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Tom Stoppard: Der Mann zwischen den Künsten
Zum Tod des Dramatikers und Drehbuchschreibers Tom Stoppard
William Shakespeare, gespielt von Joseph Fiennes, ist ein Nachwuchsschauspieler und Dramatiker, als ihn im London des Jahres 1593 eine Schreibblockade heimsucht. Der Gang zu einem Analytiker bringt ihm nicht mehr als ein paar vorschnelle küchenpsychologische Ergüsse. Seine Arbeit kommt erst wieder in Fahrt, als Shakespeare sich in Viola (Gwyneth Paltrow), die Tochter eines reichen Kaufmanns, verliebt. Diese steht kurz vor der Heirat mit einem Adligen in finanziellen Nöten. Zugleich ist sie ein Fan des Theaters, speziell von Shakespeares Versen, und träumt heimlich davon, selbst Schauspielerin zu sein, was Frauen nicht nur im Elisabethanischen Zeitalter verwehrt blieb.
Dieses Wirrwarr aus gesellschaftlichen Schranken, privaten und professionellen Interessen wird in »Shakespeare in Love« zu einer furiosen Feier künstlerischer Realitätsbewältigung, die zugleich den Kater danach spürbar macht und die Ohnmacht gegenüber den real existierenden Machtverhältnissen latent romantisch verklärt.
Auf dem Höhepunkt des Films, der unter der Regie von John Madden 1998 zu einem internationalen Kinoerfolg wurde, verschränken sich die Arbeit an jenem Stück, das schließlich zu »Romeo und Julia« werden sollte, Theaterproben und diverse Bettszenen zu einer Erzählung, in der die Unmittelbarkeit des Theaters und die filmische Montage, die Worte des einen und die Bildsprache des anderen Mediums, mit ihrer ganzen Kraft protzen. Man könnte dieses Spiel mit wechselnden Identitäten und Kunstformen auch als Quintessenz des Schaffens des Dramatikers Tom Stoppard bezeichnen, der am Samstag im Alter von 88 Jahren starb.
Nach Heiner Müller ist es mindestens von Vorteil, wenn ein Autor dramatischer Texte zunächst einmal das eigene Leben als Drama versteht. So gesehen hatte Tom Stoppard für seinen Beruf die besten Voraussetzungen. Als Tomáš Sträussler wurde er am 3. Juli 1937 in Zlín in der Tschechoslowakei geboren, als Sohn jüdischer Eltern. Zwei Jahre später floh die Familie vor der deutschen Invasion; die Großeltern fielen dem Holocaust zum Opfer. Auf der weiteren Flucht starb der Vater, ein Werkarzt. Japanische Bomber hatten jenes Schiff versenkt, mit dem er von Singapur nach Indien flüchten wollte.
1946 heiratete Stoppards Mutter einen britischen Major und zog mit ihren beiden Söhnen nach England. Mit 17 verließ Tom die Schule und begann als Reporter und Theaterkritiker zu arbeiten, zunächst in Bristol, dann in London. Er lernte Peter O’Toole kennen, der am Old Vic Theatre in Bristol als Hamlet auf der Bühne stand und zur selben Zeit seine Karriere in Film und Fernsehen vorantrieb. Shakespeare und die Arbeit für beide Medien, Bühne und Film, sollten auch Stoppard sein weiteres Leben lang begleiten.
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In Deutschland wurde Stoppards erstes Stück »A Walk on Water« 1964 am Hamburger Thalia-Theater uraufgeführt. Im selben Jahr entstand in Berlin »Rosencrantz and Guildenstern are Dead«, ein absurdes Spin-off von »Hamlet«, das Stoppard 1990 selbst verfilmen sollte, mit Tim Roth und Gary Oldman.
Auch zu einer Zusammenarbeit mit Rainer Werner Fassbinder kam es 1977. Stoppard schrieb das Drehbuch zu »Eine Reise ins Licht – Despair«, eine Adaption von Vladimir Nabokovs Roman »Verzweiflung«. Im Film, der laut Thomas Elsaesser den »Zusammenbruch des bürgerlichen Subjekts« anhand der wechselvollen Karriere eines Schokoladenfabrikanten in den 1930er Jahren nachzeichnet, landete sehr wenig von Stoppards Witz und Ironie und umso mehr von Fassbinders Hang zum Melodram.
Stoppard, der damals bereits als drittgrößter lebender britischer Dramatiker galt (nach Samuel Beckett und Harold Pinter), soll über das Ergebnis entsprechend unglücklich gewesen sein. Seine vielfach ausgezeichneten Bühnenerfolge wie »Travesties« (1974), »The Real Thing« (1982) und »Arcadia« (1993) dürften Stoppard darüber hinweggetröstet haben.
Jenseits des Theaters, also auch für die breite Öffentlichkeit, bleibt indes »Shakespeare in Love« Tom Stoppards größter Triumph. Der Film wurde 1999 nicht nur für das beste Originaldrehbuch, sondern auch mit sechs weiteren Oscars ausgezeichnet, inklusive dem für den besten Film.
Mit »Leopoldstadt«, einem autobiografisch geprägten Stück über jüdische Identität und den Schrecken der Geschichte, kam 2020 Stoppards letztes Stück zur Uraufführung.
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