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Berlin: Alt, arm und außen vor

Grüne fordern Kommission, um Armut im Alter zu bekämpfen

Heizen oder essen? Angesichts mickriger Renten müssen viele alte Menschen darauf achten, ihre Münzen beisammenzuhalten.
Heizen oder essen? Angesichts mickriger Renten müssen viele alte Menschen darauf achten, ihre Münzen beisammenzuhalten.

Mit einer Expertenkommission will die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus der zunehmenden Altersarmut in Berlin begegnen. Einen entsprechenden Antrag, der »nd« vorliegt, will die Fraktion den Abgeordneten zur Abstimmung vorlegen.

»Wir dürfen nicht zulassen, dass wir Menschen in Berlin im Alter arm und einsam zurücklassen und so ihre Würde verletzen«, begründet Sozialpolitiker Taylan Kurt die Initiative seiner Fraktion gegenüber »nd«. Mittlerweile gelte jede*r fünfte Berliner*in als arm, heißt es in der Antragsbegründung. Besonders unter Senior*innen würde die Armutsquote steigen. Zahlen des Statistischen Bundesamtes zufolge galten 2024 deutschlandweit 19,4 Prozent der Menschen über 65 Jahre als armutsgefährdet. Für Frauen lag der Wert in dieser Altersgruppe bei 21,4 Prozent.

Analog zur Kommission zur Prävention von Kinder- und Familienarmut soll das von den Grünen geforderte Gremium eine Strategie gegen Altersarmut entwickeln. Am Ende sollen spezifische Angebote für Betroffene in den Bezirken stehen, die zuvor unter Einbeziehung verschiedener Akteure, darunter auch freie Träger, Senior*innenorganisationen und Wissenschaftler*innen, entwickelt wurden. Gleichzeitig soll »die Armutssensibilität bei den zuständigen Stellen erhöht« werden, heißt es zur Begründung weiter.

Als Bundesland könne Berlin nur eingeschränkt Einfluss auf die Ursachen von Altersarmut nehmen. Man wolle aber die Folgen abfedern und Teilhabemöglichkeiten stärken.

»Die Sprachbarriere stellt uns bei der Vermittlung von Hilfs- und Teilhabeangeboten heute vor große Herausforderungen.«

Talyan Kurt (Grüne) Fraktionssprecher für Sozialpolitk

»Die Kommission soll Lücken in der Versorgung mit Hilfsangeboten in den Kiezen Berlins aufspüren, aber auch herausarbeiten, was bereits gut läuft und ausgebaut werden muss«, erklärt der Grünen-Abgeordnete Kurt. Die Strategie, sagt Kurt, soll dann etwa die Frage beantworten, wie Hilfen trotz Sprachbarrieren ankommen, aber auch wo Beratung fehlt und in welchen Bereichen Angebote ausgebaut werden müssen. »Ich erinnere hier nur an den abgewickelten kostenlosen Museumssonntag oder das erneut erhöhte Sozialticket der BVG«, so der Grünen-Politiker.

Er gehe von einer hohen Dunkelziffer aus, sagt Kurt, von Menschen, die zwar tatsächlich arm seien, aber nicht von der Statistik erfasst würden, wenn sie keine Sozialleistungen beantragen. Etliche alte Menschen würden Scham empfinden, »etwa wenn sie ihr Leben lang gearbeitet haben und nur eine niedrige Rente bekommen«.

Die Hilfestrukturen würden die Vielfalt der Berliner Armutsgesellschaft nicht in Gänze abdecken. Neben einer besonderen Betroffenheit von Frauen spricht Kurt von einem »Großteil der Generation der sogenannten Gastarbeiter«, der sich in Altersarmut wiederfinde. »Als die Berliner Industriestandorte, etwa die von AEG im Norden Berlins und Osram im Wedding, dichtmachten, kam es zum Bruch in den Erwerbsbiografien.« Für die Deutschkenntnisse der Arbeitsmigranten habe sich kaum jemand interessiert. Eine Sprachförderung habe kaum stattgefunden. »Die Sprachbarriere stellt uns bei der Vermittlung von Hilfs- und Teilhabeangeboten heute vor große Herausforderungen«, sagt Kurt.

Als armutsgefährdet gilt, wer über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügt. Für Singles lag der Wert 2023 in Deutschland bei 16 571 Euro im Jahr.

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