- Wissen
- Klimaforschung
Der Ozean als Heizung der Zukunft
Die Meere nehmen den größten Teil der Wärmeenergie im Erdsystem auf. Dies könnte langfristig zu einer neuen Klimaerwärmung führen
Was würde eigentlich passieren, wenn die Treibhausgasemissionen endlich und sehr rasch eingestellt würden? Schließlich ist das eine alte Forderung insbesondere der vom steigenden Meeresspiegel bedrohten Inselstaaten wie auch der Klimaschützer in aller Welt. Auch die Wissenschaft redet sich seit mehr als 30 Jahren den Mund fusselig, dass es nicht so weitergehen kann. Klar ist, dass das Klimasystem träge, in Teilen sogar sehr träge, auf Veränderungen reagiert. Das heißt unter anderem, dass die globale Erwärmung in den nächsten Jahrzehnten noch um einige Zehntel Grad weitergehen würde, selbst wenn wir sofort alle Emissionen stoppen und die atmosphärische Konzentration der Treibhausgase auf dem jetzigen Niveau stabilisieren.
Die großen Eisschilde in der Antarktis und auf Grönland sowie die Meere – vor allem das Tiefenwasser der Ozeane – reagieren noch viel langsamer. Sie brauchen Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende, um sich an ein neues Gleichgewicht anzupassen. Das ist seit Langem bekannt und kann ganz ungeahnte Konsequenzen haben, wie eine Studie zeigt, die das Fachblatt »Advancing Earth and Space Sciences« vergangene Woche veröffentlichte. Ein Team des Geomar Helmholtz-Zentrums für Meereswissenschaften in Kiel hat mit einem Erdsystemmodell mittlerer Komplexität untersucht, wie sich das durch den Klimawandel nach und nach aufgewärmte Tiefenwasser der Ozeane langfristig verhalten wird. Dadurch, dass das Modell die Atmosphäre nur vereinfacht abbildet, konnte die Entwicklung über viele Jahrhunderte simuliert werden.
Das Ergebnis: In einigen Jahrhunderten könnte es im südlichen Ozean, der die Erde nördlich von Antarktika umspannt, wieder an die Oberfläche treten und dadurch größere Mengen an Wärmeenergie an die Atmosphäre abgeben. Die in der Region vorherrschenden besonders starken Westwinde sorgen schon heute dafür, dass dort Tiefenwasser aufströmt. Da es sehr lange dauert, bis die globale Erwärmung auch die tiefsten Wasserschichten erreicht, ist es derzeit noch vergleichsweise kalt. Doch die Kieler Berechnungen zeigen, dass das nicht so bleiben wird: »Unsere Simulationen deuten darauf hin, dass das Südpolarmeer nach einer langen Abkühlungsphase die Wärme, die sich im Ozean während der Klimaerwärmung aufgestaut hat, gewissermaßen wieder ›aufstoßen‹ könnte«, erklärt die Hauptautorin der Studie, Ivy Frenger. Diese Wärmefreisetzung könne über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte anhalten und die durch sie verursachte globale Erwärmung könnte vergleichbar mit jener seit dem Beginn der Industrialisierung werden.
Die Kieler Studie zeigt, dass die Energie nicht auf Dauer in den Tiefen der Weltmeere bleiben wird.
Allerdings sind die Kielerinnen und Kieler nicht davon ausgegangen, dass die Emissionen in den nächsten Jahren eingestellt werden. Vielmehr haben sie ein Szenario durchgerechnet, in dem die Emissionen weiter steigen, bis sich die CO2-Konzentration in der Atmosphäre nach 70 Jahren gegenüber dem vorindustriellen Niveau von 278 Millionstel Volumenanteilen (ppm) auf 556 ppm verdoppelt hat. Im Vergleich zur derzeitigen Entwicklung ist das eines der Worst-Case-Szenarien. Derzeit liegt die CO2-Konzentration bei 423 ppm. Die Emissionen befinden sich zwar auf Rekordniveau, nahmen aber zuletzt kaum noch zu. Einiges deutet zudem darauf hin, dass ihr Rückgang in den nächsten Jahren beginnen wird. Zwar müssten die Emissionen viel drastischer und rascher als bisher reduziert werden, um eine katastrophale globale Erwärmung zu verhindern, doch so dramatisch wie in dem in Kiel angenommenen Szenario wird die Entwicklung hoffentlich nicht ausfallen.
Dennoch macht der gewählte Ansatz Sinn, um sich der Frage nach dem langfristigen Verhalten der Ozeane zu nähern. Angesichts der großen Mengen an Wärmeenergie, die durch die globale Erwärmung zusätzlich in den Tiefen der Weltmeere gespeichert werden, ist das eine nicht ganz unwichtige Frage. Die Kieler Studie zeigt, dass diese Energie dort nicht auf Dauer bleiben wird. Zurzeit sorgen die durch menschliche Aktivitäten emittierten Treibhausgase dafür, dass pro Quadratmeter rund 2,7 Watt mehr Sonnenenergie im Erdsystem eingefangen wird als noch zu vorindustriellen Zeiten. Rund um die Uhr. Nicht alles verbleibt auf der Erde, denn die zusätzliche Energie lässt die Temperaturen steigen, wodurch auch die Abstrahlung unseres Planeten zunimmt. Doch nicht alles, was reinkommt, geht auch wieder raus, wie es im thermischen Gleichgewicht der Fall wäre. Wegen seiner Trägheit hat das System noch kein neues Gleichgewicht gefunden. Stunde für Stunde speichert es daher einen Teil der Wärmeenergie dauerhaft ab. Etwa 0,8 Watt pro Quadratmeter waren es im Durchschnitt der Jahre 2006 bis 2018. Dem letzten Sachstandsbericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, meist auch Weltklimarat genannt) zufolge war das im Vergleich zu den vorhergehenden dreieinhalb Jahrzehnten ein Anstieg von fast 60 Prozent.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Und obwohl immer die Rede von der globalen Lufttemperatur ist – um ganz genau zu sein: von der in zwei Meter über dem Erdboden gemessenen und über den ganzen Erdball und das ganze Jahr gemittelten Temperatur – geht nur ein einziges Prozent dieser Energie in die Erwärmung unserer Atmosphäre. Drei Prozent sorgt für das Abschmelzen der Gletscher und Eisschilde und fünf Prozent erwärmt die Landmassen. Die verbleibenden beachtlichen 91 Prozent verschwinden in den Ozeanen.
Aber die Ozeane sind riesig und vor allem ihre Tiefen noch immer schlechter als unser Sonnensystem erforscht. Etwa 4,5 Kilometer sind es im Durchschnitt vom Meeresboden bis zur Oberfläche, aber nur bis in Tiefen von zwei Kilometern liegen halbwegs ausreichende Daten über Strömungsgeschwindigkeiten, Temperatur und Salzgehalt des Wassers vor und auch das nur für die letzten 25 Jahre. Aus den darunter gelegenen Schichten gibt es nur einzelne Stichproben, aber kaum Zeitreihen, die Auskunft über die längerfristigen Veränderungen geben würden. Es ließe sich also sagen, dass die Kieler Studie einmal mehr zeigt, dass im Nebel, in den die Menschheit mit der Verbrennung von Öl, Gas und Kohle rast, die eine oder andere Mauer vor ihr liegt.
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.