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Gregor Kobel erhält Rückhalt
Wie Borussia Dortmunds Nummer eins wieder an Sicherheit gewonnen hat
Zürich, die Heimatstadt von Gregor Kobel, liegt im sogenannten »Global Liveability Index« hinter Wien und Kopenhagen in Europa auf dem dritten Rang. Lebensqualität und Dienstleistungen sind auf Spitzenniveau, für Sicherheit und Sauberkeit gilt das ebenso und auch das Freizeitangebot mit dem Zürichsee und dem Kultur- und Nachtleben ist verlockend. Und wer an diesem Wirtschaftsstandort keinen Job findet, sagen die Einheimischen, sei selber schuld. Trotzdem bietet die schöne Stadt nicht allen jungen Menschen den richtigen Ort zur Entfaltung.
Der derzeitige Stammtorwart von Borussia Dortmund ging mit 16 Jahren nämlich weg vom Grasshopper Club Zürich, weil ihm in der Heimat die Perspektive fehlte. Lieber ließ er sich jenseits der Grenze im Nachwuchsleistungszentrum der TSG Hoffenheim für die deutsche Bundesliga ausbilden. Jedes Wochenende hatte Kobel im Fernsehen Typen wie Oliver Kahn und Jens Lehmann bewundert. Der inzwischen beim FC Bayern arbeitende Torwarttrainer Michael Rechner erkannte als übergreifender Ausbilder im Kraichgau schnell das Talent eines ehrgeizigen Tormanns mit riesigen Händen, nur gab es ein Problem: Oliver Baumann, inzwischen deutsche Nummer eins, hatte schon damals den Platz zwischen den Pfosten gepachtet. Somit gab und gibt es bis heute keine Chancen für Nachwuchsleute, nach ganz oben durchzudringen.
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Auf dem Peak
Der Schweizer Torhüter ließ sich daher 2019 erst für ein halbes Jahr zum FC Augsburg verleihen, dann zum VfB Stuttgart, ehe er schließlich 2021 fest zu Borussia Dortmund wechselte, wo er sich anfangs mit seinen Landsleuten Roman Bürki und Marvin Hitz duellierte. »Ich habe bewusst Drucksituationen gesucht«, sagte er einmal. »Gerade auf meiner Position im Tor sind Erfahrung und der Umgang mit Druck sehr wichtige Faktoren, und die fliegen dir nicht zu. Je mehr Drucksituationen du überstehst, desto reifer wirst du.« Vielleicht ist er mit 27 Jahren just auf seinem Peak angekommen. Auf der Linie gibt es gerade kaum einen besseren Rückhalt als Kobel mit seinen famosen Reflexen. Eine schwarz-gelbe Stütze, die kaum noch Fehler macht. Schon diesen Sommer listete ihn das Fachmagazin »Kicker« als Zweitbesten der Liga hinter Péter Gulácsi von RB Leipzig in der internationalen Klasse.
»Ich verlange von Gregor nur, dass er die Bälle hält.«
Niko Kovač Trainer des BVB
Insgesamt wirkt der BVB vor dem Heimspiel in der Champions League gegen Athletic Bilbao am Mittwoch um 21 Uhr stabil wie lange nicht mehr. Wenn sich Verhaltensmuster wie der späte Einbruch bei Juventus Turin mit zwei Gegentoren in der Nachspielzeit zum 4:4 nicht wiederholen, könnten die Dortmunder ohne Umweg ins Achtelfinale einziehen. Vier Bundesligaspiele ohne Gegentor sind ein Beleg für die Prioritäten unter Niko Kovač, der nach dem 2:0-Erfolg beim FSV Mainz 05 seinen Ballfänger lobte, der mit einem präzisen Abschlag jenen Alleingang von Karim Adeyemi eingeleitet hatte, der zum Platzverweis von FSV-Schlussmann Robin Zentner führte.
»Ich verlange von ihm nur, dass er die Bälle hält. Wenn er mit dem Fuß auch noch solche Sachen hinbekommt, bin ich glücklich«, sagte Dortmunds Trainer und schob grinsend nach: »Gregor muss keine Überdinge machen, dafür wird er nicht bezahlt.« Notfalls darf er die Kugel hoch und weit nach vorne schlagen. Ein Torwart wird nicht in Verhaltensmuster gepresst, die nicht zu ihm passen, erklärte Kovac: »Seitdem ich da bin, haben wir ihm die Möglichkeit gegeben, selbst die Entscheidungen zu finden. Sein Selbstvertrauen spielt eine große Rolle.«
Kobel sammelt weiße Westen
Die Brust des 1,95 Meter großen Ballfängers scheint breiter geworden zu sein, was sich auch an seinem Verhalten in der Schweizer Nationalelf zeigt, in der er nach der EM 2024 das schwierige Erbe des beliebten Rekordnationaltorhüters Yann Sommer antrat. Als ihm bei der USA-Reise mit der »Nati« gegen die USA beim 4:0 im 13. Länderspiel endlich das erste Spiel zu null gelang, konterte Kobel die Nachfragen der nach Nashville mitgereisten Journalisten. »Ist das nur mein Gefühl oder sind die Fragen so negativ?«, merkte er verwundert an. Es entspannte sich ein kontroverser Dialog, bei dem Kobel auf seinem Standpunkt beharrte: Ohne Gegentor bleibt ein Team nur in kollektiver Wertschätzung der Defensivarbeit. Einer allein kann das nicht richten.
Seine Weste blieb danach auch in der WM-Qualifikation beim 4:0 gegen Kosovo und einem 3:0 gegen Slowenien im September weiß. Sollten Kobel und Kollegen im Oktober in Schweden und erneut Slowenien diese Serie verteidigen, würde sich die Tür zur WM 2026 in Nord- und Mittelamerika für die Eidgenossen weit öffnen. In der Bundesliga warten auch wegweisende Aufgaben: Vor der Länderspielpause geht es gegen RB Leipzig, nach der Unterbrechung zum FC Bayern. Aber genau dafür hat Gregor Kobel schließlich das schöne Zürich verlassen.
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