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Bahn: Strecke Berlin–Dresden ohne »Schweineohr«
Dresdner Bahn nimmt am Sonntag mit 19 Jahren Verspätung den Betrieb auf
Klaus Wowereit ist nicht da bei der symbolischen Eröffnungsfahrt des Berliner Abschnitts der Dresdner Bahn am Donnerstag. 1,1 Milliarden Euro hat der Bau der Strecke gekostet, die diesen Sonntag zum Fahrplanwechsel endlich in Betrieb genommen wird. Doch in fast jedem Gespräch der zahlreichen Festgäste fällt der Name des einstigen Berliner Regierenden Bürgermeisters von der SPD. Schließlich ist es maßgeblich ihm zu verdanken, dass die 16-Kilometer-Strecke mit zwei elektrifizierten Ferngleisen parallel zur S2 zwischen Berlin-Südkreuz und Blankenfelde nicht wie einst geplant zur Eröffnung des Berliner Hauptbahnhofs 2006 eingeweiht wurde.
Denn Wowereit machte sich die Forderung Lichtenrader Bürgerinnen und Bürger aus seinem Wahlkreis zu eigen. Diese wollten erreichen, dass die neuen Ferngleise teilweise in einem Tunnel verschwinden, statt ebenerdig geführt zu werden. Etwas über 30 Millionen Euro Zuschuss stellte das klamme Land Berlin für die Maßnahme in Aussicht, die einen dreistelligen Millionenbetrag gekostet hätte. Die Deutsche Bahn lehnte ab. Berlin blockierte das Planfeststellungsverfahren, indem es sich weigerte, die Unterlagen öffentlich auszulegen. Ein beispielloser Vorgang in der deutschen Planungsgeschichte.
Die Jahre seit Start des Planfeststellungsverfahrens 1998 gingen ins Land. Der Tunnel kam nicht, dennoch musste die Bahn die gesamte Strecke wegen zwischenzeitlicher Änderungen von Normen und Vorschriften neu planen. Die Bürgerinitiative aus Lichtenrade zog für ihre Tunnelforderung noch bis vor das Bundesverwaltungsgericht, das 2017 letztlich die Klage abwies. 2019 startete schließlich der Bau.
Im Doppelstockzug sieht man sogar etwas
Der Sonderzug, ein weißer Doppelstock-Intercity, der die Ehrengäste vom Südkreuz zum Flughafen BER bringt, ist mit Bedacht gewählt. Denn im Oberdeck sieht man tatsächlich etwas von der Umgebung – über die Lärmschutzwände hinweg, die mit zwei bis sechs Metern Höhe praktisch die gesamte Strecke einrahmen. Fahrgäste der S2 kennen das Tunnelgefühl entlang der Strecke bereits seit einigen Monaten.
Nur knapp 13 Minuten braucht der Zug vom Südkreuz zum BER. Stolz kommentiert Projektleiter Markus Reuner live während der Fahrt, auch über den neu gebauten zweigleisigen Abzweig von der Dresdner Bahn auf den Berliner Eisenbahn-Außenring, der die Flughafenanbindung sicherstellt. Ab Sonntag wird die Strecke im angenäherten Viertelstundentakt vom Flughafenexpress FEX befahren werden. Nur noch um die 23 Minuten werden die Züge zwischen Hauptbahnhof und BER benötigen. Noch dauert die Fahrt über die Stadtbahn und das Ostkreuz 39 Minuten.
»Am Ende war das wirklich ein Kraftakt von allen, das Projekt zur Realisierung zu bringen.«
Philipp Nagl Chef DB Infrago
In feierlicher Stimmung ist auch Philipp Nagl. »Ich freue mich ganz besonders, dass einige der damaligen, in der schwierigen Zeit unermüdlichen Befürworter dieses Projektes heute hier auch da sind. Am Ende war das wirklich ein Kraftakt von allen, das Projekt zur Realisierung zu bringen«, sagt der Chef des Bahn-Infrastrukturbetreibers DB Infrago in einem Konferenzraum am Flughafen.
Nagl hebt hervor, dass die Züge von Berlin nach Dresden nicht mehr den Umweg über die Anhalter Bahn und das sogenannte Schweineohr fahren müssen, eine Verbindungskurve, die von ihrer Form her an das Tierorgan erinnert. »Man hat diesen Umweg von circa 20 Kilometern 20 Jahre lang gemacht, wenn man von Berlin nach Dresden fahren wollte«, sagt er.
