- Politik
- Linke in Dresden
Die Robin Hoods der Heizkostenabrechnung
Eine Kampagne der Linken soll Mietern zu einem kleinen Geldsegen verhelfen – und der Partei Sympathien eintragen
Alex K. hat sein Geld schon zurück. Der junge Mann wohnt seit fünf Jahren im Dresdner Stadtteil Pieschen in einer Dachgeschosswohnung: zweieinhalb Zimmer, 70 Quadratmeter, »eigentlich ganz schön«, sagt er. Allerdings auch nicht ganz preiswert. Für vergangenes Jahr musste er neben der Miete noch 800 Euro Heizkosten berappen. Dann machte ihn ein Bekannter auf eine Aktion der Partei Die Linke aufmerksam: ein »Heizkosten-Check«, bei dem unverbindlich die Abrechnungen auf Fehler geprüft werden. K. lud seine Belege am Rechner hoch. Die Antwort der Partei, in der ihm ein Anspruch auf teilweise Rückzahlung bestätigt wurde, kam postwendend und enthielt sogar ein vorformuliertes Widerspruchsschreiben, das er nur noch an seinen Vermieter abschicken musste. Keine drei Wochen später hatte er 120 Euro auf dem Konto. »So schnell haben die noch nie reagiert«, staunt K. und freut sich über die Rückerstattung: »Das ist eine Summe, mit der man etwas anfangen kann.«
An diesem Nachmittag sollen seine Nachbarn beglückt werden. Acht junge Aktivisten wollen ausschwärmen, um sie auf die Möglichkeit zum Widerspruch aufmerksam zu machen. Insgesamt soll an 193 Wohnungstüren in 18 Hauseingängen geklingelt werden. Die Häuser gehören dem Großvermieter Vonovia, und in allen werden die Heizkosten nach demselben, von der Partei als fehlerhaft identifizierten Muster abgerechnet. Die Aktivisten gehen davon aus, dass jede Mietpartei eine niedrige dreistellige Summe zurückfordern kann. Seine Nachbarn seien überwiegend »ältere, bodenständige Leute«, sagt Alex K., der sich an der Aktion beteiligt. »Denkst du, sie freuen sich über 150 Euro mehr auf ihrem Konto?«, fragt Michael, einer der Aktivisten. K. nickt: »Keine Frage!«
Bevor die jungen Leute freilich auf Klingelknöpfe drücken, gibt es eine kurze Einweisung. Dazu haben sie sich im Saal des Hauses der Begegnung getroffen, der Stadtzentrale der Dresdner Linken, die praktischerweise genau gegenüber des Pieschener Vonovia-Wohnkomplexes liegt. Auch wenn sie dessen Bewohnern Gutes tun und ihnen zu einem kleinen Geldsegen verhelfen wollen, steht zunächst zu erwarten, dass sie auf Misstrauen und Skepsis stoßen werden. Um diese zu überwinden, erhält jeder der Beteiligten ein Klemmbrett mit einem »Gesprächsleitfaden«, den Michael und Daniel vorstellen. Beide haben schon im Wahlkampf zur Bundestagswahl im Februar an vielen Dresdner Haustüren geklingelt und um Stimmen für die Partei geworben, und sie wissen, welche psychologischen Kniffe als Türöffner funktionieren. Als »goldene Regel« gibt Daniel mit auf den Weg, es brauche »die Freundlichkeit eines Golden Retrievers und die Vergesslichkeit eines Goldfischs«. Letzteres heißt: Bei unwirschen, gar aggressiven Reaktionen nicht nachtragend sein, sondern kurz schütteln und wieder ein nettes Lächeln aufsetzen.
