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Vergesellschaftung: »100 000 Euro für ein Gefälligkeitsgutachten«

Ein Senatsgutachten erklärt die Vergesellschaftung für verfassungswidrig. DWE-Sprecherin Firat sagt: juristisch längst geklärt

  • Interview: David Rojas Kienzle
  • Lesedauer: 5 Min.
2021 stimmten 59,1 Prozent für den Volksentscheid von Deutsche Wohnen und Co Enteignen. Der schwarz-rote Senat verzögert die Umsetzung.
2021 stimmten 59,1 Prozent für den Volksentscheid von Deutsche Wohnen und Co Enteignen. Der schwarz-rote Senat verzögert die Umsetzung.

Frau Firat, ein vom Senat beauftragtes Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die von Deutsche Wohnen und Co enteignen (DWE) beabsichtigte Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände nicht verfassungsgemäß ist. Sind die Pläne von DWE jetzt hinfällig?

Natürlich nicht. Das Gutachten widerspricht jeglichen juristischen Erkenntnissen der letzten Jahre, allen voran den Ergebnissen der Expert*innenkommission zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen. Es fällt also weit hinter den aktuellen Stand der Wissenschaft zurück. Juristisch ist die Frage längst geklärt. Laut Verfassung der Bundesrepublik Deutschland darf man vergesellschaften, und zwar auch in Berlin. Im September dieses Jahres haben wir das deutschlandweit erste Vergesellschaftungsgesetz vorgestellt. Im kommenden Jahr soll dieses als Volksbegehren eingebracht und den Berliner*innen anschließend in einem Gesetzesvolksentscheid zur Abstimmung gestellt werden. Ist die Abstimmung erfolgreich, tritt das Gesetz unmittelbar in Kraft.

Das Gutachten wurde von zwei renommierten Großkanzleien angefertigt, die auf Immobilienrecht sowie auf Verfassungs- und Verwaltungsrecht spezialisiert sind.

Die Berliner CDU hat unter Kai Wegner hier ironischerweise bekannte Kanzleien, die regelmäßig für Vonovia arbeiten, beauftragt. 100 000 Euro Steuergelder aus dem Berliner Haushalt werden verschwendet für ein Gefälligkeitsgutachten, das nur aus veralteten Argumenten besteht, die längst widerlegt sind.

Interview

Firdes Firat ist Sprecher*in der Initiative Deutsche Wohnen und Co enteignen. Dort ist sie in der Koordination aktiv.

Ein zentraler Punkt ist demnach, dass das Land Berlin zwar theoretisch die Gesetzgebungskompetenz hat, aber die Berliner Landesverfassung das nicht zulasse. Wie sehen Sie das?

Wir sagen, das ist Quatsch. Was das Gefälligkeitsgutachten hier behauptet, ist, dass in Berlin das Grundgesetz angeblich nicht gelte. Das ist wissenschaftlich aber so absurd, dass sich selbst der konservative Block in der Expert*innenkommission nicht geschlossen zu dieser Auffassung durchringen konnte. In der juristischen Literatur ist das absolut randständig.

Aber auch in der Expertenkommission haben Einzelne die Position vertreten, dass eine Änderung der Verfassung notwendig wäre.

Genau zwei von 13 Leuten in der Kommission haben das gesagt. Aber wie gesagt, nicht mal der konservative Block stand geschlossen hinter dieser Argumentation.

Das Gutachten widerspricht an verschiedenen Stellen der Expert*innenkommission. So würden Immobilien nicht unter die Kategorie »Grund und Boden« fallen, für die der Artikel 15 im Grundgesetz greift, den Sie für die Vergesellschaftung heranziehen wollen.

Auch dieses Argument wurde bereits durch die Kommission ausgeräumt: Wohnungsbestände entsprechen dem Gegenstand »Grund und Boden« und können vergesellschaftet werden. Auf diese Bestätigung berufen wir uns nach wie vor.

