- Politik
- Sudan
Kriegsziel ethnische Säuberung
Al-Fascher ist »Schauplatz eines massiven Verbrechens«, sagt ein Forscher der Universität Yale
Auch über sechs Wochen nach der Eroberung von Al-Fascher schirmt die Miliz Rapid Support Forced (RSF) die Stadt von der Außenwelt ab. Und das aus gutem Grund. Von Forschern der Universität Yale in den USA ausgewertete Satellitenbilder und Zeugenaussagen von geflohenen Bewohnern lassen nur einen Schluss zu: Viele der 150 000 Vermissten sind entweder tot oder werden als Geiseln gehalten. »Die gesamte Stadt ist Schauplatz eines massiven Verbrechens«, sagt Nathaniel Raymond. Der Wissenschaftler des Yale Humanitarian Research Lab kann dank der hohen Auflösung der in den Satelliten verbauten Kameras einzelne Körper identifizieren und hat in der Stadt neben Straßen voller Leichen mehrere Massengräber entdeckt. »Das Ausmaß dieses Verbrechens auszumachen, ist nur in aufwendiger Detailarbeit möglich.«
Neue Aufnahmen aus der letzten Woche zeigen eine Geisterstadt. Die einst überfüllten Märkte, auf denen die Bauern der ertragreichsten Felder der Sahel-Region ihre Waren anboten, gibt es nicht mehr. Die meisten Einheiten der RSF sind weiter in Richtung der östlich gelegenen Kordofan-Provinzen gezogen. Panikartig verlassen dort viele Menschen ihre Häuser; auch sie hat die Nachricht erreicht, dass die RSF-Kämpfer offenbar alle nicht arabischen Sudanesen an Ort und Stelle hinrichten.
Berge von Leichen auf den Straßen
In der rund 60 Kilometer südwestlich von Al-Fascher gelegenen Stadt Tawila warten die Helfer des Roten Halbmonds weiterhin auf die Ankunft der Vermissten. Die Aussagen derjenigen, die sich aus Al-Fascher durchschlagen konnten, machen Hoffnung, dass sich einzelne Gruppen von Geflüchteten noch verstecken. »In kleinen Gruppen machten die RSF-Milizionäre in Toyota-Pick-ups Jagd auf uns«, berichtet Amila, die zusammen mit ihren fünf Kindern und Verwandten im Schutz der Dunkelheit sieben Nächte lang nach Tawila marschiert ist. »Wir hörten am Tage überall Schüsse. Entlang aller größeren Straßen lagen Berge von Leichen, ganze Familien. Meinen Mann haben sie zusammen mit mehreren Nachbarn auf offener Straße verschleppt. Ich weiß nicht, ob er noch lebt.«
Dem »nd« erzählt sie ihre Erlebnisse am Telefon aus einer Lagerhalle, die Helfer des Roten Halbmondes für die traumatisierten Flüchtlinge aus Al-Fascher eingerichtet haben. Omar Buktasch, ein Freiwilliger, der sich um die Versorgung der Menschen kümmert, wirkt so verzweifelt wie die Betroffenen: »Ich höre täglich die Details des Horrors, den viele vor ihrer Flucht aus Al-Fascher erlebt haben. Lastwagen, die über verwundete Kinder fuhren, Erschießungen von auf die Straße Getriebenen, Folter von Gefangenen. Es ist kaum zu ertragen.«
»Entlang aller größeren Straßen lagen Berge von Leichen, ganze Familien. Meinen Mann haben sie auf offener Straße verschleppt. Ich weiß nicht, ob er noch lebt.«
Amila Geflüchtete aus Al-Fascher
Der 26-Jährige reicht das Telefon an Abdallah weiter. Er sagt weinend, bis auf eine Tochter seine gesamte Familie auf der Flucht aus den Augen verloren zu haben. »Am Stadtrand von Al-Fascher wurden wir auf dem Sandwall beschossen, den die Rebellen während der Belagerung der Stadt errichtet hatten und den wir überqueren mussten. Wir flohen vor den Kugeln in alle Richtungen. Ich ging mit meiner fünfjährigen Tochter an der Hand in Deckung und konnte nicht Richtung Stadt zurück. Denn auf dem Wall standen plötzlich RSF-Kämpfer. Verzweifelt gingen wir mit einer anderen Gruppe von Flüchtlingen weiter.« Abdallah berichtet wie viele andere, mit denen »nd« sprach, über Angriffe der stets über den Fliehenden kreisenden Drohnen.
Das wohl größte einzelne Massaker der letzten Jahre findet kaum mehr Beachtung. UN-Beobachter haben sich noch nicht in den Norden Darfurs gewagt. Vor ihrem Angriff hatten die RSF-Kämpfer die Telefonkabel und das Mobilfunknetz in das 500 Tage lang belagerte Al-Fascher gekappt.
Rolle der Vereinigten Arabischen Emirate
In Europa und den USA ist der Wille, die Täter zur Verantwortung zu ziehen und das Ausmaß der Kriegsverbrechen zu benennen, nur schwach. Die Vereinigten Arabischen Emirate, strategischer Partner des Westens, sind der engste Verbündete von RSF-Kommandeur Hemedti. Eine Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof dürfte auch die Lieferung westlicher Waffen nach Abu Dhabi aufdecken.
Die sudanesische Armee fand in der von RSF-Kämpfern lange besetzten Stadt Omdurman Nachtsicht- und Zielgeräte britischer Produktion. In einem Hintergrundgespräch berichtete ein Experte ausgewählten Parlamentariern in London, dass er von mindestens 60 000 Toten in Al-Fascher ausgehe, es jedoch wohl viel mehr Opfer gebe.
Westen schaut weg
»Die Welt hat zu dem Verbrechen geschwiegen«, sagt Mohammad Zulo vom Roten Halbmond in Tawila. »Also morden die Täter weiter. Sie haben den Befehl, die Masalit und andere nicht arabische Sudanesen zu töten. Geisterstädte stören den Gold- und Viehhandel an den Golf nicht.«
Die brutale Rechnung der Täter scheint aufzugehen. Als vor zwei Jahren nach der Eroberung der Stadt Al-Dschuneina in West-Darfur nach UN-Angaben bis zu 15 000 Masalit starben, blieb ein Aufschrei in westlichen Hauptstädten aus. Hunderte Transportflieger haben seitdem Waffen aus Abu Dhabi an die RSF geliefert. Im April ließ Hemedti das Flüchtlingslager Zam Zam bei Al-Fascher stürmen. Wie Al-Dschuneina und Al-Fascher ist Zam Zam nun eine Geisterstadt voller Leichen.
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.