Süchtig nach allem
Olaf Kraemer hat sich vorgestellt, wie die letzte Nacht der Romy Schneider gewesen sein könnte
Hätte es ein tragisches Schicksal nicht anders mit ihr vorgehabt, wäre sie heute siebzig geworden. Das Leben dieser Rosemarie Magdalena Albach hätte von keinem griechischen Tragödienschreiber dramatischer ersonnen werden können: Eine zwielichtige Übermutter im Anbetungsgefolge des »großen Diktators«, ein dementsprechend schwacher Vater, drei Ehescheidungen, ein eigener Selbstmordversuch, ein Selbstmord des Ex-Partners, der grauenvolle Unfalltod des vergötterten Sohnes, eine sich verstärkende Medikamentensucht und ein in seinen Ursachen im Dunkel verbleibender eigener Tod.
Auf der anderen Seite ein märchenhafter Reichtum (millionenschwere Gagen, »die weit über dem lagen, was jede andere deutsche Schauspielerin bekam«) – und am Ende eine ebenso märchenhafte Verschuldung (»sie ... hatte das Geld mit vollen Händen aus dem Fenster geworfen. Manchmal hunderttausend im Monat«). Die Eckdaten des nur 44 Jahre währenden Lebens der Romy Schneider sind bekannt, und auch Olaf Kraemer hat dem nichts hinzuzufügen, was nicht längst an irgendeiner Stelle publiziert worden wäre. Aber ihm gelingt ein reizvoller Kunstgriff. Kurz vor ihrem Tod wird an die Diva das Anliegen herangetragen, ihre Memoiren zu verfassen. Kraemers Romy befasst sich eine halbe Nacht lang mit Überlegungen, wie sie ihre Autobiografie beginnen soll, was hinein gehört und was nicht. Es ist ihre letzte Nacht. »Die Arbeit an diesem Buch wäre also Arbeit an ihrem Leben, die Möglichkeit, sich die eigene Geschichte zum ersten Mal selbst zu erzählen.«
In diese Gedankenwelt, diesen Gedankenwust hinein schneidet wie ein scharfes Messer immer wieder die Sucht. Nein, sie will keine Tabletten mehr nehmen, sie hat es Laurent, ihrem letzten Lebensgefährten doch versprochen! Und dieser achtet auch darauf, entzieht zu Hause die Medikamente ihrem Zugriff. Trotzdem treibt es sie – buchstäblich nolens volens – wie im Trance durch das nächtliche Paris auf jene entfernte Apotheke zu, in der ihr endlich die benötigte Valium-Dosis verabreicht wird. Der Liebling der Götter, jetzt angewiesen auf das Wohlwollen kleiner Taxifahrer und dubioser Apotheker.
Diese Sucht, die Ruhmsucht wie die Tablettensucht, bleibt Romy Schneiders Thema, bleibt zentrales Thema des Romans.
»In der Schwärze der Nacht ist man sowieso mit sich allein. Damit kennt sie sich aus; die wirklich tiefe Schwärze liefert auch vertraute Geborgenheit, ist ein Teil von ihr, der ihr manchmal sogar als Glücksgefühl erscheint.«
Romy Schneider hat, wie wir wissen, keine Memoiren hinterlassen. Hätte sie, dann könnten sie der einfühlsamen Kraemerschen Imagination vielleicht sogar geähnelt haben.
Olaf Kraemer: Ende einer Nacht. Die letzten Stunden von Romy Schneider. München: Blumenbar Verlag. 186 S., geb., 17,90 EUR.
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