zum Hotel auf der anderen Seite. Die Boote sind draußen, die Bucht ruht still. Ein Mann schwimmt mir entgegen, eine Frau kehrt nach der Hälfte um. Die Kneipe wird ausgefegt, Möwen schreien Raben weg. Die Sonne geht über dem Pinienhügel auf. Ein Wanderweg führt zu felsigen Nischen, die sich Urlauber plan mörtelten. Dort schnorchelt man einsam, wir sehen riesige Fischschwärme. Die schönste Formation bilden Mönchsfische, die in der Tiefe stehen wie lebendige Mobiles.
Der Sommer war feucht, es duftet und rankt. Auf dem Fußballplatz blüht Löwenzahn, an den Wegen Thymian. Der Sarkophagdeckel im Olivenhain und der Weg zum U-Boot-Hafen werden regelmäßig freigeschnitten. Ein Pfad führt über den nächsten Berg und ist so steil, dass meine Knie stundenlang zittern. Wir wandern früh, mittags versinkt alles im Glitzern der Hitze, die Fischer trinken vor dem Supermarkt ihr letztes Bier.
Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.
Wir öffnen die Fenster wieder, wenn die Sonne über dem Hotel steht. Boote fahren aus, die Badestelle füllt sich. Noch einmal schwimmen, mit Weißbrot, Tomaten und Wein auf dem Balkon lungern. Wenn die Kugellampe anspringt, kommen die Angler. Wir verpassen ihnen Namen. Der »Bürgermeister« fährt im Auto auf den Kai und sitzt im Klappstuhl, während »Stirnlampe« stehend seine Angel auswirft und ihr leeres Ende im Licht seiner Lampe prüft. Eine Woche lang fangen sie keinen Fisch.
Freitag bringt die Fähre zwei Dutzend Menschen. Kinder bilden eine Bande, Frauen halten an der Badestelle Kekse und Handtücher bereit. Männer spielen im Schatten der Kneipe Karten, springen per Köpper in die Bucht. Wenn die Fische zu Abend essen, dümpelt das halbe Dorf über ihnen. In der Dämmerung fängt ein Junge einen Fisch, »Stirnlampe« staunt offenen Mundes, der »Bürgermeister« knurrt paffend. Mit Beginn der Nacht wird unten gegrillt und gesungen.
Sonntag winkt die Hafenmeisterin der vollen Fähre nach. Montag zahlt sie Geldbündel ein, ich warte in der Post zwischen Grablichtern, Buntstiften und Georg Orwells »1984«, dass das Kassen-W-Lan funktioniert. Am Dienstag gucken wir von der anderen Seite auf unsere Festung mit der Kugellampe. Wind kommt auf. Etwas Helles stakst vorbei. Eine wilde Ziegenherde! Plötzlich erhebt sich das Leittier, doppelt so groß, langer Bart, Riesenhörner. Es schaut uns an – ich sehe »Stirnlampe« flackernd wegrennen, der »Bürgermeister« sinkt auf die Knie und der weiße Bock schleudert Blitze. Ein Nebelhorn ertönt, die Fähre kommt!
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