Valencia: »Mörder«-Präsident muss Hut nehmen

Regierungschef Mazón der Region Valencia zieht ein Jahr nach der Todesflut Konsequenzen

2. November 2024, nachdem die Stadt Paiporta in der Region Valencia von verheerenden Überschwemmungen heimgesucht worden war.
2. November 2024, nachdem die Stadt Paiporta in der Region Valencia von verheerenden Überschwemmungen heimgesucht worden war.

Eigentlich hätte der Regionalpräsident der spanischen Region Valencia schon vor einem Jahr zurücktreten müssen. Doch erst mussten ihn vor laufenden Kameras auf einer Trauerfeier zum Jahrestag der Flutkatastrophe die Angehörigen der 229 Todesopfer als »Mörder«, »Dreckschwein« und »Mistkerl« beschimpfen und auch dort seinen Rücktritt fordern, bis dessen rechte Volkspartei (PP) nun die Reißleine zog. Denn seit einem Jahr steht fest, dass Carlos Mazón für die Opfer der Flutkatastrophe vom 29. Oktober zentral mitverantwortlich war. Er hatte, obwohl der spanische Wetterdienst sogar die Alarmstufe Rot ausgerufen und vor »sintflutartigen Niederschlägen« gewarnt hatte, am Mittag sogar öffentlich Entwarnung gegeben. Als um 20.11 Uhr dann Warn-SMS an die Bevölkerung gingen, war die Mehrzahl der Opfer schon ertrunken.

Dass Mazón am Montag vom PP-Chef Alberto Núñez Feijóo zum Rücktritt gezwungen wurde, hat vor allem mit der veränderten politischen Lage in Spanien zu tun. Denn auch auf nationaler Ebene ist Mazón für seine PP zur untragbaren Last geworden. Diese will der Oppositionsführer Feijóo loswerden, da er auf vorgezogene Neuwahlen in Spanien setzt. Diese werden immer wahrscheinlicher, da vergangene Woche die sozialdemokratische Regierung unter Pedro Sánchez den katalanischen Unterstützer »Gemeinsam für Katalonien« (JxCat) von Carles Puigdemont wegen nicht umgesetzter Zusagen verloren hat. Sánchez hat ohne die Stimmen der JxCat keine Mehrheit. Ohne JxCat konnte er schon die vergangenen zwei Jahre keinen Haushalt verabschieden und kann das nun auch im dritten Jahr nicht.

Mazón wird der PP zur Last

Vor diesem Hintergrund ist der Schwenk von Feijóo zu verstehen. Dieser hatte sich trotz nachgewiesener Lügen von Mazón noch bis vergangene Woche hinter seinen Parteikollegen gestellt, obwohl der wegen »kriminellem Handeln« am Katastrophentag zum »Mörder« geworden sei, wie auch die Überlebende Susy Alfonso gegenüber »nd« erklärt hatte. Sie und ihre Söhne überlebten die Flut in der Kleinstadt Cataroja nur, weil sie auf der Arbeit waren. Allerdings hat die Familie sonst alles verloren.

Erstmals trafen die Angehörigen der Opfer bei der Trauerfeier am Jahrestag im Beisein von Sánchez, Feijóo und dem König Felipe VI. auf Mazón. Der Regionalpräsident hatte sich zuvor stets vor ihnen versteckt. Deshalb hatten sie gefordert, er solle nicht an der Feier teilnehmen. Auch darüber setzte sich Mazón hinweg und schaufelte sich sein politisches Grab. Die Bilder, wie er verbal von Opfern angegriffen wurde, die Bilder ihrer »ermordeten« Angehörigen in die Kameras hielten, flimmerten live über die Bildschirme im ganzen Land. So musste auch Feijóo erklären, dass »Mazón alle Fragen beantworten« müsse. Das kann und will dieser offenbar nicht.

Mazón ließ im Krisenstab auf sich warten

Nach einem Treffen mit Feijóo erklärte Mazón am Montag dann: »Die Situation wurde für meine Familie und mich unerträglich.« Er könne nicht mehr. Seit einem Jahr stehe er im Mittelpunkt von Kritik, Hass und Spannungen. Er unternahm erneut einen Ablenkungsversuch und meinte, die Zentralregierung habe ihn aus »politischem Kalkül« im Stich gelassen. Niemand nimmt ihm das ab, denn er hat bislang nicht einmal aufgeklärt, was er in all den Stunden getan hatte, bevor und als die Flutwelle die Region traf. Das Wort »Rücktritt« nahm er auch nicht in den Mund. Auch will er dem Souverän nicht das Wort erteilen und Neuwahlen in der Region ansetzen. Das Schicksal legt er lieber in die Hand der ultrarechten Partei Vox, mit der er regiert. Er tritt definitiv erst ab, wenn mit Vox ein Nachfolger ausgehandelt worden ist.

Dass die Entscheidung am Montag fiel, hatte auch damit zu tun, dass an diesem Tag die Journalistin Maribel Vilaplana vor der Ermittlungsrichterin Nuria Ruiz aussagen musste. Sie war als Zeugin gezwungen, die Wahrheit zu sagen. Mit der Frau will Mazón am Unglückstag vier Stunden bis 18 Uhr 45 beim Mittagessen gesessen und sie in ein Parkhaus in Valencia begleitet haben, während die Bevölkerung im Umland um das nackte Überleben kämpfte. Auch Vilaplana war fast ein Jahr abgetaucht und trug nichts zur Aufklärung bei. Selbst wenn nun dieser neue Zeitplan stimmt, bleibt noch immer die Zeitspanne ungeklärt, bis Mazón endlich im Krisenstab eintraf, wo um 20.11 Uhr die Warnung abgeschickt wurde. Zwischenzeitlich war er auch für seine im Krisenstab sitzende Ministerin nicht mehr erreichbar, die ihn zuvor über die Katastrophenlage unterrichtet hatte. Das hatte Salomé Pradas vor der Richterin erklärt. Sie war zurückgetreten und ist als ehemalige Justiz- und Innenministerin – anders als Mazón – schon angeklagt.

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