Festung Görli: Gnadenfrist bis zur Schließung

Der Zaun um den Görlitzer Park ist fast fertig, aber abgesperrt werden soll erst im März

Noch kann man trotz Drehkreuzen den ganzen Tag in den Görlitzer Park.
Noch kann man trotz Drehkreuzen den ganzen Tag in den Görlitzer Park.

Ein Mann sitzt halb versunken auf einer Parkbank und singt lauthals und unverständlich vor sich hin. Im Görlitzer Park in Kreuzberg ist am frühen Abend Ende Dezember eigentlich alles wie immer. Dealer preisen vorbeilaufenden Passant*innen freundlich ihr Ware an. Die Geräuschkulisse ist von spielenden Kindern bestimmt, aus einem Lautsprecher schallt Bob Marley über die Grünfläche.

Veränderungen sind aber trotzdem zu sehen. An den Eingängen von Berlins berühmtester Grünfläche stehen stählerne Drehkreuze. Und am Spreewaldplatz hantieren Arbeiter an einem meterlangen Schiebetor, während an anderen Ein- und Ausgängen schon Flügeltore stehen. Der umstrittene Zaunbau schreitet voran, auch wenn an manchen Stellen die Umfriedung noch behelfsmäßig mit Bauzäunen sichergestellt wird. Noch sind alle Tore 24 Stunden am Tag offen.

Der schwarz-rote Senat aber will den Görlitzer Park nachts abschließen. Damit will er der Kriminalität im Park Herr werden. »Die Bekämpfung der Drogenkriminalität ist gesamtstädtisches Ziel, das wir gemeinsam mit allen Beteiligten für die Bürgerinnen und Bürger erreichen wollen«, schreibt die zuständige Senatsumweltveraltung auf Anfrage des »nd«. Wann genau die dafür notwendigen baulichen Maßnahmen abgeschlossen sein werden, kann die zuständige Senatsumweltverwaltung nicht sagen. »Der Bau des Zauns ist innerhalb des Zeit- und Kostenrahmens und bis auf kleinere Restarbeiten abgeschlossen.« Geplant war eine Fertigstellung bis Ende des Jahres.

»Wir werden diese Tore als Bezirk nachts nicht abschließen.«

Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg

Mit Abschluss der Bauarbeiten soll der Park aber nicht direkt verriegelt werden. Als möglicher Termin wird der 1. März gehandelt. Der Senat verkauft das als großzügige Geste. »Wir wollen jetzt in einer Übergangszeit, bis sich die Menschen an nächtliche Schließungen gewöhnt haben, ihnen nicht bei winterlichen Temperaturen zumuten, dass sie außen herum radeln müssen«, teilt die Pressestelle weiter mit. Man sei im Dialog mit Polizei und Bezirk dabei, die weiteren Maßnahmen im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes zu planen.

Im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, der für die Umsetzung eigentlich zuständig wäre, stößt das Vorhaben bekanntermaßen nicht auf Gegenliebe. Und umsetzen will man die Pläne dort auch nicht. »Wir werden diese Tore als Bezirk nachts nicht abschließen«, teilt die Pressestelle des Bezirks mit. Es gebe im Bezirksparlament eine klare Beschlusslage gegen das nächtliche Abschließen. »Für derartige Symbolpolitik, die keines der Probleme vor Ort löst, steht der Bezirk nicht zur Verfügung.«

Wenn der Bezirk die beabsichtigte Maßnahme nicht umsetzen will und keine entsprechenden Benutzungsregelungen erlässt, müsste der Senat die Maßnahme selber gegen den Willen des Bezirks umsetzen. Der entsprechende bürokratische Eiertanz mit Einigungsversuch, Weisung, Ausübung und anschließend Benachrichtigung des Senats dauert seine Zeit – wahrscheinlich genau die zwei Monate vom Ende der Baumaßnahmen bis zum avisierten Schließungstermin am 1. März. Und ab dann wird es dauerhaft teuer: Im Haushalt sind für Öffnung und Schließung für 2026 800 000 Euro vorgesehen.

Dass öffentliche Grünflächen überhaupt nachts abgeschlossen werden können, ist Folge einer »Lex Görli« genannten Reform des Grünanlagengesetzes. Jetzt können solche Maßnahmen angeordnet werden, wenn eine Grünfläche in einem sogenannten kriminalitätsbelasteten Ort liegen. Und der »Görli« liegt in so einem Gefahrengebiet. Der Zaun ist dabei nur eine von vielen sicherheitspolitischen Maßnahmen, die auf den Park zukommen. Mit der Reform des Polizeigesetzes soll es in Zukunft möglich sein, Gefahrengebiete dauerhaft unterstützt von künstlicher Intelligenz zu überwachen.

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Ob der Senat mit seinem Ansinnen langfristig Erfolg hat, steht trotz allem nicht fest. Auch mit dem »Lex Görli« bleibt der Park öffentlicher Raum, den man nicht einfach so absperren kann. Gegen eine Einschränkung könnte eigentlich jede*r klagen, der sich dadurch beeinträchtigt fühlt. Wie etwa dadurch, dass der Weg zur Arbeit durch die Schließung wesentlich länger dauert. Der Senat sieht entsprechenden Klagen entspannt entgegen. »Wir gehen davon aus, dass sich die Menschen an den Zaun und die Schließung des Parks in der Nacht gewöhnen und die Vorteile sehen werden«, so die Senatsumweltverwaltung. Erfolgaussichten möglicher Klagen könne man erst bewerten wenn diese vorlägen. Dass geklagt wird, ist eigentlich sicher. Unter anderem die Initiative »Görli 24/7« sammelt schon jetzt Geld für Anwaltskosten.

Die Initiative ist eine von mehreren, die neben dem Bezirk gegen Zaun und Schließung Stimmung machen. Am Freitag organisierten sie eine Krach-Demonstration, an der – vielleicht auch weil die Schließung erst später kommen wird – eine überschaubare Anzahl rund 50 Menschen teilnimmt.

Dass es soziale Probleme im Görlitzer Park gibt bestreitet Florian von Görli 24/7 nicht. »Aber soziale Probleme gibt es überall in der Stadt«, sagt er zu »nd« während der Demonstration. »Wir erleben eine krasse Verelendung. Aber der Zaun löst keins der Probleme«, ist sich Florian sicher. Der Zaun habe eine symbolische Bedeutung und zeige die Aufrüstung nach innen und außen. »Diese fetten Tore – mitten in Kreuzberg so eine Festung zu bauen, ist eine Kampfansage.«

Wie um diese These zu belegen, wird die Demonstration von der Polizei argwönisch beobachtet. Polizeibeamte in zivil schleichen von Beginn an auffällig unaufällig um die kleine Menge. Und die Behörde lässt es sich nicht nehmen, jedes einzelne Schild und Banner »auf strafbare Inhalte« zu überprüfen. Einer Demonstrantin, die das kritisiert, wird erklärt, das sei normales Vorgehen auf allen Demonstrationen.

Für die Lösung der Probleme im Park schweben Florian und seinen Mitstreiter*innen andere Schritte als Zaun und Videoüberwachung vor. Es gebe kleinere Maßnahmen, wie beispielsweise Konsumräume für Drogenabhängige, die man machen könnte, sagt Florian. »Aber es braucht strukturelle Veränderungen. Umverteilung von oben nach unten, bezahlbare Mieten, ein Ende rassistischer Ausgrenzung. Ohne diese bleiben die kleinen Maßnahmen Trostpflaster.«

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