Das neue Gutachten

Ein vom CDU-geführten Finanzsenat beauftragtes Gutachten kommt zum Schluss, dass die Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände illegal wäre. Im noch nicht veröffentlichten Gutachten heißt es, alles spreche dafür, »dass die Berliner Landesverfassung eine Vergesellschaftung, und damit auch den Erlass eines Vergesellschaftungsrahmengesetzes, etwa auf den Feldern Wohnen, Energie und Wasser« nicht zulasse. Das Gutachten war im Juni in Auftrag gegeben worden. Dafür sollen 100 000 Euro ausgegeben worden sein.
Erstellt wurde das Gutachten von zwei Großkanzleien. Greenberg Traurig ist unter anderem auf Immobilienrecht spezialisiert und international tätig. In der Vergangenheit hat die Kanzlei unter anderem Vonovia und das landeseigene Wohnungsunternehmen Howoge vertreten.
Die zweite Kanzlei, Redeker Sellner Dahs, ist in mehreren europäischen Ländern und unter anderem im Verwaltungs- und Verfassungsrecht tätig. Die Kanzlei hatte für mehrere Wohnungsbaugenossenschaften Verfassungsbeschwerde gegen den Mietendeckel eingelegt.
Das neue Gutachten widerspricht den Ergebnissen der nach dem erfolgreichen Volksentscheid von »Deutsche Wohnen und Co enteignen« 2022 eingesetzten Expert*innenkommission. Die 13 Expert*innen, fast ausschließlich Universitätsprofessor*innen, waren 2023 zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Vergesellschaftung rechtlich möglich wäre. drk

Die Diskussion wird ja schon länger geführt, ist aber trotzdem relevant: Wäre eine Vergesellschaftung verhältnismäßig? Auch das verneint das Gutachten.

Auch da berufen wir uns auf die Kommission, die die Verhältnismäßigkeit bestätigt hat und Vergesellschaftung als geeignet und angemessen erachtet, um dem Mietenwahnsinn in Berlin etwas entgegenzusetzen und ihn letztlich bestenfalls zu beenden. Im Bericht heißt es außerdem, dass die Vergesellschaftung der Wohnungsbestände sogar erforderlich sei, weil gerade kein besseres Mittel zur Verfügung steht, um die Mieten in Berlin dauerhaft bezahlbar zu machen. Auch zweieinhalb Jahre später sieht das Ganze nicht anders aus.

Eins der zentralen Argumente gegen eine Vergesellschaftung ist die Frage des Geldes. Das Senats-Gutachten spricht von »den Landeshaushalt potenziell überfordernden finanziellen Konsequenzen«. Kann sich Berlin das leisten?

Natürlich. Es wird häufig vergessen, dass die vergesellschafteten Bestände ja auch Mieteinnahmen generieren, mit denen die Entschädigungen und die Bewirtschaftung bezahlt werden können. Und eine neue Studie von einem Team um Andrej Holm von der Humboldt Universität Berlin belegt, dass Vergesellschaftung finanzierbar ist. Auch ohne dauerhafte Zuschüsse des Berliner Haushalts und bei dauerhaft bezahlbaren Mieten und einer guten Bewirtschaftung der Wohnungen. Die Finanzierungsfrage kann außerdem keine Ausrede dafür sein, die Vergesellschaftung nicht umzusetzen. Denn unterm Strich macht Vergesellschaftung Berlin nicht ärmer, sondern reicher.

Wie denn?

Die Berliner*innen bekommen eine Viertelmillion Wohnungen für nur 40 bis 60 Prozent des Marktwertes. Diese Wohnungen sind irgendwann durch die Mieteinnahmen abbezahlt. Die Mieten sind dauerhaft günstig, und die Berliner*innen können entscheiden, wie die Bestände genutzt werden sollen. Für den Landeshaushalt ist das unproblematisch. Berlin ist aber nicht nur sein Haushalt. Das Leben der Berliner*innen wird durch eine gemeinwirtschaftliche Wohnraumversorgung auch reicher an Teilhabe und Sicherheit.

Eine Vergesellschaftung, wie von Ihnen beabsichtigt, wäre in jedem Fall Neuland. Zweifel gibt es nicht erst seit dem Gutachten. Wie sichern Sie Ihr Vorhaben ab?

Im Gegensatz zum redundanten Gefälligkeitsgutachten des Senats arbeiten wir seriös. Nach wie vor stützen wir uns auf den Abschlussbericht der ebenfalls vom Senat eingesetzten Expert*innenkommission von 2023, die zu dem Schluss gekommen ist, dass Vergesellschaftung, wie von uns vorgesehen, juristisch möglich ist. Wir berufen uns auch auf den anerkannten Stand aktueller Wissenschaft und Literatur. Um all diese rechtssicheren Erkenntnisse gut zu verarbeiten und umzusetzen, arbeiten wir außerdem mit vielen Anwält*innen, unserem wissenschaftlichen Beirat und hervorragenden Inhouse-Jurist*innen zusammen. Wir sind entschlossen, das Votum der Berliner*innen von 2021 mit größter Sorgfalt umzusetzen.

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