Nach einer kurzen Übungsrunde mit verteilten Rollen wechseln die Aktivisten in ihren auffälligen roten Westen die Straßenseite: »Auf zu echten Menschen!« Zunächst ernten sie an den Haustüren freilich keine unhöflichen Reaktionen, sondern gar keine. Gemäß Daniels Devise, wonach zuerst in unteren Etagen geklingelt wird, damit man nicht schon beim ersten Gespräch außer Atem ist, drückt er den ersten, zweiten, dritten Klingelknopf. In der Wechselsprechanlage: Stille. Bei einem Mieter, der den gleichen Nachnamen trägt wie der Ex-FDP-Finanzminister, frotzelt Daniel: »Klar, dass der Lindner uns nicht reinlässt!«
Schließlich steht er aber doch vor einer Wohnungstür und versucht einem misstrauisch dreinschauenden älteren Mann das Gefühl zu vermitteln, dieser habe gerade im Lotto gewonnen. Er könne sich »mit ziemlicher Sicherheit« Geld von Vonovia zurückholen, sagt Daniel. Sein Gegenüber wirkt nicht überzeugt. Tatsächlich ist die Rechtslage aber eindeutig. Vermieter in Deutschland sind seit 2014 verpflichtet, den individuellen Wärmeverbrauch für Heizung und Warmwasser in Mietwohnungen mittels Wärmemengenzählern zu messen – kleinen Geräten, die »nicht an Ihren Heizkörpern, sondern im Keller verbaut sind«, wie Daniel dem Mann erklärt. In dessen Haus fehlten jedoch entsprechende Zähler. In solchen Fällen haben Mieter das Recht, sich pauschal 15 Prozent der Heizkosten erstatten zu lassen. »So steht es in Paragraf 12 der Heizkostenverordnung«, bestätigt Christoph Metzner, Sprecher von Vonovia Deutschland.
Viele Vermieter sind der Pflicht bisher nicht nachgekommen. Auch der Großvermieter Vonovia verschickt weiterhin Abrechnungen, in denen es heißt, die »auf die zentrale Wasserversorgung entfallende Wärmemenge« könne laut Paragraf 9 Absatz 2 der Heizkostenverordnung »nach der Formel [Q = 2,50 x V : 1,15 x (tw-10)] berechnet werden«. Die Frage, für wie viele seiner bundesweit 533 000 Wohnungen das zutrifft, beantwortet Vonovia nicht. Dass derartige Abrechnungen zum Widerspruch berechtigen, räumt man indes freimütig ein. »Ist ein Wärmemengenzähler nicht eingebaut, haben Mieter:innen ein 15-prozentiges Kürzungsrecht«, teilt Metzner auf »nd«-Anfrage mit – fügt aber hinzu: »Diese Kürzung müssen die Mieter:innen proaktiv vornehmen.« Das heißt: Erst auf deren entsprechendes Verlangen hin »kümmern wir uns darum«.
»Die Kampagne ist für uns ein Baustein, um weiter Meter zu machen.«
Nam Duy Nguyen
Landtagsabgeordneter Die Linke
Viele Mieter wissen von diesem Anspruch freilich nichts und zahlen die in den Heizkostenabrechnungen geforderten Beträge ohne Abschlag. Der Linke-Landtagsabgeordnete Nam Duy Nguyen, der in seinem Wahlkreis im Leipziger Stadtteil Reudnitz die Heizkosten-Kampagne sehr aktiv befördert und fehlerhafte Abrechnungen nicht zuletzt als »ein großes Vonovia-Problem« identifiziert hat, fordert den Konzern auf, seine Mieter offensiv auf den Kürzungsanspruch hinzuweisen. Das geschieht bisher nicht – was sich für den Konzern wie für andere entsprechend agierende Vermieter auszahlt. Sie sparen einerseits Kosten für Anschaffung und fachgerechten Einbau der Wärmemengenzähler, die laut dem Immobilienportal »Immocloud« bei 150 bis 350 Euro pro Stück liegen, und vermeiden gleichzeitig berechtigte Rückzahlungen an die Mieter, die sich allein für den Wohnkomplex in Dresden-Pieschen mit seinen Gesamtheizkosten von gut 200 000 Euro auf rund 30 000 Euro im Jahr summieren.
