Steuerfreie Digitalkonzerne

Ein UN-Abkommen soll helfen, mächtige Unter­nehmen endlich stärker zu besteuern

Die großen Digitalkonzerne wissen, wie man Steuerzahlungen umgehen kann.
Die großen Digitalkonzerne wissen, wie man Steuerzahlungen umgehen kann.

Mit der UN-Steuerrahmenkonvention soll erstmals ein globales Abkommen unter dem Dach der Vereinten Nationen entstehen, um das Problem der Abgabenvermeidung großer Konzerne anzugehen. Auf Drängen afrikanischer Staaten und der internationalen Zivilgesellschaft fanden im August die ersten beiden Verhandlungsrunden statt. An diesem Montag geht es in der kenianischen Hauptstadt weiter. Bis 19. November wollen 193 Staaten verhandeln, lediglich die USA bleiben dem fern. Zu den wichtigsten Inhalten des Abkommens gehören eine Gesamtkonzernsteuer, eine Digitalsteuer für IT-Konzerne sowie eine Besteuerung von Superreichen. Der Zeitplan sieht vor, bis März 2027 zu einem Abschluss zu kommen.

Ob die UN in der Lage sind, die Macht der Konzerne zu begrenzen, muss sich erst noch zeigen. Aber »Macht« wird nicht nur auf UN-Ebene zu einem zentralen Thema, sondern auch wieder in den Wirtschaftswissenschaften jenseits linker Kreise. Kürzlich kritisierten drei namhafte liberale Ökonomen in der »FAZ« US-amerikanische Digitalkonzerne: Sie bündelten Nachfrage, prägten Standards und bestimmten die Informationen, die Nutzer von Google, Facebook und Co. auf ihren Smartphones erhalten. Ihre »Marktmacht«, schreiben Lars Feld und Kollegen, behindere den Wettbewerb und sichere den Konzernbossen exklusive Zugänge zur politischen Macht. Das gefährde demokratische Prozesse und senke die Steuereinnahmen.

Und das nicht zu knapp: Durch Steuervermeidung großer US-Konzerne entgingen Staaten allein in den vergangenen sechs Jahren 492 Milliarden US-Dollar. Dies geht aus dem Bericht »State of Tax Justice« hervor, den mehrere Organisationen anlässlich der Nairobi-Verhandlungen veröffentlichten. Diese Extragewinne seien vor allem durch »einseitige Vorteilsnahme« möglich.

»Das ist eine historische Chance und der Beginn einer neuen Ära der internationalen Steuerzusammenarbeit.«

Karl-Martin Hentschel Attac

Grenzüberschreitend tätige Konzerne haben bei der Steuervermeidung oft leichtes Spiel, weil nationale und internationale Regeln ihnen in die Karten spielen. Möglich wurde dies, da einzelne Staaten versuchen, durch Steuerdumping international tätige Unternehmen anzulocken. Dazu gehört immer noch Irland: Laut Geschäftsbericht für 2021/22 reduzierte allein Microsoft seine irischen Steuern – vermutlich durch steuerfreie Veräußerungserlöse aus der Auflösung von Tochtergesellschaften – um fast 2 Milliarden Euro. Trotz der US-Mindeststeuer auf Gewinne in Höhe von 10,5 Prozent landete der Softwarekonzern aus Redmond konzernweit bei einer Steuerquote von gerade einmal 7,2 Prozent. Beispielsweise arbeiten in den deutschen Tochtergesellschaften etwa 2 Prozent aller Beschäftigten, verbucht wird hier aber nur 0,5 Prozent des globalen Gewinns. Laut Berechnungen des Netzwerks Steuergerechtigkeit im Auftrag der Linksfraktion im Europaparlament verlagerte Microsoft in diesem Jahrhundert bereits etwa 300 Milliarden US-Dollar in Steueroasen wie Irland – fast die Hälfte aller Gewinne.

Alphabet (Google) hingegen verbucht mittlerweile den Großteil seiner Gewinne in den Vereinigten Staaten. Das macht Sinn, weil die USA mit einer sogenannten Lizenzbox locken. Google überweist Gewinne aus immateriellen Geschäften wie Werbeerlöse und Cloud-Gebühren aus Europa und Asien an dieses Konstrukt, für das ein niedrigerer Steuersatz fällig wird, als für reale Verkäufe von Waren zu zahlen wäre. Davon machen vor allem Digitalkonzerne, Internet-Plattformen und Cloud-Anbieter wie Amazon Gebrauch.

Auch europäische Konzerne nutzen den steuerrechtlichen Flickenteppich aus. Die Reiseplattform Booking.com mit Zentrale in Amsterdam, die als ähnlich profitabel wie die im Fokus der Kritik stehenden US-Digitalkonzerne gilt, verschiebt laut der Studie fast alle Gewinne in die Niederlande und konnte durch die Nutzung der Steuer-Innovation »Box Tax« von 2010 bis 2022 weltweit etwa 2,8 Milliarden Euro Steuern vermeiden. Französische und italienische Behörden werfen Booking.com eine ungerechtfertigte Gewinnverschiebung in die Niederlande sowie Hinterziehung von Mehrwertsteuern vor.

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»In Deutschland zahlen die größten und profitabelsten Unternehmen aus den USA nach unseren Schätzungen weiterhin nur 3 Prozent Steuern auf die hier erzielten Gewinne«, sagt Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. Dies mache deutlich, dass eine breite globale Allianz notwendig sei, um das Dumping multinationaler Konzerne zu begrenzen.

Zur Vereinheitlichung des internationalen Steuerrechts hatte die Industriestaatenorganisation OECD nach jahrelangen Vorarbeiten 2024 eine globale Mindestertragssteuer von 15 Prozent für alle Großkonzerne beschlossen. Doch während die EU und einige weitere Staaten die Regeln bereits umgesetzt haben, zögern große Volkswirtschaften wie China und Indien oder versuchen wie die USA, Sonderregelungen durchzusetzen. »Ohne eine internationale Abstimmung droht die Mindeststeuer zu scheitern«, warnt Johannes Gaul vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. In einem »asymmetrischen System« hätten europäische Unternehmen einen Konkurrenznachteil und müssten höhere Steuern tragen. »Dies kann Investitionsentscheidungen beeinflussen und langfristig zu einer Standortverlagerung führen«, erwartet Gaul.

Auch aus diesem Grund begrüßen NGOs, dass nun in größerem Rahmen über solche Fragen beraten wird: »Zum ersten Mal wird über die internationale Steuerpolitik nicht mehr im exklusiven Kreis der reichen OECD-Staaten verhandelt, sondern von einem Komitee der Vereinten Nationen«, sagt Karl-Martin Hentschel, Steuerexperte bei Attac. »Das ist eine historische Chance und der Beginn einer neuen Ära der internationalen Steuerzusammenarbeit, von der alle Menschen profitieren.«

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