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Die Linke und Israel: Knapp daneben ist auch vorbei
Eine linke Position muss die israelische Besatzung kritisieren, ohne jüdische Staatlichkeit zu delegitimieren. Eine Replik auf Raul Zelik
Raul Zelik wirft in seinem nd-Beitrag »Mamdanis Vater lesen« der Linkspartei vor, sie sei in »alte Zeiten« zurückgefallen. In derselben Woche, so schreibt er, in der der Wahlsieg des New Yorker Bürgermeisters Zohran Mamdani gefeiert wurde, hätten 17 Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke Maßnahmen gegen die Linksjugend solid gefordert. Der Eindruck ist deutlich: Während die internationale Linke Erfolge feiert, versinkt die deutsche Linke in innerparteilicher Repression und Rückschritt.
Dieser Zusammenhang ist konstruiert – und zwar mit dem Ziel, ein einfaches Gut-Böse-Schema zu erzeugen. Die Bürgermeisterwahl in New York und die Debatte über den solid-Beschluss haben nichts miteinander zu tun. Ebenso wenig, wie der Jugendverband bei seinem Beschluss Rücksicht auf die drei Tage später stattfindenden US-Wahlen nahm, mussten die 17 Abgeordneten dies bei ihrer Kritik tun. Es handelt sich um völlig verschiedene politische Kontexte.
Der Versuch, Zohran Mamdanis Wahlerfolg mit seiner Haltung zur BDS-Bewegung zu verknüpfen, hält keiner Überprüfung stand. Die Kampagne Mamdanis konzentrierte sich auf soziale Gerechtigkeit, Umverteilung und den Kampf gegen den Trumpismus – nicht auf den Nahost-Konflikt. Die Wahldaten von NBC zeigen das deutlich. Wer ernsthaft diskutieren will, sollte auf Fakten statt auf Symbolik setzen.
Bekanntlich ersetzen rhetorische Figuren keine Argumente, sie dienen nur dem Aufbau von Legenden. Davon finden sich in Zeliks Text einige, die freilich neben bedenkenswerten Argumenten stehen. Letztere gilt es ernst zu nehmen – gerade wenn man den Rückfall in alte Denkmuster vermeiden will. Denn die innerlinke Debatte über Israel und Palästina braucht keine symbolischen Loyalitäten, sondern historisch informierte Analyse.
Zelik hat recht, wenn er anmahnt, dass die deutsche Linke internationale Diskurse zu wenig wahrnimmt. Die Debatten der jüdischen Linken – vom Bund über Isaac Deutscher bis hin zu heutigen jüdisch-sozialistischen Strömungen in den USA – sind zentral, um die Spannungen linker Israel-Positionen zu verstehen. Sie zeigen, dass Antizionismus in Teilen der jüdischen Geschichte als universalistische Kritik an Nationalismus entstand, nicht als antisemitisches Ressentiment. Diese Tradition verdient Beachtung. Die bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienene fünfbändige Buchreihe Jüdinnen und Juden in der internationalen Linken hat hier wichtige Grabungsarbeiten vorgenommen, wie ich in Rezensionen auf meinem Blog Nachdenken im Handgemenge dargestellt habe.
Anders als Zelik arbeitet diese Forschung die Brüche und Widersprüche jüdischer Staatsgründung und die differenzierten, auch gegensätzlichen jüdisch-linken Positionen zum Zionismus heraus. Die Gründung Israels war keine gewöhnliche nationale Staatsgründung, sondern eine Reaktion auf den Vernichtungsantisemitismus des 20. Jahrhunderts – Ausdruck einer existenziellen Notwendigkeit, nicht bloß einer politischen Idee. Diese Besonderheit auszublenden bedeutet, den Ausnahmecharakter jüdischer Selbstbehauptung zu ignorieren. Nur die jüdischen Stimmen zu zitieren, die antizionistische Positionen vertreten, instrumentalisiert und blendet widersprüchliche Stimmen in der jüdischen Linken aus.
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Zelik beruft sich auf Mahmood Mamdani, den Vater von Zohran Mamdani. Einerseits rhetorisch, um noch mal sein Eingangsargument zu stärken, und andererseits inhaltlich, um seine Nationalstaatskritik zu untermauern. Mamdanis Argumentation über die Gewaltförmigkeit moderner Nationalstaaten ist in weiten Teilen überzeugend. Doch Zeliks Anwendung dieser Mamdani-Argumentation, die er gerade nicht in einer Debatte über Israel äußerte, sondern jenseits davon, bleibt problematisch, weil hier Mamdani als Stichwortgeber genutzt wird, um Israels Entstehung mit kolonialen Staatsgründungen gleichzusetzen. Möglicherweise ist das Mahmood Mamdanis Haltung – aber im Text ist es vor allem Zeliks Position.
