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Döbeln: »Dort braucht es mich wirklich«
Josie F. über queeres Engagement in Döbeln, Bedrohungen von rechts und einen erfolgreichen CSD
Wie kam es, dass Sie politisch aktiv geworden sind?
Ich war schon immer laut und temperamentvoll, fast schon mackerig. Ich sage, was ich denke. Wenn ein Mann mir etwas erklären will, sage ich ihm einfach, dass er die Fresse halten soll – für wen hält er sich? Ich bin schon immer für mich selbst eingestanden, auch ohne den antipatriarchalen Gedanken im Kopf. Mit 17 Jahren habe ich angefangen, mich mit Feminismus auseinanderzusetzen. In derselben Zeit habe ich gemerkt, dass ich bi bin, also nicht nur Männer mag.
Josie F. ist in Döbeln aufgewachsen. Dort ist sie in der Partei Die Linke und beim Christopher Street Day (CSD) Döbeln antifaschistisch und queerfeministisch aktiv. Aktuell arbeitet sie als Erzieherin in einer therapeutischen Wohngruppe in Leipzig. Sie möchte nicht mit vollem Namen in der Zeitung erscheinen.
Lange war ich dann die nervige Feministin in meiner Familie und meinem Freundeskreis. Mir wurde vorgeworfen, Feminismus zu instrumentalisieren, um mein Verhalten zu rechtfertigen. Das war vor vier Jahren, und mich macht diese Aussage immer noch perplex.
Ich habe mich immer mehr zum Thema belesen, und trotzdem war Politik etwas, das ich nicht verstanden habe, das für mich unfassbar weit weg war, auch weil in meiner Familie Politik kaum ein Thema war. 2022 war dann der erste CSD in Döbeln. Natürlich bin ich da hin. Da habe ich Leute verschiedener Geschlechtsidentitäten mit Make-up und hohen Schuhen gesehen. Hier in Leipzig ist das total normal, in Döbeln hat so etwas vorher nie jemand sichtbar auf die Straße getragen.
Und dann haben Sie sich entschieden, mitzuorganisieren?
Meine Freund*innen und ich haben eine Person angesprochen und gesagt, wie mutig wir es finden, dass sie hier ist, als nicht binäre Person mit hohen Schuhen und Make-up. Die Person hat uns in das Team des CSD eingeladen. Das war wohl das Beste, was mir je passiert ist. Ich habe so viele tolle Menschen kennengelernt. Aus meinem vorherigen Freundeskreis sind mir nur zwei Menschen geblieben, dafür habe ich jetzt aber viel gesündere und politisch bewusstere Freundschaften. Ich habe das Gefühl bekommen, etwas Sinnvolles zur Gesellschaft beitragen zu können. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn es diesen ersten CSD nicht gegeben hätte. Und nicht nur für mich hatte dieser CSD Auswirkungen. Nach diesem Tag habe ich viel mehr queere und alternative Menschen in Döbeln auf der Straße gesehen.
Wie war Ihr diesjähriger Christopher Street Day?
Richtig gut! Letztes Jahr waren wir rund 650 Menschen, für dieses Jahr schwankt die Zahl zwischen 800 und 1000. Wie letztes Jahr hatten aber die Freien Sachsen eine Gegendemo angemeldet, allerdings nahmen dort nur knapp 100 Leute teil, also 150 weniger als 2024. Ich stand auf dem Lautsprecherwagen und konnte auf unsere riesige Demo schauen. Ich musste fast weinen!
Es gab aber auch Komplikationen. Der Protestbus »Adenauer SRP+« sollte eigentlich zu unserem CSD kommen. Das war mit der Polizei auch abgesprochen. Dann wurde er aber von der Polizei weggeschickt, noch bevor wir am Demo-Startpunkt waren. An der Bundesstraße wurde der Bus schließlich beschlagnahmt wegen vermeintlicher Mängel.
Nachdem im letzten Jahr Nazi-Organisationen, unter anderem die Freien Sachsen und Die Heimat, ehemals NPD, in Sachsen zu großen Gegendemos gegen CSDs auf dem Land aufgerufen hatten, wurde dieses Jahr auch aus den Städten mehr zu den CSDs mobilisiert. Wie ist Ihre Einschätzung: Waren vor allem Menschen aus Döbeln oder von außerhalb da?
Ja, viele waren von außerhalb. Allein aus Berlin sind zwei Busse angereist. Auch aus Freiberg, Leisnig, Dresden, Leipzig und Chemnitz sind Menschen gekommen. Es gibt zwar viele queere Menschen in Döbeln, aber mit Sicherheit keine 1000, die sich trauen, auf die Straße zu gehen.
Hilft es denn, wenn für einen Tag die Stadt-Linken anrücken?
