Jugendstrafanstalt Berlin: Rap als Ventil

In der Jugendstrafanstalt Plötzensee präsentieren inhaftierte junge Männer selbstgeschriebene Texte über ihr Leben

Seit 2024 gibt es haftBARS als Hip-Hop-Crew und Plattform in der Jugendstrafanstalt Berlin. Die aktuellen Crew-Mitglieder sind Dayo, Grau, Prince, Yilo, Juu, Sac, Samu und Ahmed.
Seit 2024 gibt es haftBARS als Hip-Hop-Crew und Plattform in der Jugendstrafanstalt Berlin. Die aktuellen Crew-Mitglieder sind Dayo, Grau, Prince, Yilo, Juu, Sac, Samu und Ahmed.

Für einige sei das Leben hinter Gittern schwerer als ihr Leben vor der Inhaftierung, sagt der Rapper Grau im nd-Gespräch. Grau heißt eigentlich anders, ist 21 Jahre alt und im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf aufgewachsen. Er würde sich sehr freuen, wenn viele Menschen die Songs seiner Hip-Hop-Crew haftBARS hören könnten. Doch die von jungen Männern selbst geschriebenen Songs kann man nicht einfach im Internet hören. Hinter haftBARS steht kein Musiklabel, sondern Dayo, Prince, Yilo, Juu, Sac, Samu, Ahmed und Grau – acht Inhaftierte in der Jugendstrafanstalt Plötzensee (JSA).

An einem Donnerstagabend vor Weihnachten darf ein ausgewähltes Publikum den Musikern lauschen. Unter den rund 100 Zuschauer*innen sind Inhaftierte, Student*innen der Alice-Salomon-Hochschule, Deichkind, der Rapper Yassin und ein paar Journalist*innen. Sie sitzen in der Aula der Helmuth-Hübener-Schule in der JSA. Benannt ist die Schule nach einem 17-jährigen Jugendlichen, der 1942 von den Nazis in Plötzensee hingerichtet wurde, weil er antifaschistische Flugblätter verteilt hatte.

»Ihr werdet heute Abend keine Klischees sehen und keine Rollen«, sagt Schulleiterin Birgit Lang vor Vorstellungsbeginn. Stattdessen werden die Zuschauer*innen junge Menschen sehen, die »wissen, was sie getan haben« und für die das Songschreiben eine Art Therapie ist.

Therapie, die die haftBARS dringend brauchen. So erzählt der Song »Haftschaden« von den Folgen der Inhaftierung. »Krass, was der Knast mit mir macht, so viel Hass«, heißt es an einer Stelle. »Rasten aus in diesem Saftladen«, an einer anderen Stelle. Der Song erzählt von vielen, »die es draußen nicht geschafft haben«. Aus dem Publikum sind zustimmende Rufe zu hören.

»Für uns ist das Therapie und Horizonterweiterung.«

Hip-Hop-Crew haftBARS

HaftBARS sei nicht nur Therapie, sondern auch »Horizonterweiterung«, wie die Crew sagt. »Wir probieren neue Stile aus, gehen neue Wege, werden melodischer, singen zum Beispiel mittlerweile viele Refrains und schreiben auch Texte über andere Themen als früher.«

So geht es auch um Liebe und Herzschmerz. »Ohne dich wäre alles nur traurig und schlimm«, rappen die Männer. »Ich wollte noch ›Danke‹ sagen, du bist das Licht am Ende des Tunnels.« Außerdem: »Ich würde dich gern erreichen, aber ich weiß nicht wie.« Genauso wie: »Obwohl du heute von mir Rosen kriegst, endet es im Rosenkrieg.«

Auf der Bühne steht auch die 20-jährige Rapperin Lila Mavie. Sie hat als Dozentin in der Justizvollzugsanstalt für Frauen in Lichtenberg gearbeitet, wie sie im Gespräch mit »nd« erzählt. Zusammen mit Grau hat sie die Single »Lauf über Rot« veröffentlicht. Es ist der einzige Song, der auf allen gängigen Streaming-Plattformen zu hören ist. »Da bist nur du, ganz egal wie hart die Winter sind«, singt Lila Mavie. »Frag nicht, was war, völlig klar, ich stell’ mich hinter dich«, so die Rapperin weiter. »Ich glaub’, ich kauf’ uns ein Los oder klau’ uns ein Boot«, rappt Grau. »Augen so groß, du schaust mich k.o. und ich lauf’ über Rot.«