Erstmals schneller als 1937
Zehn Minuten schneller ist damit die Verbindung nach Dresden geworden, etwas über 90 Minuten dauert es noch von Berlin. Damit wird erstmals nach fast 90 Jahren die Fahrzeit des Henschel-Wegmann-Zuges unterboten. Der Leichtbauzug mit stromlinienverkleideter Dampflok schaffte im Jahr 1937 die Strecke vom Anhalter Bahnhof in Berlin zum Dresdner Hauptbahnhof in 100 Minuten. Ab 2028, wenn alle Arbeiten auf der Dresdner Bahn in Brandenburg und Sachsen abgeschlossen sein werden, soll die Fahrzeit auf 80 Minuten sinken.
Nach mehrmonatiger Unterbrechung wird auch die Anhalter Bahn wieder in Betrieb gehen. Weil ein neues elektronisches Stellwerk am Bahnhof Südkreuz für die Dresdner Bahn in Betrieb genommen werden musste, gab es auch für die Strecke nach Halle, Leipzig und weiter Richtung München eine Zwangspause, die für eine Sanierung genutzt worden ist.
Direkt nach Kopenhagen ab Mai
Mit der Wiederinbetriebnahme der Bahnstrecke Berlin–Hamburg zum 1. Mai 2026 nach der laufenden Generalsanierung wird es erstmals nach vielen Jahren auch wieder eine Direktverbindung nach Kopenhagen mit einer Fahrzeit von knapp sieben Stunden geben. Täglich zwei Comfortjet-Züge der Tschechischen Bahn ČD aus Prag werden bis in die dänische Hauptstadt verlängert, im Sommer soll zusätzlich eine Nachtverbindung angeboten werden.
Lausitz bekommt BER-Direktverbindung
Die Eröffnung der Dresdner Bahn auf Berliner Gebiet, auf der 1952 das letzte Mal Fernzüge fuhren, hat auch große Auswirkungen auf den Regionalverkehr. Die neue Linie RE20 wird im Stundentakt den Berliner Hauptbahnhof über den Flughafen BER mit Lübbenau verbinden. Nach Fertigstellung des zweigleisigen Ausbaus Ende 2027 sollen die Züge weiter bis Cottbus fahren.
Bemerkenswert ist, dass die Züge zum Wenden vom Berliner Hauptbahnhof bis Gesundbrunnen weiterfahren müssen, auf der Fahrt aber keine Fahrgäste mitnehmen werden. Hintergrund ist, dass Berlin und Brandenburg diese Fahrten bezahlen müssten, wenn sie nicht nur betriebliche Gründe hätten. Damit könnte künftig nur noch einmal pro Stunde die Verbindung vom Knotenpunkt im Berliner Norden zum BER angeboten werden, statt wie derzeit zweimal. Der Wegfall wird kritisiert.
Keine geteilten Linien mehr
Die bisher geteilte Linie RE8 wird neu von Westen kommend ab Spandau über Jungfernheide, Berlin-Hauptbahnhof und die Dresdner Bahn nach Blankenfelde und weiter Richtung Elsterwerda fahren und im Südast zehn Minuten schneller sein. Die Fahrten über die Stadtbahn zum Flughafen BER fallen weg. Zusätzlich fährt auch die RB10 vom Berliner Hauptbahnhof über die Dresdner Bahn weiter bis Rangsdorf.
Mit diesen Änderungen könnte auch der Regionalbahnhof Potsdamer Platz aus seinem Dornröschenschlaf erwachen. Mit dann zehn Fahrten pro Stunde und Richtung wird die Strecke zum Hauptbahnhof auch als innerstädtische Verbindung langsam interessant. Allerdings sind die Fahrten ungleichmäßig verteilt. Eine 16-Minuten-Lücke pro Stunde bleibt.
Auch die Teilung zwischen Nord- und Südabschnitt der Linien RB24 und RB32 ist ab Sonntag Geschichte. Von Norden kommend führen sie über Ostkreuz, Schöneweide und den BER nach Blankenfelde beziehungsweise Ludwigsfelde und bieten im gemeinsamen Abschnitt einen angenäherten Halbstundentakt.