Bundesweit kommen auf diese Weise erhebliche Beträge zusammen. Über das Heizkostenportal der Linken seien seit Ende 2024 rund 10 000 Abrechnungen eingeschickt worden, teilt die Bundespartei auf »nd«-Anfrage mit. Von denen, die eindeutig hätten geprüft werden können, seien 15 Prozent fehlerhaft. Allein in Sachsen habe man bisher 143 Wohnadressen identifiziert, an denen ein Anspruch auf Kürzungen bestehe. Gestützt auf weitere Recherchen, gehe man davon aus, dass hinter jeder fehlerhaften Abrechnung im Schnitt 20 Mieter und Mieterinnen stehen, die ebenfalls Ansprüche auf Rückerstattung haben: »Ist eine Abrechnung im Haus fehlerhaft, sind es alle anderen ebenfalls.«
Die Linke setzt sich mit der Kampagne dafür ein, dass Mieter auf ihre Ansprüche hingewiesen werden, und trägt damit im Stil eines modernen Robin Hood gewissermaßen dazu bei, dass Geld von den Großen an die Kleinen, sprich: von Vermietern an Mieter, umverteilt wird. Man wolle »möglichst vielen Menschen praktisch helfen, die unter zu hohen Kosten leiden«, sagt Bundesparteichef Jan van Aken. Viele Menschen müssten ein Drittel, teils gar 40 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufbringen. Darüber hinaus rechneten viele Vermieter auch noch »überhöhte« Nebenkosten ab: »Das ist nicht in Ordnung, und wir werden dagegen vorgehen«, erklärte van Aken zum Auftakt der Aktion.
Diese ist durchaus mit erheblichem Aufwand verbunden. In allen Bundesländern finden Haustürgespräche statt. Allein an diesem Oktoberabend in Pieschen steigen die acht Freiwilligen drei Stunden lang treppauf, treppab. Vorab wurden für jede einzelne Adresse bereits Widerspruchsschreiben ausgedruckt. Im Gespräch mit dem älteren Herrn bietet Daniel diesem zum vorgedruckten Brief an den Vermieter auch noch einen kostenlosen Briefumschlag an – was diesem erstmals ein Lächeln abringt: »Danke, habe ich selbst.«
All das legt eine Frage nahe, die Daniel kurz zuvor von einer jungen Frau im schicken Bussiness-Look gestellt wurde: »Warum macht ihr das?« Sie fragt, ob schon wieder Wahlkampf sei, und merkt an, dass Die Linke ihre Stimme ohnehin sicher habe. Die Antwort klingt uneigennützig: »Mieter zahlen ohnehin schon viel«, sagt Daniel; man wolle dazu beitragen, dass nicht noch mehr berappt wird als unbedingt nötig.
Allerdings ist es ein offenes Geheimnis, dass die Partei hofft, durch die Aktion Sympathiepunkte zu sammeln. Die Kampagne sei »ein Baustein, um weiter Meter zu machen«, sagt Nguyen, der in Leipzig schon im Landtagswahlkampf Tausende Haustürgespräche absolviert hat und nicht zuletzt dadurch das Direktmandat gewinnen konnte, das der sächsischen Linken die Landtagspräsenz rettete. Das Thema Mieten und Wohnkosten sei dabei auf enorme Resonanz gestoßen. »Damit kann die Partei ihren Gebrauchswert unter Beweis stellen«, sagt Nguyen. Er betont, es gehe nicht allein um Stimmen bei Wahlen; Ziel sei vielmehr eine breite gesellschaftliche Mobilisierung: »Das ist ein ›Call to Action‹.«
In einem Reudnitzer Quartier, betont er, habe sich infolge der Heizkosten-Kampagne bereits eine Mieterinitiative gebildet. In Dresden-Pieschen ist es noch nicht so weit. Aber auch dort werde die Partei mit der Kampagne Anklang finden, glaubt Alex K.: »Da wird politische Arbeit direkt sichtbar.« Dass er dadurch 120 Euro mehr auf dem Konto hat, freue ihn. »Aber noch glücklicher macht mich, dass jetzt auch so viele andere Leute davon profitieren.«
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.