Agrarsubventionen trotz moderner Sklaverei

EU-Beihilfen fließen trotz schwerer Missstände bei den Arbeitsbedingungen

Migrantische Saisonarbeitskräfte, hier auf einem Himbeerfeld in Spanien, werden oft besonders schlecht behandelt.
Migrantische Saisonarbeitskräfte, hier auf einem Himbeerfeld in Spanien, werden oft besonders schlecht behandelt.

Der Fall von Ginés Vicente ist sicherlich besonders krass. Dennoch steht er steht beispielhaft dafür, wie unkontrolliert EU-Agrarbeihilfen selbst an verurteilte Ausbeuter ausgereicht werden.

Der Landwirt aus der andalusischen Gemeinde Villacarrillo ist ein alter Bekannter der spanischen Justiz. Vicente wurde schon im Jahr 2016 wegen Ausbeutung von Saisonarbeitern zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Im Prozess hatte er diese als »Neger« bezeichnet, gegenüber denen er keinerlei Verpflichtungen habe. Dennoch hat er seit 2014 von der EU gewährte Subventionen erhalten, die sich mittlerweile auf fast 120 000 Euro summieren.

Dabei gibt es sogar Mordvorwürfe gegen den Andalusier, doch er wurde aus Mangel an Beweisen für »Entführung und Verschwindenlassen« von Tidiany Coulibaly freigesprochen. Der junge Mann aus Mali hatte als Sprecher der Landarbeiter im Jahr 2013 mit Vicente über ausstehende Löhne sowie die miserbalen Arbeits- und Lebensbedingungen der Tagelöhner verhandelt. Nach einem Streit verschwand der damals 22-Jährige spurlos. Gegen Vicente wurde daraufhin ermittelt, da auf seinem Hof, auf dem Coulibaly nie gearbeitet hatte, DNA-Spuren von ihm gefunden wurden. Trotz allem zahlte Brüssel dem Landwirt weiter Subventionen. Im Jahr 2022 wurden ihm weitere 17 000 Euro an Subventionen gewährt, obwohl erneut Mordvorwürfe gegen ihn erhoben wurden. Im Vorjahr war nach einem Streit über nicht gezahlte Löhne auch der 33-jährige Ibrahima Diouf verschwunden, der in der Olivenernte im Januar 2021 für den Landwirt geschuftet hatte. Im Frühjahr wurde Vicente deshalb erneut inhaftiert, kam auf Kaution frei und wartet seither auf den Prozess. Das Problem der Ermittler: Erneut wurde bisher keine Leiche gefunden.

Der Fall aus Südspanien ist einer von insgesamt 31, die bei einer vom Journalism Fund Europe finanzierten Recherche aufgedeckt wurden. Sieben Journalisten waren daran beteiligt. Demnach sind Subventionen an verurteilte Straftäter durchaus an der Tagesordnung, wie auch der Fall eines Stadtrats der rechten Volkspartei (PP) aus Nordspanien zeigt. Der Mann wurde 2024 wegen Ausbeutung von Tagelöhnern ohne gültige Papiere zu einer Haftstrafe verurteilt, erhielt trotzdem im selben Jahr Subventionen aus Töpfen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in Höhe von 41 000 Euro.

Es gibt auch viele Fälle aus Italien, wo Landwirte zu Haftstrafen verurteilt wurden und weiter Subventionen erhielten. Besonders krass ist ein Fall aus dem Piemont. Der Landwirt erhielt erhielt im Jahr des Urteils Subventionen im Umfang von 90 000 Euro. Im Folgejahr, als er die Haft schon angetreten hatte, waren es sogar mehr als 110 000 Euro.

Dass es in der europäischen Landwirtschaft eine Art moderne Sklaverei gibt, weiß auch die EU längst. Die Vorgänge hatte auch der damalige UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut vor fünf Jahren bestätigt. Philip Alston hatte berichtet, Menschen in Andalusien müssten »wie Tiere« leben. Die Bedingungen konkurrierten mit den schlechtesten, »die ich je auf der Welt gesehen habe«, so der Professor für Völkerrecht.

Auch wegen des Berichts hat die EU mittlerweile eine »soziale Konditionalität« eingeführt, um Zahlungen an Betriebe zu unterbinden, die sich nicht an Sozialstandards halten. Die gilt in der gesamten EU, seit 2023 in Italien und seit 2024 in Spanien. Trotz allem werden laut der Enthüllungen noch immer Gelder an Landwirte ausgezahlt, die sich nicht einmal an grundlegende Arbeitsstandards halten.

Die Journalisten weisen zudem darauf hin, dass es auch in EU-Mitgliedstaaten wie Deutschland an Kontrollen von Agrarbetrieben fehle. Die Behörden seien überlastet, 2500 offene Stellen nicht besetzt. Die IG BAU fordert indes eine »Ausweitung der Kontrollen, damit die soziale Konditionalität kein zahnloser Tiger wird«, wird Jörg Heinel, Abteilungsleiter für Forst und Agrar bei der Gewerkschaft, zitiert.

Es ist daher kein Wunder, dass die Recherche zu dem Ergebnis kommt, dass EU-Agrarbeihilfen weitgehend ohne soziale Bedingungen vergeben werden und es »strukturelle Mängel« bei der Konditionalität gebe. So schreiben die Journalisten: »Da es keine realen Kontrollen zur Einhaltung des Arbeitsrechts gibt, haben landwirtschaftliche Betriebe, die wegen Ausbeutung ihrer Arbeitnehmer verurteilt wurden oder gegen die ermittelt wird, weiterhin Millionen an EU-Beihilfen erhalten, ohne dass dies Konsequenzen hatte.«

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