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Jacques-Louis David: Revolution als Kult
Kunstwerk des Monats: Jacques-Louis Davids Selbstporträt im Gefängnis
Wie malt, wer im Gefängnis sitzt, sein Selbstporträt? Wie zeigt sich uns der Künstler, und auf welche Weise schauen wir so ein Selbstbildnis an, wenn wir um die Umstände der Entstehung des Werkes wissen?
Der Künstler, Jacques-Louis David (1748–1825), der sein Gegenüber aus dem Bild heraus konzentriert zu fixieren scheint, ist zum Zeitpunkt der Entstehung im Sommer 1794 wider den Anschein kein junger Mann mehr. Am 2. August – wenige Tage nach dem Sturz Robespierres am, laut neuem Kalender, 9. Thermidor im Jahr II der Revolution, und dessen Hinrichtung am folgenden Tag – wurde auch David inhaftiert und saß nun im Hôtel de Ferme fest. Der Grund: Freund Robespierres, glühender Parteigänger der Revolution und ihr künstlerisch sicherlich virtuosester Propagandist, war er als Mitglied des berüchtigten Sicherheitsausschusses wesentlich mitverantwortlich für den Terror, der den Fortgang der Revolution gewährleisten sollte, sozusagen by all means necessary.
Noch kurz vor Robespierres Sturz war David ihm während einer kontroversen Sitzung im Konvent beigesprungen: Er sei bereit, mit Robespierre zusammen »den Giftbecher zu trinken«.
Das Vorgehen hatte aber auch für wachsende Panik in den eigenen Reihen der Revolutionäre gesorgt. Noch kurz vor Robespierres Sturz war David ihm während einer kontroversen Sitzung im Konvent beigesprungen: Er sei bereit, mit Robespierre zusammen »den Giftbecher zu trinken«. Im Mai 1794 hatte David zudem die Feier des von Robespierre ausgerufenen »Kults des höchsten Wesens« minutiös durchorchestriert, bei dem ein Standbild des Atheismus verbrannt wurde, aus dessen Rauch und Asche die Statue der Weisheit erstand. Der deistisch eingekleidete Verstandes- oder besser Personenkult brachte so manchen Revolutionär in Rage. Nun war auch der »Staatsregisseur« revolutionärer Repräsentation plötzlich selbst von der Guillotine bedroht.
Davids auf den ersten Blick ausgesprochen naturalistisches Selbstporträt entsteht unter genau diesen existenzbedrohenden Umständen. Er stellt sich, gut gekleidet, mit bauschig gebundenem Halstuch, bei der Arbeit dar, die er am besten kann und die jene der Malerei ist. Der Künstler sitzt, aufrecht, angespannt und deshalb nicht recht komfortabel, in einem Sessel, der weit größere Bequemlichkeit verspräche. Der Pinsel, eher ein abstrahierter langer Strich, der vom Bildrand abgeschnitten wird, liegt in der linken Hand, die ebenfalls durch den Rand beschnittene Palette hält er locker in der Rechten. Der konzentrierte Blick gilt natürlich nicht den Betrachtenden. Er ist auf das eigene Spiegelbild gerichtet, an dem sich der Künstler für sein Porträt orientiert – was ihn im fertigen Gemälde allerdings zum Linkshänder macht.
Die Pose hatte er schon für ein früheres, 1791 entstandenes Selbstporträt gewählt, sich damals aber deutlich altersgerechter präsentiert: mit grauem Haar, gefurchten Gesichtszügen und ohne die Requisiten des Malerhandwerks. Während ihm damals buchstäblich der »Grund« abhandengekommen schien – ganz gegen die akademische, die Spur der Pinselarbeit sorgfältig verdeckende Tradition ist der Bildhintergrund in nervöse, braunschwarze Kritzeleien aufgelöst, die sich von den kaum gebändigten Haaren des Künstlers auf seine Umgebung übertragen –, ist es diesmal ein durchgängiger, von der rechten Seite her beleuchteter ockerfarbener Grund, vor dem die Figur mit scharfen Konturen positioniert ist.
Einen ähnlichen Hintergrund, wenngleich mit ganz anderer Wirkung, hatte David für sein Porträt des ermordeten Jean-Paul Marat (1793) gewählt, den Dargestellten – ähnlich wie nun in seinem Selbstporträt – möglichst dicht an den Betrachter herangerückt.
Nach dem marxistischen Kunsthistoriker T. J. Clark markiert »Der Tod des Marat« den Beginn der modernen Kunst. Dies nicht nur, weil David als Regisseur der Kunst der Revolution und offizieller Organisator eines der neuen Ära entsprechenden Kunst- und Kulturbetriebs gleich vier weitere Repliken in seinem in der ehemaligen Akademie eingerichteten Atelier herstellen ließ, wohl um die »Image Power« (David Joselit) durch seine Vervielfältigung zu unterstützen.
Selten war Propaganda in künstlerischem Sinne gekonnter gemacht. Der Original-»Marat« ist zusammen mit zwei der Studio-Repliken derzeit in einer äußerst sehenswerten David-Retrospektive im Pariser Louvre ausgestellt. Bei seiner ersten Präsentation im Sommer 1793 war das einerseits monumentale und geschichtsbewusste und andererseits hoch intime Werk eingebunden in die jakobinische Festkultur – und damit nicht nur ein Kunstwerk, sondern zugleich auch ein Propagandacoup erster Güte und Grundstein für einen regelrechten Kult der Revolution.
Anders das Selbstporträt Davids, das während seiner Haft entstand – und in dem er sich selbst gleichermaßen als immer noch virtuoser Maler wie als künstlich und künstlerisch verjüngter Revolutionär zeigen wollte. Das Bild, das heute in der Sammlung des Louvre hängt, war wohl nie für eine öffentliche Präsentation bestimmt. Gleichwohl ist es die Mühe wert, es als Bild eines radikalen Modernisten zu betrachten, der – Akteur der Revolution – beinah deren Opfer geworden wäre, wovor ihn letztlich »seine« Kunst der Malerei bewahrt hat.
Jacques-Louis David, Louvre Paris, bis 26. Januar.
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