Fußballstadien: Recht auf freie Meinungsäußerung bedroht

Christoph Ruf sieht den demokratischen Protest im Fußballstadion in Bedrängnis

Fifa und BlueCo-Gruppe – Fußballstadien: Recht auf freie Meinungsäußerung bedroht

Einer der einst charismatischsten Vereine des französischen Fußballs, Racing Strasbourg, hat zuletzt Pech gehabt. An den Ergebnissen lässt sich das nicht festmachen. Racing hat gerade 5:0 gewonnen und belegt einen erstaunlichen dritten Tabellenplatz. Das freut die Mehrheit der Fans, für die Fußball vor allem eine zeitgemäße Fortführung des altrömischen »Brot und Spiele« ist. Womit sie im Übrigen recht haben.

Auch der harte Kern der Kurve – Fan bleibt Fan – gewinnt lieber, als er verliert. Doch für die »Ultra Boys 90« gibt es Wichtigeres als ein paar Tore. Racing gehört seit 2023 der BlueCo-Gruppe, die mit Chelsea auch einen der größten Akteure des Weltfußballs besitzt. Seither ist Racing zum Farmteam für London degeneriert. In der BlueCo-Zentrale wird entschieden, welcher Spieler verpflichtet und wer davon zunächst in Ostfrankreich geparkt wird.

Gegen den Ausverkauf ihres Clubs haben die Ultras mit einem Transparent demonstriert, das den Präsidenten zum Rücktritt aufforderte und den Kapitän, der 2026 nach Chelsea wechselt, dazu aufrief, seine Kapitänsbinde abzugeben. Der Verein, also BlueCo, erließ daraufhin allerlei Sanktionen gegen die aktive Fanszene. Dabei gäbe es Racing, das 2011/2012 insolvenzbedingt in der fünften Liga kickte, ohne das Engagement der Ultras gar nicht mehr.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

Noch merkwürdiger als die Restriktionen war die ausschweifende Begründung, wonach man künftig alle »Äußerungen mit politischen, ideologischen, philosophischen, beleidigenden oder diskriminierenden (...) Inhalten« sanktionieren werde und sich gegen »rassistische, xenophobe oder homophobe Inhalte« verwahre. Hat bei BlueCo wirklich jemand gedacht, dass sich das Transparent mit der Aufschrift »Emegha, Marionette von BlueCo« gegen Kapitän Emanuel Emegha gerichtet habe, weil der schwarz ist? Wohl kaum, nicht nur, weil man selbst in London weiß, dass die »Ultra Boys« keine rechte Gruppierung sind und sieben von elf Spielern der ersten Elf ebenfalls schwarz sind.

Warum also der Hinweis, dass man sich gegen »Rassismus und Homophobie« ausspreche? Weil sich so – hinter einem Statement, mit dem sich (hoffentlich) die meisten solidarisieren können – jeder demokratische Protest erstickt lässt: Gerade hat der Fußballweltverband Fifa, eine der korrumpiertesten Organisationen des Globus, ein »Disziplinarreglement« erlassen, mit dem künftig auch gegen Fans vorgegangen werden kann, die gegen eine WM-Vergabe nach Katar oder Saudi-Arabien oder gegen Fifa-Boss Gianni Infantino protestieren. Unter der Überschrift »Diskriminierung und rassistische Beleidigung« werden Vergehen aufgeführt, die nicht das Geringste mit rassistischen Beleidigungen zu tun haben. Bestraft wird künftig, wer den Reichtum anderer (an wen sie da wohl gedacht haben?) thematisiert oder »die Würde oder Integrität eines Landes, einer Person oder einer Gruppe von Menschen durch verächtliche, diskriminierende oder herabwürdigende Worte oder Handlungen« verletzt.

Anders gesagt: Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist in Fußballstadien künftig ausgesetzt – durch Menschen, die zu Antirassismus ein rein instrumentelles Verhältnis haben. Sehr zur Freude von BlueCo, das die Fifa-Pläne offensichtlich schon seit Längerem kennt.

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