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Vertreibung aus dem Paradies
Eine Ausstellung im Kunstforum Berliner Volksbank versammelt nur selten zu sehende Künstler der späten DDR
Die überwiegende Mehrheit der Menschen lebt heute in urbanen Zusammenhängen, Ballungsräumen oder Kleinstädten. Die Stadt als Spannungsfeld ist daher eines der häufigsten Sujets in der bildenden Kunst, in dem Gesellschaft verhandelt und Zukunftsfragen gestellt werden.
Das lässt sich derzeit sehr schön in der Ausstellung »Wohnkomplex. Kunst und Leben im Plattenbau« im Potsdamer Kunsthaus »Das Minsk« besichtigen. Der DDR-typische serielle, typologisierte Wohnungsbau als ikonisches Symbol eines sozialistischen Lebensstils findet in dieser Ausstellung eine späte Würdigung. Gezeigt werden etwa 50 Werke, die das Phänomen Plattenbau unter verschiedenen Aspekten verhandeln. Erstaunlich ist, dass ein Großteil, wenn nicht die Mehrheit der versammelten Werke aus der Zeit nach 1990 bis in die Gegenwart stammt. Die Typologisierung des Wohnens hat ihre zweifelhafte Faszination offenbar bis heute nicht verloren, steht sie doch stellvertretend für eine gesellschaftliche Vision und ihr Scheitern.
Einer der vertretenen Künstler ist der Ostberliner Maler Christian Thoelke. Der 1973 Geborene steht prototypisch für eine Generation, die bis heute an einem bisweilen unerklärlichen Phantomschmerz laboriert und sich nicht mehr scheut, den Untergang der DDR und dessen Folgen auch als Verlusterfahrung zu beschreiben. Einen Namen hat sich Thoelke mit großformatigen Gemälden gemacht, die den Bedeutungsverlust des Plattenbaus nach der Wende beschreiben und zum Anlass für elegische Motive von Verlust und Abriss nehmen. Sein in Potsdam hängendes Bild der mit Graffiti übersäten Ruine einer »Kaufhalle« erzählt von einer mentalen Unbehaustheit, die sich auch nicht durch das überbordende Warenangebot der Konsumgesellschaft kompensieren lässt.
Thoelkes Bilder reihen sich ein in die seit einigen Jahren anhaltende Suche nach einer neuen und anderen Erzählung, mit der sich Ostdeutsche ihre Geschichte und deren Interpretation allmählich (zurück-)erobern. Zeitgleich zu der Schau in Potsdam hängen seine Bilder derzeit und noch bis Dezember im Kunstforum Berliner Volksbank, tief im Westen Berlins in Charlottenburg. Die Ausstellung »Paradies« versammelt Thoelkes in den letzten Jahren entstandenen Bilder, die alle um das Thema der zu Beton geronnenen Identität kreisen. Einst Ausdruck einer gesellschaftlichen Utopie, blickt er aus der Jetztzeit auf deren Überreste und findet: keine Vision mehr, nirgends. Die Ansichten verlassener Plattenbauten, ausgedienter Spielplätze oder leer stehender Konsumläden strahlen die Melancholie des Verfalls aus, ohne einen Ausweg zu bieten.
Die Ausstellung geht jedoch weit darüber hinaus; Thoelke war es gestattet, Werke aus der Kunstsammlung der Berliner Volksbank auszuwählen und mit seinen eigenen Bildern in einen Dialog treten zu lassen. Mit wenigen Ausnahmen hat er sich für den retrospektiven Blick auf die Kunst der späten DDR entschieden, der seine eigene Perspektive erheblich erweitert und die frühen Einflüsse und Prägungen nachvollziehbar macht. Man muss Thoelke geradezu danken, dass er uns eine Wiederbegegnung mit heute selten zu sehenden, aber einst so bekannten Namen wie Arno Mohr, Ursula Strozynski, Manfred Butzmann, Trak Wendisch, Konrad Knebel und vielen anderen Ostkünstlern ermöglicht.
Für ausgewachsene Melancholiker muss das Ostberlin der 80er Jahre Stein gewordener Ausdruck ihres Lebensgefühls gewesen sein.
Erstaunlich an dieser Zusammenstellung ist vor allem, dass eine Institution wie die Stiftung Kunstforum Berliner Volksbank (West) offenbar schon zu einer Zeit begonnen hat, Kunst aus der DDR zu sammeln, als diese im westdeutsch bestimmten Diskurs keine große Wertschätzung erfuhr. Das zahlt sich nun, da diese Kunst inzwischen eine deutliche Neubewertung erfahren hat, aus.
Von ideologisch überfrachteter »Staatskunst« sind die ausgewählten Werke sowieso weit entfernt. Sie beschränken sich auf das Abbild der Stadt, wobei diese Stadtlandschaften freilich als Spiegel ihrer Zeit zu sehen sind. Von Westlern, die Ostberlin vor 1989 besucht haben, ist häufig überliefert, ihnen komme es vor, als sei hier die Nachkriegszeit konserviert worden.
In der Tat muss für ausgewachsene Melancholiker das Ostberlin der 80er Jahre, besonders die Altbauquartiere in Prenzlauer Berg oder Mitte, Stein gewordener Ausdruck ihres Lebensgefühls gewesen sein. All die Bilder von verwitterten Brandmauern, Hinterhöfen und Mietskasernen, für die vor allen anderen Konrad Knebel steht. Auch wenn seine naturalistischen Ölbilder aus dem Prenzlauer Berg nur einen Ausschnitt des Gesamtbildes der Stadt zeigen, sind sie doch Zeitdokumente, die die innere und äußere Stagnation im vergehenden Staatswesen widerspiegeln. Heute sind sie eine ferne Erinnerung daran, wie sehr die verfallende Bausubstanz und der Stillstand die Stadt und ein Lebensgefühl geprägt haben.
Natürlich wurde Künstlern wie Knebel, aber auch Butzmann, Strozynski und anderen von den Funktionären vorgeworfen, sie würden lediglich die finsteren Ecken der Hauptstadt darstellen, aber nicht die repräsentativen Stätten des sozialistischen Städtebaus. Zumindest für den Grafiker Manfred Butzmann lässt sich dieser Vorwurf nicht aufrechterhalten; in seiner Grafikmappe »Steinernes Berlin«, die die Ausstellung umfänglich präsentiert, hat Butzmann durchaus viele Motive des neuen Berlin verarbeitet. Aber ach, auch daran werden die Kunstverantwortlichen kaum Freude gehabt haben, weist Butzmann in seinen Radierungen doch auf viele Unstimmigkeiten hin; Gebäude, die fremd zueinander stehen, die sich in den Proportionen nicht aufeinander beziehen, sie im Gegenteil zerstören.
Ergänzt werden diese Grafiken durch Ursula Strozynskis Radierungen von Berliner Orten oder Trak Wendischs Serie »Berliner Brücken«. Beide verstehen Architektur als gebautes Wertesystem, und nicht zufällig strahlen beider Bilder eine gewisse Schwermut aus, die wohl dem damaligen Lebensgefühl recht nahekam. Viele der Werke in der Ausstellung beziehen sich dergestalt aufeinander, zusammen ergeben sie einen vielstimmigen Chor.
»Paradies. Stadtlandschaft als Spiegel der Zeit«, noch bis 7. Dezember in der Stiftung Kunstforum der Berliner Volksbank, Kaiserdamm 105 in Berlin-Charlottenburg.
»Wohnkomplex. Kunst und Leben im Plattenbau«, bis 8. Februar 2026 im Kunsthaus »Das Minsk«, Potsdam.
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