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Verfassungsbeschwerde gegen Rüstungsexporte an Israel eingelegt
Palästinenser beanstandet in Karlsruhe Genehmigungen für Lieferung von Panzergetrieben nach Israel
Bundeskanzler Friedrich Merz hatte im August angesichts der brutalen Eskalation der Kriegsführung Israels in Gaza erklärt, es werde keine weiteren Genehmigungen für Waffenexporte an Israel mehr geben. Die Aussage betraf allerdings nur Kriegswaffen, nicht jedoch viele sogenannte Dual-Use-Güter, die auch zivilen Zwecken dienen können. Bestehende Lieferzusagen waren generell nicht betroffen.
Bereits seit dem vergangenen Jahr versucht ein Palästinenser vor deutschen Gerichten, eine Rücknahme zweier konkreter Genehmigungen für die Augsburger Renk-Gruppe zur Lieferung von Panzergetrieben zu erwirken. Diese werden unter anderem in von der israelischen Armee genutzten Panzern des Typs Merkava verbaut. Zuletzt scheiterte der Mann im vergangenen Dezember vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main. Dort hat das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) seinen Sitz. Es hatte den Export der Ersatzteile gestattet und diese nicht als Kriegswaffen eingestuft.
Nun hat der Palästinenser in der Sache Verfassungsbeschwerde eingereicht. Unterstützt wird er erneut vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und von drei palästinensischen Menschenrechtsorganisationen.
Beim Verwaltungsgericht Frankfurt hatte der Kläger im Oktober 2024 sogenannten Eilrechtsschutz beantragt. Dieser wie auch die anschließende Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel wurden abgewiesen, letztere erst vor einem Monat. Nach Auffassung beider Gerichte fehlt dem Kläger die Antragsbefugnis. Es sei kein subjektives Recht des Mannes ersichtlich, das durch die Lieferung der Panzerteile verletzt worden sein könnte.
Mit der am Montag eingereichten Verfassungsbeschwerde wendet der Palästinenser sich gegen diese Entscheidungen. Er beruft sich auf sein Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit laut Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG) sowie auf sein Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Artikel 19 Absatz 4 GG. Das Bundesverfassungsgericht soll klären, ob die Verweigerung von Eilrechtsschutz angesichts der Risiken durch deutsche Waffenlieferungen seine Grundrechte verletzt.
ECCHR-Generalsekretär Wolfgang Kaleck ist überzeugt, dass deutsche Lieferungen von Rüstungsgütern an Israel auch nach der Vereinbarung für eine Waffenruhe vom 10. Oktober eine unmittelbare Gefahr für Palästinenser darstellen. »Das Trump-Abkommen hat den genozidalen Krieg der israelischen Regierung in Gaza unterbrochen«, sagt Kaleck. Doch sei weder eine Aufarbeitung von Verbrechen in Sicht, noch habe sich das Regime von Israels Premier Benjamin Netanjahu verpflichtet, die Menschenrechte der Palästinenser*innen und das Völkerrecht künftig zu achten. »In einer solchen Situation verbieten sowohl das Grundgesetz als auch das internationale Recht deutsche Waffenlieferungen an Israel«, ist Kaleck überzeugt.
»Auch in der aktuellen Situation verbieten sowohl das Grundgesetz als auch das internationale Recht Waffenlieferungen an Israel.«
Wolfgang Kaleck
Menschenrechtsorganisation ECCHR
Tatsächlich haben israelische Regierungsmitglieder bekräftigt, große Teile des Gazastreifens besetzen und kontrollieren zu wollen. Zudem kommt es immer noch zu militärischen Angriffen.
Auch die Bedrohung des Rechts auf Leben des Beschwerdeführers besteht nach Einschätzung des ECCHR fort. Solange die deutsche Regierung die Lieferung von Kriegsgerät an Israel erlaube, das in Gaza eingesetzt werden könne, verstoße sie gegen ihre verfassungsrechtlichen Schutzpflichten und das Völkerrecht. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) habe trotz seit Langem vorliegender »klarer Hinweise auf deren völkerrechtswidrigen Einsatz zulasten der Zivilbevölkerung« weiter die Ausfuhr von Rüstungsgütern nach Israel genehmigt.
Die Beschwerde baut auf dem im Juli verkündeten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Einsatz von US-Drohnen zulasten von Zivilisten im Jemen unter Nutzung der Airbase Ramstein in Rheinland-Pfalz auf. Der zweite Senat des Karlsruher Gerichts hatte die damalige Beschwerde im Namen zweier Männer aus dem Jemen zwar abgewiesen. Er hatte aber Voraussetzungen formuliert, unter denen deutsche Grundrechte auch Schutzpflichten gegenüber ausländischen Zivilisten in auswärtigen Kriegsgebieten beinhalten.
Nach Einschätzung des juristischen Magazins »Legal Tribune Online« könnte das aktuelle Verfahren zu einem »ersten echten Test der neu entwickelten extraterritorialen Schutzpflichten« werden. Angesichts vorliegender Einschätzungen des Internationalen Gerichtshofs, des Internationalen Strafgerichtshofs und anderer UN-Institutionen sieht das ECCHR Chancen, dass Karlsruhe systematische Verletzungen des humanitären Völkerrechts durch Israel feststellen wird. Als Konsequenz daraus könnte das Verfassungsgericht anerkennen, dass sich der deutsche Schutzauftrag gegenüber palästinensischen Zivilisten zur Schutzpflicht der Bundesregierung »verdichtet« hat.
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