Bei haftBARS lerne man »eine Menge über Reimstruktur, wie man sich besser präsentiert und gut auf der Bühne performt, richtig mit der Stimme umgeht und professionell im Studio funktioniert«, so die Crew. Textcoach Krone produziere für die jungen Männer ein Instrumentalstück. Danach können sie Änderungswünsche äußern, es folgen Textkonzeption und das Schreiben von Refrain und Strophenparts. »Bis zur Studioaufnahme der Stimmen in den kommenden Tagen feilen wir immer wieder gemeinsam an den Texten und optimieren die Reimstruktur. Am Ende wird der Song gemischt.«

Schulleiterin Lang alias BiLa sagt »nd«, dass sie 2005 von zwei damaligen Insassen gefragt wurde, ob sie ein paar Raptexte aufnehmen könnten. »Nach einer provisorischen Aufnahme bemerkte ich das Potenzial der Jungs und mir wurde schnell klar, dass ich musikalische Unterstützung gebrauchen könnte.« Noch im selben Jahr kam Krone dazu. Jörn Hedtke alias Krone hat jahrelang als Musikproduzent gearbeitet, unter anderem für Nina Hagen und das Ton-Steine-Scherben-Tributalbum, wie er »nd« sagt. Er hat an Opernhäusern, Theatern und Universitäten gearbeitet, bis er schließlich als Coach im Knast gelandet ist.

Krone und BiLa gründeten 2005 mit Inhaftierten die erste Rap-Crew GittaSpitta. »Danach folgten zahlreiche andere gemeinsame kulturelle Projekte, die neben Rap auch teilweise theatrale, filmische, tänzerische Elemente beinhalteten. Auch unser Knast-Podcast ›ZweiDrittelFM‹ wurde geboren, der neben redaktionellen Inhalten auch Rapmusik der verschiedenen Crews aus der JSA präsentiert«, so die Schulleiterin.

»Wir erzählen uns von unseren Erfahrungen, Sorgen, Ängsten, Träumen oder was auch immer uns hier im Knast beschäftigt.«

Hip-Hop-Crew haftBARS

Und wer entscheidet, worüber gerappt wird? »Entweder wird uns von BiLa und Krone ein Thema vorgeschlagen oder wir suchen gemeinsam eins aus, erzählen von unseren Erfahrungen, von unseren Sorgen, Ängsten, Träumen oder was auch immer uns hier im Knast beziehungsweise im Zelleneinschluss beschäftigt«, so die haftBARS.

Im Song »Schicksal« sprechen sie über den Weg in die Kriminalität. Auch Krone rappt mit. Es geht um das »Drama«, das »bis in den Gerichtssaal« führt und darum, dass »es nicht anders geht«. In einem anderen Song heißt es: »Ich bereue meine Fehler, aber hasse das Gericht.« Knast bedeutet für die Männer auch Angst. »Angst vor der Finsternis« und »Angst vor mir selber«. Es bedeute eine »Seele vollgesaugt mit Tränen«, wenn der Besuch nicht kommt. Und es gehe um Dinge wie »Mut beweisen« und »Schwäche zeigen«. Auch angesichts der eigenen Geschichte, die von einer Kindheit abwesender Väter erzählt.

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Für die Männer könnte es im Gefängnis noch mehr Angebote geben, wie sie »nd« sagen. »Boxtraining, Video- und Musikproduktionsworkshops, Breakdance-Kurse wären gut.« Fast alle müssen lange Haftstrafen absitzen. Doch statt mehr gibt es im Knast immer weniger Angebote. »Im Zuge der Sparmaßnahmen ist natürlich insbesondere die Finanzierung von (Kultur-)Projekten, die nicht zu den grundlegenden Aufgaben des Jugendvollzugs gezählt werden, weggefallen«, sagt Leiterin Lang. Man versuche, die Lücke ansatzweise mit personellen Ressourcen zu schließen, sei aber »zunehmend auf Kooperationen angewiesen«. Spenden für die Schule seien sehr willkommen.

Wie wichtig solche Projekte wie haftBARS für inhaftierte Männer sind und wie viel ein Auftritt vor Publikum für sie bedeutet, wird spätestens am Ende des Konzerts deutlich. Sichtlich fällt der Stress von der Crew ab und sie begrüßt die anderen Inhaftierten aus dem Publikum. Schulleiterin Lang sagt, dass es gar nicht so viele Momente gibt, an denen alle zusammenkommen. Tausendmal habe haftBARS vor dem Auftritt geübt, so Rapper Grau. Dann auf der Bühne zu stehen, sei ein »cooles Gefühl«. Er hofft, dass es mit dem Projekt noch lange weitergeht. »Für viele Jungs hier ist haftBARS das einzige Ventil.«

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