Die entscheidende Frage ist nicht, ob Nationalstaaten Gewalt erzeugen – das tun sie alle –, sondern unter welchen historischen Bedingungen sie entstehen. Für Israel gilt: Der Staat entstand aus der Erfahrung, dass die Nichtexistenz eines jüdischen Staates tödlich sein kann.
Eine linke Kritik, die diese Dimension ausblendet, verliert den historischen Bezug, der jede Haltung zu Israel prägen muss. Sie muss Kriegsverbrechen, Besatzung und Ungleichheit benennen – aber ebenso anerkennen, dass jüdische Selbstbestimmung nach der Shoah eine Überlebensfrage war. Über das eine lässt sich nicht sprechen, ohne das andere mitzudenken.
Recht hat Zelik, wenn er feststellt, dass die deutsche Linke zu leise gegenüber der israelischen Regierungspolitik bleibt, in der rechtsextreme Kräfte den Ton angeben. Ebenso richtig ist, dass palästinensische Stimmen zu lange ungehört blieben. Doch diese Einsichten machen den solid-Beschluss nicht besser, den ich in meinem Text »Von moralischer Gewissheit zur historischer Blindheit« kritisierte. Die Linksjugend verschweigt den Terror der Hamas, bezeichnet Israel pauschal als »rassistisches Staatsprojekt« und konstruiert eine imaginierte »revolutionäre Bewegung«, ohne die faktische Schwäche einer linken palästinensischen Opposition zu benennen.
»Wo historische und ideologische Unterschiede verwischt werden, wird die islamistische Hamas zum Teil einer vermeintlich progressiven Bewegung.«
Hier liegt das eigentliche Problem – nicht nur bei solid, sondern auch in Zeliks Lesart. Wo historische und ideologische Unterschiede verwischt werden, wird die islamistische Hamas zum Teil einer vermeintlich progressiven Bewegung, obwohl sie das Gegenteil jeder linken Idee verkörpert: Antifeminismus, Autoritarismus, religiösen Fundamentalismus. Wer das als »Befreiung« deutet, verkennt den Inhalt linker Emanzipation.
Doch Zeliks Klage über ein »Trauerspiel« in der Partei verkennt daher den Kern des Konflikts. Streit ist kein Rückfall, sondern notwendiger Ausdruck politischer Reife. Gerade bei Themen wie Antisemitismus, Kolonialismus und internationaler Solidarität ist Streit unvermeidlich – entscheidend ist, dass er sachlich geführt wird. Wer jede innerlinke Auseinandersetzung als Anpassung an rechte Medienrahmung abtut, entzieht sich der Verantwortung, Argumente zu prüfen.
Den linken Parteivorsitzenden Jan van Aken und Ines Schwerdtner wirft Zelik vor, sie hätten sich mit ihrer Erklärung zum solid-Beschluss der »Springer-Presse« angebiedert. Diese Unterstellung verkennt den Anlass ihrer Stellungnahme. Beide reagierten auf eine innerparteiliche Herausforderung, nicht auf eine Medienkampagne. Ihre Aussage, Kritik an der israelischen Regierung dürfe »niemals die Existenz Israels delegitimieren«, war kein Zugeständnis an Springer, sondern Ausdruck des antifaschistischen Grundkonsenses der Partei. Zeliks Rückgriff auf das Springer-Argument verschleiert, dass es innerhalb der Linken eine eigenständige, sachlich begründete Kritik am solid-Beschluss gibt – und dass dieser mit den Parteibeschlüssen unvereinbar ist. Das war dem Jugendverband bewusst; er will die Partei gezielt auf seine Linie bringen.
Indem Zelik diese Zusammenhänge ignoriert, deutet er berechtigte Auseinandersetzungen als bloße Reaktion auf äußeren Druck. Damit verwechselt er Selbstkritik mit Opportunismus und politische Verantwortung mit medialer Abgrenzung.
Eine zeitgemäße linke Haltung zu Israel und Palästina braucht beides: die Kenntnis der internationalen Debatten, auf die Zelik verweist, und das Bewusstsein für die historische Verantwortung, die sich in Deutschland aus der eigenen Geschichte ergibt. Sie muss die israelische Besatzung kritisieren, ohne jüdische Staatlichkeit zu delegitimieren; sie muss palästinensische Rechte verteidigen, ohne autoritäre Ideologien zu verharmlosen. Nur in dieser Spannung kann linke Politik ihrem Anspruch gerecht werden: universell zu argumentieren, ohne geschichtslos zu werden.
Benjamin-Immanuel Hoff ist Politiker (Die Linke) und Hochschullehrer. Er war unter anderem Staatssekretär in Berlin und von 2014 bis 2024 mit kurzer Unterbrechung Chef der Staatskanzlei und Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten in Thüringen. Daneben war er von 2019 bis 2024 Beauftragter für jüdisches Leben in Thüringen und die Bekämpfung des Antisemitismus.
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