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Malochen bis zum Schluss?

Diskussion über altersgerechte Arbeitswelten steht erst am Anfang

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
200 000 Menschen verabschiedeten sich in der Gruppe der über 50-Jährigen in den vergangenen zwei Jahren aus der Arbeitslosigkeit. Damit sank die Beschäftigungslosigkeit hier laut offizieller Statistik wie in keiner anderen Altersgruppe. Um die Interpretation dieser Tatsache streiten die Experten: Ein Erfolg der Hartz-Gesetze? Folge der anziehenden Konjunktur? Oder stehen wegen des demographischen Wandels jüngere Arbeitnehmer nicht ausreichend zur Verfügung?

Es waren ältere Beschäftigte, die dieser Tage auf Einladung der Evangelischen Akademie in Berlin über Fragen einer altersgerechten Gestaltung von Arbeitswelten diskutierten: Ludwig Georg Braun, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (64), Hubertus Schmoldt, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (62), und Bischof Wolfgang Huber (65). Für alle drei gibt es gute Gründe, das »Kapital« oder die »Talente« des Alters stärker als bisher zu nutzen.

DIHK-Chef Braun führte die demographische Entwicklung ins Feld und vertrat die Meinung, dass ohne die »Alten« die Wertschöpfung am Standort Deutschland nicht ausreichend hoch sein könne. Er wie auch seine Podiumskollegen distanzierten sich vom Jugendwahn der Gesellschaft, der nicht nur in den Personalabteilungen der Firmen immer noch präsent sei. Mit Maßnahmen wie der Altersteilzeit sei lange Jahre eine Frühverrentung gefördert und damit auch populär gemacht worden. Zu kurz kam an dieser Stelle der Debatte, dass die immer stärkere Verdichtung der Arbeitsprozesse sowie der Druck durch die hohe Erwerbslosigkeit viele ältere Beschäftigte in den vorzeitigen Ruhestand drängen.

Das Forum war auch mit dem aktuellen Koalitionsbeschluss zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes I konfrontiert. Bischof Huber zeigte sich davon enttäuscht, dass diese Entscheidung aus politischen Opportunitätsgründen gefallen sei und nicht aus der Akzeptanz der Tatsache, dass Ältere nach wie vor am Arbeitsmarkt benachteiligt seien. Er plädierte für Aktivität im Alter von einer anderen Warte her. Natürlich spiele Erwerbsarbeit eine große Rolle bei der Existenzsicherung. Tätig sein umfasse jedoch auch Aufgaben wie Pflege, Kindererziehung und jegliche soziale Zuwendung im familiären Bereich, außerdem das große Feld des Ehrenamtes.

Auf der Habenseite für Erwerbsarbeit im Alter stehen erst wenige Punkte: Nur in einzelnen Tarifverträgen seien flexible Lebensarbeitszeiten geregelt, die auch Bedürfnisse von Familien berücksichtigen. Bischof Huber führte die Ruhestandsaufträge für Pfarrer an, die wie bestimmte Manager oder Lehrer ihre beruflichen Erfahrungen auch als Rentner weitergeben.

Gewerkschafter Schmoldt wies aber darauf hin, dass es für Hochqualifizierte weder ein allzu großes Problem sei, im Alter über 50 Jahren im Beruf zu bleiben, noch, sich mit Renteneintritt sinnvoll zu beschäftigen. Ihm ging es um die »Malocher«, um deren Gesundheit und persönliche Befähigung, bis zum Rentenalter durchzuhalten. Schmoldt forderte neue Ideen für die altersgerechte Gestaltung von Arbeitsplätzen sowie die Zulassung individuell unterschiedlicher Lebensarbeitszeiten.

Einig waren sich die Diskussionsteilnehmer, dass das mangelhafte deutsche Bildungssystem nach wie vor die Weichen eher auf Arbeitslosigkeit vor der Rente und auf Altersarmut stelle. Konstatiert wurde zudem die frühe Ermüdung derjenigen, die eigentlich im besten Alter sind: Schon mit 38 Jahren schwindet vielerorts die Bereitschaft, sich beruflich weiterzubilden. Lebenslanges Lernen als Forderung in die Tarifverträge aufzunehmen und es somit von allen Beschäftigten zu verlangen, favorisiert von DIHK-Chef Braun, kann hier nur eine Handlungsmöglichkeit sein.

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