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Süße Tiere, große Schäden: Was tun gegen die Waschbärenplage?
Christian Klemm spricht mit dem nd-Wissenschaftsexperte Steffen Schmidt über invasive Tierarten
Steffen, Waschbären breiten sich rasant in Deutschland aus. Warum ist das ein Problem?
Eines der Hauptprobleme dieser Ausbreitung ist, dass Waschbären Nahrungskonkurrenten für andere Tiere sind. Und sie sind Allesfresser. So sind sie beispielsweise an der Dezimierung der ohnehin gefährdeten Amphibienbestände beteiligt. Zudem richten sie dort, wo Menschen leben, teils erhebliche Schäden an. Auf der Suche nach einem Quartier können die pfiffigen Tiere auch Dachziegel abheben.
Das heißt, die süßen Waschbären bedrohen die Artenvielfalt bei uns?
Genau so ist es.
Woher kommen die Tiere eigentlich? Sie sind ursprünglich nicht bei uns in Mitteleuropa heimisch, oder?
Die Tiere stammen ursprünglich aus Nordamerika. Sie wurden von Pelztierzüchtern hier in Europa eingeführt. Und der erste Ausbruch aus solchen Pelztierfarmen war gar keiner, sondern eine gezielte Freisetzung. Vor rund 90 Jahren war das, in Hessen. Man hat damals ein Pärchen Waschbären ausgesetzt – ausgerechnet mit einem trächtigen Weibchen. Angeblich zur Bereicherung der heimischen Natur.
Dr. Steffen Schmidt, Jahrgang 1952, ist der Universalgelehrte der Redaktion. Auf fast jede Frage weiß er eine Antwort – und wenn doch nicht, beantwortet er eine andere. Christian Klemm sprach mit ihm über die Waschbärenplage in Deutschland.
Wie viele von den Tieren gibt es inzwischen bei uns? Ich habe gelesen, dass sich allein in Kassel zwischen 10 000 und 30 000 Tiere rumtreiben sollen.
Wir haben keine eindeutigen Zahlen, aber die Schätzungen zur Population sind teilweise sehr hoch. Da ist von bis zu zwei Millionen Tieren die Rede. Die Waschbären werden inzwischen weithin als Problem erkannt. Sie sind praktisch in allen Bundesländern im Jagdrecht untergebracht und können in mindestens drei Bundesländern ganzjährig bejagt werden. In Bremen fallen sie interessanterweise nicht unter das Jagd-, sondern unter das Schädlingsrecht.
Was tun?, hat bereits ein bekannter russischer Revolutionär gefragt. Töten? Ich habe von einem Sterilisationsprojekt gehört.
Sterilisierung ist sicher eine Möglichkeit, aber bei den vorhandenen Größenordnungen ist fraglich, ob das funktioniert. Alle Ideen zur Kontrolle lästiger Tiere in der Stadt, ob Tauben oder Ratten, hatten bisher nur mäßigen Erfolg. Der Waschbär bleibt als invasive Art ein Problem.
Invasive Art? Was bitte ist das?
So bezeichnet man gebietsfremde Tier- und Pflanzenarten, die sich schnell verbreiten und dabei die Funktion eines Ökosystems beeinträchtigen oder heimische Arten massiv verdrängen. Ihre Einführung geht im Übrigen nicht auf den Klimawandel zurück, sondern auf menschliche Dummheit – sei es durch Pelztierzüchter oder als exotische Zierpflanzen im Baumarkt, die Schadinsekten mitbringen.
Eine andere Art, ähnlich problematisch wie der Waschbär, ist der Ochsenfrosch. Der frisst in Süddeutschland ganze Teiche leer.
Invasive Tierarten können sich deshalb so verbreiten, weil sie in der Regel keine natürlichen Feinde haben. Das weiß man schon länger. In Australien hat man eine ziemliche Bauchlandung erlitten, als man zur Bekämpfung von ebenfalls invasiven Schadinsekten in Zuckerrohrplantagen die Aga-Kröte aus der Karibik einführte. Die sind anders als Ochsenfrösche auch noch ziemlich giftig und so groß, dass sie auch schon mancher dortigen Schlange im Hals stecken geblieben sein sollen. Die Schadinsekten blieben – und die Kröten vermehrten sich prächtig.
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