Auf jeden Fall. Es kommt aber darauf an, wie sie sich verhalten. Wir haben vor allem in queeren Gruppen mobilisiert, das war erfolgreich. Es geht an diesem Tag darum, dass wir sichtbar sind, dass wir auf der Straße Gesicht zeigen, und dann ist es natürlich gut, wenn viele Menschen da sind und man ein bisschen in der Masse verschwindet. Dann müssen sich die Menschen von vor Ort nicht die ganze Zeit Sorgen machen, dass sie von irgendwem fotografiert werden.
Es gab auch Antifa-Anreisen. Da muss aufgepasst werden, dass sich kein schwarzer Block bildet. Dieser Tag ist dafür da, uns sichtbar zu machen, und beim schwarzen Block geht es ja darum, für die Polizei nicht erkennbar zu sein. Außerdem gab es eine Allgemeinverfügung, die verboten hat, komplett in Schwarz aufzutauchen. Die Polizei hat das mit Vorfällen in Freiberg und unserem Schutz vor den Faschos begründet.
Gab es Probleme?
Wir hatten Angst, dass die Faschos in den Tagen vor dem CSD Buttersäure versprühen würden, aber das ist dieses Jahr nicht passiert. Letztes Jahr haben Leute von uns, also nicht die Polizei, Stefan Trautmann von den Freien Sachsen beim Buttersäure-Sprühen aufgegabelt. Wir müssen selbst auf der Hut sein. Man überlegt natürlich auch, wenn so viele Faschos in Döbeln unterwegs sind, ob man wirklich allein den Weg zur Demo antreten kann. Jeden Einzelnen von uns beherrscht an diesen Tagen die Angst.
Was unterscheidet den Alltag einer queeren Person in Leipzig und Döbeln?
Allein schon der CSD. Wir sind klar antifaschistisch, antikapitalistisch und queerfeministisch. Wir wollen nicht vergessen, wo unsere Ursprünge sind, wo unsere Kämpfe herkommen. In Leipzig stehen auch SPD und CDU mit auf der Straße. Außerdem arbeiten wir in Döbeln mit viel weniger Ressourcen – für jedes Projekt muss man alles zusammenkratzen, was geht. Allein die schlechten Öffi-Anbindungen und die über mehrere Kleinstädte und Dörfer verstreuten Strukturen machen es schwierig. Deshalb bleibe ich in Döbeln aktiv, auch wenn ich in Leipzig lebe, denn dort braucht es mich wirklich.
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Ist die Bedrohung durch Rechtsextreme groß?
Mir selbst ist noch nichts passiert. Aber Freund*innen von mir sind mit Autos nach Hause verfolgt worden. Es gibt Leute, die Morddrohungen im Briefkasten haben. Auch über Social Media wird viel Hetze und Hass verbreitet. Wenn mich in Döbeln ein Fascho blöd anguckt, nehme ich die Beine in die Hand. In Leipzig muss ich viel weniger Angst haben. Hier muss ich nicht aufpassen, mit wem ich Händchen halte auf der Straße. Letztens hatte ich etwas gewagtere Klamotten an und bin nach Döbeln gefahren. Am Bahnhof sprach mich eine Freundin direkt darauf an, dass ich mich das traue.
Dadurch, dass ich viel Öffentlichkeitsarbeit für den CSD mache, bekomme ich mittlerweile Hass auf Social Media ab. Bei der Gegendemo zum CSD wurde ich als »Kopf der antifaschistischen Bewegung in Döbeln« bezeichnet. Und Trautmann hat ein Foto von mir auf seinem Facebook-Account. Die ganzen organisierten Nazi-Kader haben mich also auf dem Schirm. Meiner Familie habe ich mittlerweile gesagt, dass, wenn sie auf mich angesprochen werden, sie sagen sollen, es sei eine Verwechslung, damit ihnen nichts passiert.
Die Polizei ist da keine Hilfe?
Nein. Wenn ich in Gefahr wäre, würde ich eher meine Freund*innen anrufen als die Polizei. Allein bei CSDs drehen die Polizeiketten uns das Gesicht zu und nicht den Faschos. Das macht klar: Von uns geht vermeintlich die Gefahr aus.
Ist der Sicherheitsaspekt für Sie auch zentraler Punkt der politischen Organisierung?
Schwer zu sagen. Ich glaube, das Wichtigste für mich sind Sichtbarkeit und Vielfalt, die wir nur gemeinsam erreichen können. Viele queere Menschen auf dem Land müssen oder wollen sich aber verstecken. Ich hingegen will meine Identität nicht mehr verstecken. Ich bin mittlerweile stolz genug, um Beleidigungen oder Anfeindungen hinzunehmen und weiterzumachen. Ich will sichtbar sein für jene, die es nicht können, und meine Stimme erheben für alle, die sich das nicht trauen.
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