- Politik
- Einwanderung und Asyl
Flucht und Migration als Gefahr
Schwarz-Rot schafft »Turbo-Einbürgerung« ab und bringt neue Asylrechtsverschärfungen auf den Weg
Was der Bundestag am Mittwochabend beschlossen hat, war im Grunde genommen eher Symbolpolitik: die Abschaffung der Möglichkeit einer schnelleren Einbürgerung von Migranten. Damit wird eine von der Vorgängerregierung von SPD, Grünen und FDP beschlossene Regelung schon ein Jahr nach ihrem Inkrafttreten wieder kassiert. Diese sah ohnehin nur für wenige, »besonders gut integrierte« Einwanderer den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft bereits nach drei Jahren vor.
Künftig dürfen Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft wieder ohne Ausnahme erst nach fünf Jahren in Deutschland beantragen. Dafür stimmten 450 bzw 77 Prozent der anwesenden Abgeordneten. Die Koalition von Union und SPD kommt zusammen auf insgesamt 328 Abgeordnete. Grüne und Linke dürften geschlossen dagegen gestimmt haben.
Die Union hatte suggeriert, mit der »Turbo-Einbürgerung« werde diese »zum Schleuderpreis« vergeben. Das hat nichts mit der Realität zu tun, denn die Hürden sind so hoch, dass sie kaum jemand erfüllen könne, sagte zum Beispiel Mohammad Alabbadi, Leiter der Einbürgerungsbehörde Neumünster, dem NDR. Die Anwärter müssten sehr gut Deutsch sprechen, ihren Lebensunterhalt unabhängig bestreiten und sich darüber ehrenamtlich engagieren. Daher machen solche Fälle in Ländern wie Schleswig-Holstein nur ein bis zwei Prozent aller Einbürgerungen aus. Und sie betreffen fast ausschließlich gut verdienende Hochqualifizierte wie Ärzte.
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Alexander Throm (CDU), erklärte am Mittwoch, mit der Gesetzesänderung korrigiere man »einen zentralen Fehler der Ampel-Regierung«. Die Einbürgerung müsse »am Ende eines gelungenen Integrationsprozesses stehen«. Drei Jahre seien dafür zu kurz. Throms Fraktionskollegin Cornell-Anette Babendererde (CDU), befand, man gebe »dem deutschen Pass heute den Wert zurück, den er verdient«. Es gebe nämlich »leider auch schwarze Schafe, die sich mit falschen Sprachzertifikaten die Staatsangehörigkeit erschleichen wollen«.
Derweil kam scharfe Kritik von den Grünen und der Linken – aber auch von Martin Werding, Mitglied des Sachverständigenrates für wirtschaftliche Entwicklung. Solche Einbürgerungsmöglichkeiten gehörten zu einer guten Zuwanderungspolitik, vor allem in alternden Gesellschaften, sagte er am Mittwoch im RBB24-Inforadio. Die Koalition denke nicht an die Erwerbsmigranten, die »bei Fachkräftemangel enorm hilfreich« seien. Ohnehin seien die Ziele der Regelung verfehlt worden, mit der man gut ausgebildete und ehrgeizige Erwerbsmigranten habe anziehen wollen. Die Hürden seien aber auch für sie sehr hoch gewesen.
Derweil wird der Bundestag an diesem Donnerstag über die Umsetzung der Verschärfungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas) in deutsches Recht beraten. In Arbeit ist auch ein Gesetzentwurf zur Bestimmung sogenannter sicherer Herkunftsstaaten durch einfache, von der Bundesregierung erlassene Rechtsverordnung einerseits und zur Abschaffung des anwaltlichen Pflichtbeistandes für Menschen in Abschiebehaft andererseits. Diese Pläne hatten zahlreiche Experten am Montag in einer Anhörung des Innenausschusses des Bundestages bereits als rechtswidrig eingestuft.
Am Mittwoch ließ die Bundestagsfraktion der Grünen ihrerseits Fachleute zu Wort kommen, deren Einschätzungen in dieselbe Richtung gehen. Filiz Polat, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, erinnerte an den sogenannten Asylkompromiss von 1993, mit dem das Grundrecht auf Asyl im Grundgesetz bereits stark eingeschränkt wurde. Aus jener Zeit rühre das »Konzept der sicheren Herkunftsstaaten«, ausformuliert im neuen Artikel 16a des Grundgesetzes. Damals sei aber die Entscheidung über sichere Herkunftsstaaten Bundestag und Bundesrat zugewiesen worden, um die Beteiligung der Bundesländer und Oppositionsparteien zu sichern, so Polat.
Thorsten Kingreen, Professor für öffentliches Recht, Sozialrecht und Gesundheitsrecht an der Uni Regensburg, unterstützte Polats Auffassung, dass eine Festlegung solcher Staaten ohne Befassung des Parlaments und des Bundesrates damit nicht verfassungskonform sei. Beschließt die schwarz-rote Koalition die Neuregelung dennoch, so sei eine Verfassungsklage dagegen erfolgversprechend, so seine Einschätzung. Helge Limburg, rechtspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, betonte indes: »Unser Hauptziel ist es, die Koalition auf den Pfad der rechtsstaatlichen Tugend zurückzuführen.«
Limburg kritisierte auch die geplante Abschaffung des Pflichtbeistands in Ausreise- und Abschiebegewahrsam deutlich. Asylverfahren würden durch den Verzicht darauf nicht beschleunigt, im Gegenteil. Anwälte könnten Gerichten Arbeit bei der juristischen wie sprachlichen »Übersetzung« von Verfahrensinhalten gegenüber den Betroffenen abnehmen.
Jara Al-Ali, Hannah Franz und Lina Marie Tietze von der Uni Hamburg stellten erste Ergebnisse zu einer Studie zum Pflichtanwalt in Abschiebungshaft vor. Sie betonten am Mittwoch, dass Menschen, die keine Straftat begangen haben, bis zu 18 Monate lang ihrer Freiheit beraubt werden dürfen. Mithin sei ein Verfahrensbeistand rechtlich zwingend. Notwendig sei das auch angesichts der enormen Zahl der Rechtsfehler bei Bescheiden, die eine Abschiebehaft verfügten, so Limburg. Dies betreffe mehr als 60 Prozent der Bescheide.
Freilich haben die Grünen in der Ampel mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz die Möglichkeiten zur Ausweitung der Abschiebehaft auf 18 Monate mitbeschlossen. Ein Rechtsbeistand in Abschiebehaft ist nicht für Widersprüche gegen negative Asylbescheide zuständig, sondern kann lediglich die Abschiebehaft anfechten.
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.