Stündlich Berlin–Angermünde–Stralsund
Neu wird es eine stündliche Verbindung im Regionalverkehr von Berlin über Angermünde nach Stralsund geben. Bisher fährt der RE3 ab Angermünde abwechselnd alle zwei Stunden nach Schwedt oder Stralsund weiter. Dabei soll es zunächst bleiben, jedoch bietet die neue Linie RE30 in Angermünde zweistündlich eine Anschlussverbindung nach Stralsund. Ob die sieben bis acht Minuten Umsteigezeit in der Praxis reichen, muss sich noch zeigen. Mit dieser Neuerung sollen die bisher in der Saison angebotenen Zusatzzüge entfallen. Auch hier bleibt abzuwarten, ob damit die teilweise katastrophalen Zustände durch Überfüllung im Ostseeverkehr der Vergangenheit angehören.
S45 wird eingestellt
Abschied nehmen heißt es ab Sonntag von der S45. Die S-Bahn-Verbindung vom Südkreuz zum Flughafen BER wird gestrichen. Stattdessen wird die S85 statt nach Grünau zum Flughafen fahren, und die Betriebszeiten werden täglich bis Mitternacht ausgeweitet. Noch unübersichtlicher als bisher wird es am Nordende der Linie. Je nach Wochentag und Uhrzeit fährt sie nach Frohnau, Waidmannslust oder Pankow. Die Mondphasen sollen beim Endpunkt keine Rolle spielen.
Als Ersatz für die wegfallenden Fahrten von S45 und S85 wird es auf der S46 künftig tagsüber Verstärkerfahrten zwischen Hermannstraße und Grünau geben. Allerdings bilden sie mit den regulären Fahrten der S46 in dem Abschnitt einen etwas unschönen 5/15-Minuten-Hinketakt.
Insgesamt wächst das Angebot im Regionalverkehr um eine halbe Million Zugkilometer pro Jahr. Weil Brandenburg sparen muss, sind jedoch auch mit unter zehn Fahrgästen pro Fahrt besonders schlecht ausgelastete Fahrten frühmorgens oder spätabends gestrichen worden. Fünf Millionen Euro spart Brandenburg nach den Worten von Infrastrukturminister Detlef Tabbert (BSW) so jährlich ein.
Keine Züge mehr nach Schmachtenhagen
Ganz wegfallen wird das bisher nur am Wochenende bestehende Angebot auf der RB27 zwischen Wensickendorf und Schmachtenhagen. »Wir haben uns das nicht leicht gemacht mit dieser Verbindung in Schmachtenhagen«, so Detlef Tabbert, man habe sich am Ende aber von »kaufmännischer Vernunft« leiten lassen. »Wir hatten dort auf der Strecke pro Fahrt 2,3 Fahrgäste. Wenn Sie den Zugführer und den Lokführer betrachten, ist das eine Eins-zu-eins-Betreuung.« 600 000 Euro spare man so ein.
Auch zwischen Basdorf und Wensickendorf fährt die RB27 nur noch montags bis freitags im Berufsverkehr. »Mir ist bewusst, dass der einzelne Pendler dann schon eine schwierige Situation haben wird. Aber wir haben Verantwortung für das ganze Land«, so der Infrastrukturminister weiter. Zumal es mit dem Plusbus Oranienburg–Bernau eine stündliche Verbindung gebe, die direkt im Ort halte, während der Bahnhof 10 bis 15 Minuten Fußweg entfernt liege.
Die letzte Messe für die Strecke ist allerdings noch nicht gelesen. Es wird untersucht, ob der Wiederaufbau der Verbindung von Schmachtenhagen nach Oranienburg lohnenswert wäre. Dann würde die Strecke nicht mehr gefühlt im Nirgendwo enden. Erste Ergebnisse der Untersuchung dürften nicht vor Ende 2026 vorliegen.
Postenstreichungen im DB-Konzern
Noch eine Leerstelle war bei der Eröffnung der Dresdner Bahn spürbar. Nicht bei den Feierlichkeiten zugegen war auch Alexander Kaczmarek, der Konzernbeauftragte der Deutschen Bahn für Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Der Krimi um den Wiederaufbau der Ferngleise hat ihn sein ganzes bisheriges Berufsleben bei der Deutschen Bahn begleitet, wie er erst kürzlich beim Sprechtag des Berliner Fahrgastverbands Igeb sagte.
Doch vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die neue Bahnchefin Evelyn Palla die Konzernbeauftragten im Zuge des Konzernumbaus abschafft. Im Falle von Alexander Kaczmarek wird das unisono von Fahrgastverbänden, Beschäftigten, Experten und Aufgabenträgern als schwerer Verlust angesehen.
Eine Übersicht der zahlreichen Änderungen bei der S-Bahn und im Regionalverkehr zum Fahrplanwechsel gibt es auf der Sonderseite des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB).
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