- Berlin
- Rotes Dreieck
Winkel der politischen KZ-Häftlinge als Hamas-Zeichen verdächtigt
Zahlreiche Gedenkstätten für Opfer des Faschismus zeigen das Symbol von Verfolgten des Naziregimes
1200 Euro Strafe sollte Bernd Trete aus Potsdam bezahlen. Die Staatsanwaltschaft Cottbus verlangte Mitte Oktober diese Summe, weil Trete das Kennzeichen einer terroristischen Organisation verbreitet haben soll – das von der palästinensischen Hamas zum Markieren ihrer Feinde verwendete rote Dreieck.
Tatsächlich fotografierte der 66-Jährige im Januar bei der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration in Berlin ein Transparent der kommunistischen Jugendorganisation SDAJ. Es zeigte einen roten Keil, der ein Gewehr zerspaltet. Trete gefiel dieses antimilitaristische Symbol und er lud das Foto später auf seinem Profil bei der Internetplattform X hoch. Auch neben seinen Namen setzte er rote Winkel.
»Ein Symbol der Hamas habe ich nicht verwendet«, versicherte Trete dem »nd« bereits im Juni, als die Polizei gegen ihn ermittelte, und nun erneut. Doch seine Beteuerungen haben ihm bislang nichts genutzt. Polizei und Justiz meinen dennoch, er habe Propaganda der Hamas verbreitet – wissentlich im Kontext des Kriegs im Gazastreifen. Dem Betroffenen geht die Sache nahe. Er schlafe deswegen schlecht, erwache aus Albträumen, nehme den Vorwurf aber nicht widerspruchslos hin, schilderte er der Wochenzeitung »Unsere Zeit«. Weil Trete Einspruch gegen den Strafbefehl einlegte, soll ihm am 3. Februar im Amtsgericht Potsdam der Prozess gemacht werden. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) verwendet das rote Dreieck vor einem blau-weiß wie die Kleidung der KZ-Häftlinge gestreiften Hintergrund schon seit Jahrzehnten als ihr Symbol. Sie hat Trete Unterstützung versprochen und ihm zwei Rechtsanwälte empfohlen.
Wie viele vergleichbare Fälle es in Brandenburg gibt, vermag der Landtagsabgeordnete Sven Hornauf (BSW) nicht abzuschätzen. Aus seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt weiß er aber, dass Bernd Trete kein Einzelfall ist – und immer sei an dem Hamas-Vorwurf nichts dran. Er habe jetzt schon mehrfach mit dem einschlägigen Paragrafen des Stafgesetzbuches zu tun gehabt und immer wieder habe es sich um tendenziell antifaschistische Bestrebungen gehandelt, die kriminalisiert werden sollten. Auffällig sei, dass die Anzeigen vom Bundeskriminalamt oder einer Antisemitismusstelle Hessen kommen und auf eine mehr als willige Staatsanwaltschaft Cottbus stoßen. »Persönlich kenne ich nur Fälle aus Brandenburg«, sagt Hornauf. »Ich wette aber, dass die Anzeigen von BKA und Antisemitismusstelle Hessen überall hingehen.« Es sei nur die Frage, ob andere Staatsanwaltschaften auch Anklage erheben.
Der Abgeordnete hat dieser Tage eine Kleine Anfrage an die Landesregierung gestellt. In seiner Vorbemerkung hat er die Ressorts von Justizminister Benjamin Grimm (SPD) und Innenminister René Wilke (für SPD) vorsichtshalber belehrt, dass die SS den roten Winkel 1937 für politische KZ-Häftlinge einführte und dass dieser Winkel seit 1947 das Symbol der VVN beziehungsweise heutzutage der VVN-BdA sei. Sven Hornauf will wissen, ob die von SPD und BSW gebildete Landesregierung etwa der Rechtsauffassung sei, dass eine Verwendung des VVN-Symbols eine Unterstützung der Hamas darstelle und strafbar sei. Er möchte auch erfahren, ob die zuständigen Ministerien willens wären, den Staatsanwaltschaften und dem Polizeipräsidium zu untersagen, den roten Winkel im Kontext antifaschistischer Betätigung weiterhin zu verfolgen.
Die Antworten auf seine schriftlich gestellten Fragen hat Hornauf noch nicht erhalten. Das dauert gewöhnlich seine Zeit. »nd« hat beim Polizeipräsidium nachgehakt und auch noch keine Antwort bekommen.
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