WM-Silber soll deutschen Handball der Frauen nachhaltig stärken

Nach dem sensationellen Erfolg blickt das DHB-Team mit »großer Freude« in die Zukunft

  • Erik Eggers, Rotterdam
  • Lesedauer: 4 Min.
Die deutschen Handballerinnen gewannen mit ihren Auftritten viele neue Fans.
Die deutschen Handballerinnen gewannen mit ihren Auftritten viele neue Fans.

Eben erst war der große Traum vom »Wunder von Rotterdam« geplatzt. Auf der Anzeigetafel der Rotterdamer Arena ein 20:23, das die Niederlage der deutschen Handballerinnen im WM-Finale gegen die übermächtigen Norwegerinnen dokumentierte. Und dennoch zeigte sich Viola Leuchter schon wieder sehr gefasst und fand mit ihren 21 Jahren und der Silbermedaille um den Hals bemerkenswert abgeklärte Worte.

Nur »ein My« habe ihnen gefehlt, meinte die Linkshänderin, die zuvor noch als beste Nachwuchsspielerin bei diesem WM-Turnier ausgezeichnet worden war. Ihr Gefühl liege zwischen Stolz und Enttäuschung. »Norwegen bei 23 Gegentoren zu halten und zu solchen Fehlern zu zwingen, die sie eigentlich nie machen, das spricht für uns.« Sie sei so stolz auf das, was sie als Kollektiv auf dem Spielfeld abgeliefert hätten.

Erfolg und Werte feiern

»Die dritte Halbzeit gewinnen wir!« Noch bevor Leuchter mit diesen Worten ankündigte, wenigstens den Wettbewerb beim Feiern klar für sich zu entscheiden, hatte sie sich noch bei ihren Teammitgliedern bedankt: »Ich liebe jede Einzelne, die hier ist.« Sie lerne noch so viel von ihren Mitspielerinnen. Leuchters Worte waren, wenn man so will, ein Pars pro toto für den ganzen Auftritt dieses Teams bei dieser Weltmeisterschaft, die der Deutsche Handballbund (DHB) gemeinsam mit dem niederländischen Verband organisiert hatte.

Leuchter symbolisierte in diesem Moment Werte wie Teamgeist, Demut und Fair Play und Respekt vor dem Gegner. Und sie brachte damit auf den Punkt, was viele Millionen Fernsehzuschauer – am Freitag schlug der Handball sogar den Quotenhit Biathlon – schon beim 29:23 im spektakulären Halbfinale gegen Frankreich bewegt und berührt hatte.

Auftakt für mehr

Schon die vielen Tränen, die erfahrene Spielerinnen wie Kapitänin Antje Döll, Emily Vogel, Xenia Smits und Alina Grijseels nach dem Viertelfinalsieg gegen Brasilien gezeigt hatten, wiesen daraufhin, wie groß die Sehnsucht nach solchen Erfolgen war. Fast ein Jahrzehnt waren diese Spielerinnen einer Medaille hinterhergehechelt – und dabei oft an den Nerven gescheitert. Rotterdam hat alles verändert. Das erste Edelmetall seit WM-Bronze 2007 wird nicht der Schlusspunkt ihrer Karriere sein, eher der Auftakt für mehr. Schließlich ist die Altersstruktur des neuen Vizeweltmeisters so gebaut, dass diese Formation nahezu unverändert mindestens den olympischen Zyklus bis Los Angeles 2028 spielen kann.

Die junge und zugleich schon so starke deutsche Rückraum mit Leuchter, der mit 21 gleichaltrigen Nieke Kühne und der ein Jahr älteren Nina Engel hat das Beste noch vor sich. Das gilt gleichfalls für die beiden 26-jährigen Torhüterinnen Katharina Filter und Sarah Wachter sowie die ein Jahr jüngere Abwehrspezialistin Aimée von Pereira, die mit ihrer großen Energie die deutsche Defensive auf Weltklasseniveau gehoben hat. Zusammen mit den erfahrenen Spielerinnen wie Grijseels, Vogel oder Smits kann das Team auf eine olympische Medaille spekulieren.

Freude auf die Zukunft

Die Angriffslust, die Gier auf weitere Erfolge, war schon in Rotterdam geweckt. »Die, die heute dabei waren, haben Bock, öfter wiederzukommen«, sagte Bundestrainer Markus Gaugisch direkt nach dem Endspiel. Das Team habe den »absoluten Willen, es beim nächsten Mal besser zu machen«, betonte Smits. Und Leuchter blickte mit »großer Freude auf die Zukunft.«

Insgesamt 300 000 Euro Prämie wird der DHB an die 18 Nationalspielerinnen ausschütten, mehr als 16 000 Euro für jede einzelne. Das sind beachtliche Summen für den Handball der Frauen. Zwar verdienen vor allem die deutschen Auslandsprofis wie Vogel in Budapest, Julia Maidhof in Valcea, Smits in Metz oder Leuchter bei Odense sehr ordentlich. Andere aber mussten nach der Insolvenz des deutschen Branchenführers HB Ludwigsburg im September zurückstecken. Jenny Behrend beispielsweise, die in Oldenburg untergekommen ist, muss nun nebenher minijobben.

Sport und Gesellschaft

Mit der hohen Summe wollte der DHB auch finanziell seinen Willen bekunden, die Frauen im Verband gleichzustellen. Unter dem Motto »Hands up for more« hatte der Dachverband die Bühne dieses Turniers laut Teammanagerin Anja Althaus als »Katalysator« für die angestrebte Gleichstellung promotet. »Frauen sollen ihre Träume erfüllen«, erklärte die frühere Nationalspielerin vor dem Turnier. »Es geht nicht darum, dass wir wie Männer sein wollen, sondern die gleichen Voraussetzungen bekommen.«

Ob das WM-Silber dem Handball der Frauen nachhaltig helfen wird, dem Nischendasein zu entkommen, bleibt abzuwarten. Sicher werden nun einige junge Mädchen den Sport probieren, womöglich auch Kinder mit Migrationshintergrund, da sie in Aimée von Pereira, deren Mutter aus Ghana stammt, ein Vorbild sehen. Aber die ökonomische Distanz zum Handball der Männer ist doch enorm. Die gesellschaftliche Kampagne indes war ein voller Erfolg. Das belegte schon der rasante Verkauf des pinkfarbenen DHB-Sondertrikots in den Monaten vor der WM. Die größte Aufmerksamkeit indes erzeugten die Nationalspielerinnen mit ihren grandiosen sportlichen Leistungen. Und mit sympathischen Auftritten wie dem von Viola Leuchter.

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