Andere Probleme als fehlende Bunker

Kritische Infrastruktur soll krisensicher werden: Kliniken zeigen, wo investiert werden müsste

Die Arbeit auf Intensivstationen könnte schwierig werden, wenn der Strom länger als drei Tage ausfällt.
Die Arbeit auf Intensivstationen könnte schwierig werden, wenn der Strom länger als drei Tage ausfällt.

Resilienz ist die Fähigkeit, schwierige Situationen ohne dauernde Beeinträchtigung zu überstehen. Kliniken in Deutschland brauchen diese Fähigkeit, um sich in der Krankenhausreform zu positionieren und Dauerprobleme etwa durch fehlendes Personal zu kompensieren. Allein diese Herausforderungen sind gewaltig. Aktuell kommen mehr oder weniger fiktive Krisenszenarien hinzu, die nicht nur die Bundeswehr tangieren, sondern die sogenannte kritische Infrastruktur ebenso – und dazu zählen auch die Krankenhäuser.

Insofern ist es logisch, wenn sich deren Träger einen Überblick über Anforderungen im Bündnis- oder Verteidigungsfall verschaffen. Ein entsprechendes Gutachten ließ deren Verband, die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), jetzt anfertigen. Es wurde am Dienstag in Berlin vorgestellt. Von vorne herein absehbar war, dass jegliche Krisensicherheit nicht umsonst zu haben ist. Laut DKG-Vorstand Gerald Gaß lässt sich hierfür durchaus das Sondervermögen Verteidigung in Anspruch nehmen. Die Frage ist nur, mit welchen Prioritäten sich die Krankenhäuser vorbereiten sollten, und was davon von der Politik mitgetragen wird.

Milliardenkosten fallen allein für Cybersicherheit an

Für das Gutachten wurden laut Wirtschaftswissenschaftler Boris Augurzky verschiedene Situationen untersucht. Die erste Stufe umfasst etwa Cyberangriffe, mit denen Kliniken in Deutschland hier und da schon klarkommen mussten. Hinzu kommen könnten Sabotageakte. Die nächste Eskalationsstufe wäre mit dem Eintreten des Bündnisfalles in der Nato erreicht. Die Bundesrepublik wäre dann in die Versorgung verletzter Soldaten aus Partnerländern einbezogen. Der Verteidigungsfall würde eintreten, wenn es etwa zu Luftangriffen auf das eigene Territorium kommt.

Für jede Stufe seien Investitionen nötig, so das Gutachten. Finanziert werden müssten etwa Geräte (und Personal) für Zugangskontrollen, die Ausweitung der Lagerhaltung bei allen möglichen Materialien, von Medikamenten bis zu Blutkonserven, Alternativen in der Energieversorgung über die ein bis drei derzeit gesicherten Tage hinaus, Alternativen für die Kommunikation sowie auch Schutzräume. Zum letztgenannten Thema verwies man auf Expertise aus Israel oder Helsinki. Zwar ist es unrealistisch, alle oder viele deutsche Kliniken schnell unterirdisch betriebsbereit zu bekommen. Augurzky, auch langjähriger Autor des Krankenhaus-Rating-Reports, regt jedoch an, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass solche Anforderungen zumindest bei Neu- und Umbauten schon mitgedacht werden.

Die nötigen Kosten belaufen sich rein für Investitionen in Sachen Cybersicherheit und Sabotageabwehr auf 2,7 Milliarden Euro sowie Betriebskosten pro Jahr von 700 Millionen Euro. Um für den Bündnisfall mit vielen verletzten Patienten gerüstet zu sein, wären fünf Milliarden Euro zu investieren und 900 Millionen Euro Betriebskosten pro Jahr zu erwarten. Im Verteidigungsfall liegt der Investitionsbedarf bei 15 Milliarden Euro, laufende Kosten liegen bei einer Milliarde Euro pro Jahr. Berechnet wurde das für alle 1614 Allgemeinkrankenhäuser, darunter die Universitätskliniken, Krankenhäuser der Berufsgenossenschaften und die Häuser mit verschiedenen Notfallstufen. Mitgezählt wurden aber auch die etwa 500 kleinen Krankenhäuser ohne Notfallstufe und die fünf Bundeswehrkrankenhäuser.

Eine halbfertige Reform und ungelöste Personalprobleme

Während sich diverse Materialien, Geräte, Betten, Feldlazarette und weitere Technik mehr oder weniger einfach beschaffen lassen, hängt das Ganze jedoch deutlich am Personal. Das ist teils schon jetzt nicht vorhanden; zudem sind Ärzte, darunter Chirurgen, oder Pflegekräfte nicht ausreichend auf die Versorgung von Kriegsverletzungen vorbereitet. Hinzu kommt, dass etliches medizinisches Personal parallel schon bei THW oder Feuerwehr verpflichtet ist.

Gaß besteht darauf, dass die Krankenhäuser Patienten nach medizinischer Notwendigkeit aufnehmen. Einen Vorrang der Bundeswehr könnte die DKG schwer mittragen. »Ja, wir haben andere Probleme, als jetzt Bunker zu bauen«, räumt der DKG-Chef auch ein. Mit deutlicher Kritik an Gesundheitsministerium und Bundesregierung merkt er an: »Wenn alle vier Wochen die Zusagen für die Krankenhausfinanzierung verändert werden, dann geht es für uns rein ums Überleben. Dann können wir keine Strategien für Resilienz in Krisen erstellen.« Da deutsche Gesetzesmühlen ohnehin langsam mahlen, wäre auch für alle zivilen Patienten der Gegenwart schon viel gewonnen, wenn die Kliniken allein in Fragen der Cyber- oder Energiesicherheit schnell handelten.

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