»Antifa-Ost«-2.0-Prozess hat begonnen

Angeklagte erleben viel Solidarität zum Prozessauftakt

  • John Malamatinas und Jan Theurich, Dresden
  • Lesedauer: 4 Min.
Immer wieder gab es Solidaritätsdemonstrationen für die Angeklagten in Sachen »Antifa-Ost« und Budapest-Komplex.
Immer wieder gab es Solidaritätsdemonstrationen für die Angeklagten in Sachen »Antifa-Ost« und Budapest-Komplex.

»Solidaritätsbekundungen sind erlaubt – aber nur vor Verhandlungsbeginn«, vermeldet der Hausrechtsinhaber im Gerichtssaal, auf einem Stuhl stehend, kurz vor Beginn des Mammutverfahrens gegen sieben Antifaschist*innen in Dresden. Es handelt sich um den zweiten Prozess gegen die von Behörden und Medien als »Antifa-Ost« bezeichnete Gruppe. Im ersten Verfahren, das zweieinhalb Jahre dauerte, wurden Lina E. und drei Mitangeklagte 2023 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Der neue Prozess ist nun auf 153 Verhandlungstage angesetzt – bis 2027.

Das Verfahren beginnt im selben Saal wie bereits das erste Verfahren. Scharfe Einlasskontrollen, Panzerglas und große Polizeipräsenz prägen das Bild. Schon ab acht Uhr morgens befinden sich solidarische Aktivistinnen gemeinsam mit einem Teil der Angeklagten vor dem Gebäude. Auf einem großen Transparent steht »Free All Antifas«. Von der Kundgebung wird die Presse aufgerufen, das gesamte Polizeiaufgebot zu dokumentieren und die Inszenierung eines »Terrorprozesses« zu thematisieren. Auf der anderen Straßenseite stehen zwei Neonazis. Etwas unbedarft hängen sie ein Banner mit der Aufschrift »Mordversuch ist kein Aktivismus« auf. Daneben wird ein Bild, auf dem die in Ungarn in Untersuchungshaft sitzende Antifaschistin Maja T. verhöhnt wird, platziert: »Free Maja 2061« steht für den Wunsch der Nazis nach möglichst langer Haftdauer für T.

Der Prozessbeginn verspätet sich entsprechend. Als dann endlich die Angeklagten Johann G., Tobias E., Thomas J. und Paul M. mit Handschellen in den Saal geführt werden, klatscht das Publikum und ruft Parolen wie »Freiheit für alle politischen Gefangenen« und »Alle zusammen gegen den Faschismus«. Alle drei befinden sich momentan in Untersuchungshaft – im Gegensatz zu den Angeklagten Henry A., Melissa K. und Julian W. Erst um 10.20 Uhr erscheint der Vorsitzende Richter Joachim Kubista. Bereits 15 Minuten nach Beginn der Verhandlung kommt es nach mehreren Anträgen der Verteidigung zu einer ersten kurzen Unterbrechung.

Anschließend beginnt die Verlesung der Anklageschrift: Bei den Vorwürfen handelt es sich um Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit u.a. gemeinschaftlicher Körperverletzung sowie teils versuchtem Mord. Die kriminelle Vereinigung soll seit spätestens 2018 bestanden haben. Es geht um insgesamt 14 Taten und 35 Verletzte. Im Kern wird den Angeklagten vorgeworfen, als ideologische Grundlage und handlungsleitendes Motiv einen militanten Antifaschismus zu vertreten. Die Motivlage legitimiere auch die Anwendung von Gewalt und stelle das Gewaltmonopol des Staates infrage. Im Zentrum des Verfahrens steht Johann G., der laut Anklage mit der bereits verurteilten Lina E. eine »herausragende Stellung« in der Vereinigung innehatte.

»Man muss mit einer hohen Strafe für die Antifaschist*innen rechnen.«

Jasmin Heine Offenen Vernetzung gegen Repression Dresden

Nach der dreistündigen Verlesung der Anklage stellten die Verteidigungsanwälte mehrere Anträge zur Verfahrensaussetzung. Dabei ging es unter anderem um unvollständige Akteneinsicht, insbesondere fehlendes Bild- und Videomaterial, das aus ihrer Sicht für die Vorbereitung essenziell ist. Zudem beantragten sie die Offenlegung möglicher Prozessbeobachter aus Sicherheitsbehörden wie BKA, den LKA Sachsen, Thüringen und Berlin sowie dem Verfassungsschutz.

Für größere Diskussion sorgte der Antrag der Verteidigerin von Tobias E., Anna Luczak, zur Einstufung der »Antifa-Ost« durch die USA als ausländische terroristische Organisation. Sie forderte unter anderem Klarheit darüber, ob ihr Mandant bereits mit Sanktionen belegt wurde, ob deutsche Behörden wegen der Listung Kontakt zu US-Behörden hatten und ob es zu einer Informationsweitergabe gekommen sei, ob Telefongespräche zwischen Verteidigung und Mandant von US-Behörden abgehört werden könnten sowie welche Informationen den USA vorliegen, insbesondere aus Ungarn. Laut Luczak ist aufgrund möglicher Konsequenzen ein unbefangenes Verteidigen für ihren Mandanten nicht möglich. Der Richter reagierte auf die Anträge mit deren Zurückstellung. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses von »nd« lief die Debatte im Gericht noch.

Jasmin Heine von der Offenen Vernetzung gegen Repression Dresden sagte gegenüber »nd«, die Härte des Verfahrens sei »eindeutig politisch motiviert« und man müsse »mit einer hohen Strafe für die Antifaschist*innen« rechnen. Oberstaatsanwalt Bodo Vogler erklärte vor der Presse, dass es keine »gute politische Gewalt« gebe. »Der Rechtsstaat kann und darf es nicht hinnehmen, dass einzelne Angeklagte das Recht in die eigene Hand nehmen.« Voglers Aussage erinnert an das richtungsweisende Urteil gegen Hanna S. in München im September, wo S. für ähnliche Vorwürfe zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde.

- Anzeige -

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.