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Hamburger Zukunftsentscheid: Der Erfolg der Straße
Hamburgs Bürger setzen schärfere Klimaziele gegen Widerstand von Senat, Wirtschaft und großen Teilen der Politik durch
Hamburg setzt neue Maßstäbe im Klimaschutz: Eine Mehrheit der Wahlberechtigten hat sich am Sonntag in einem Volksentscheid für strengere Klimaziele ausgesprochen. »Hamburg ist ab jetzt das einzige Bundesland, dessen Menschen sich ihr Klimaschutzgesetz selbst gegeben haben«, erklärten die Initiatoren des sogenannten Zukunftsentscheids ihren Erfolg. »Weil sie sich entschieden haben, nicht länger untätig zusehen zu wollen, sondern die notwendigen Maßnahmen anzugehen.« Jetzt werde Hamburgs Klimapolitik sozial, planbar und verantwortungsbewusst.
Die Hamburgische Bürgerschaft und der rot-grüne Senat müssen demnach die Klimaneutralität der Stadt um fünf Jahre auf 2040 vorziehen. Laut Landeswahlamt stimmten mehr als 300 000 Menschen für den Entscheid, rund 267 000 dagegen. Die Abstimmungsbeteiligung lag nach bisherigen Zahlen bei 43,6 Prozent.
Der neue Gesetzentwurf sieht jährliche CO2-Obergrenzen vor. Konkrete Ziele für Sektoren wie Verkehr, Industrie, Haushalte und Gewerbe sollen sich aus dem Klimaplan der Stadt ableiten, der regelmäßig aktualisiert wird. Ein Monitoring-System soll die Einhaltung der Zwischenziele prüfen. Wird ein Ziel verfehlt, sollen Sofortprogramme greifen – verpflichtend und außerhalb parlamentarischer Kontrolle.
Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) reagierte zurückhaltend. Zwar respektiere man das Votum, doch die Initiative habe keine konkreten Maßnahmen vorgelegt, wie das 2040-Ziel erreicht werden könne. Tschentscher rief zu einer breiten gesellschaftlichen Anstrengung auf: »Nur gemeinsam können wir die bisherigen Ziele erreichen – und erst recht die, die uns der Volksentscheid zusätzlich auferlegt.«
Wirtschaft und Handwerk not amused
Kritik kommt auch von der Hamburger Wirtschaft. Handelskammer, Industrieverband, Handwerkskammer und mehrere Immobilienverbände hatten sich im Vorfeld gegen den Entscheid ausgesprochen. Zwar verfolgt die Handelskammer selbst das Ziel der Klimaneutralität bis 2040, doch Präsident Norbert Aust sprach von »starren Vorgaben« und »bürokratischen Gremien«, die jetzt auf die Hansestadt zukämen. Diese seien nicht der richtige Weg, um marktwirtschaftlich getragenen Klimaschutz umzusetzen. Man wolle sich aber konstruktiv in die Umsetzung einbringen.
Die Volksinitiative war von der Klimabewegung Fridays for Future angestoßen worden. Zuletzt unterstützten mehr als 160 Sozialverbände, Wirtschaftsunternehmen und Kultureinrichtungen das Anliegen, darunter die Umweltverbände BUND, Greenpeace und Nabu, die Gewerkschaft Verdi und der FC St. Pauli.
Grünen-Fraktion gegen Volksentscheid
Der Senat und mit Ausnahme der Linken alle Bürgerschaftsfraktionen waren gegen eine Verschärfung der Klimaschutzziele. Eine Besonderheit war dabei jedoch, dass die Grünen als Fraktion gegen den Zukunftsentscheid waren, ihn als Partei aber befürworteten.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Rosa Dom, sieht nach der Verkündung des Ergebnisses jedoch mehr Chancen als Risiken vom Gesetz ausgehen: »Die Hamburger*innen haben heute ein Zeichen gesetzt, das weit über die Stadtgrenzen hinausgeht.« In Zeiten, in denen Klimaschutz in vielen Teilen der Welt infrage gestellt wird, habe Hamburg gezeigt: »Diese Stadt lässt nicht locker – sie will vorangehen.«
Ein Gutachten des Hamburg-Instituts und des Öko-Instituts im Auftrag der Stadt beschreibt weitreichende Veränderungen, die mit dem neuen Klimaziel verbunden sind. So sollen bis 2040 alle Gas- und Ölheizungen in Wohn- und Nichtwohngebäuden ersetzt und das gesamte Gasnetz stillgelegt werden. Die Sanierung des Gebäudebestands müsse deutlich beschleunigt werden. Auch der Einbau von Heizsystemen auf Basis erneuerbarer Energien – etwa Wärmepumpen – solle schon jetzt stärker forciert werden.
Im Verkehrsbereich empfiehlt das Gutachten Tempo 30 als neue Regelgeschwindigkeit im gesamten Stadtgebiet sowie eine spürbare Reduzierung des Autoverkehrs. Für den Hafen werden Umweltzonen ins Spiel gebracht. In der Industrie müssten fossile Brennstoffe wie Erdgas, Petrolkoks und Raffinerie-Gas vollständig durch Wasserstoff oder E-Fuels ersetzt werden. Zudem sei die vollständige Elektrifizierung der Mobilität bis spätestens 2040 erforderlich.
Hamburgs Zweite Bürgermeisterin und Umweltsenatorin Katharina Fegebank (Grüne) forderte am Montag Unterstützung von Bund und EU: »Wir leben in einer Zeit des klimapolitischen Rollbacks, in der Klimaziele offen infrage gestellt werden – in Deutschland wie in Europa.« Der Entscheid sende ein positives Signal, doch Hamburg könne die Umsetzung nicht allein stemmen.
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