Vor zehn Jahren erfand der Hamburger Kabarettist Dirk Bielefeldt die Figur des Polizeiwachtmeisters Holm, die inzwischen zu seinem zweiten Ich geworden ist
Regina Seifert
Lesedauer: 11 Min.
Es ist 19 Uhr. Die ersten Besucher der Abendvorstellung im Hamburger St.-Pauli-Theater, direkt auf der Reeperbahn, bevölkern bereits das kleine Theatercafé nebenan. Das Haus ist so gut wie ausverkauft, nur noch einige Restkarten für die oberen Ränge hinter den Säulen, wo die Sicht schlecht ist, sind zu haben. Das ist schon seit sieben Jahren so, wenn Herr Holm auf der Bühne steht, der bekannteste und korrekteste Polizeiwachtmeister der Hansestadt.
In der Garderobe Nummer 1, wo Freddy Quinn sich einst in den Jungen von St. Pauli verwandelte, schlüpft Dirk Bielefeldt in seine Polizeiuniform. Ein letzter prüfender Blick in den großen Spiegel, bevor er die Mütze und die Brille aufsetzt. Und in genau diesem Augenblick wird aus dem schlanken, hoch aufgewachsenen jungen Mann Herr Holm, der Wachtmeister von nebenan. Seine Mundwinkel, die eben noch Freundlichkeit ausstrahlten, ziehen sich nach unten und verleihen seinem Gesicht etwas Mürrisches, Unzufriedenes. Seine Sprache wandelt sich in einen näselnden Hamburger Slang. Mit leicht nach vorn gebeugten Schultern, schlackernden Armen, die den Anschein erwecken, er weiß mit ihnen nichts Rechtes anzufangen, schlurft er zur Tür. In der einen Hand die alte, abgegriffene braune Aktentasche. Dirk Bielefeldt spielt nicht nur Herrn Holm. Er ist Herr Holm. Eine Mischung aus aufrechtem Beamten und Bürgerschreck, immer auf der Hut, ein drohendes Vergehen zu ahnden. Aufgerieben zwischen den Anforderungen eines aus dem Fugen geratenen Alltags und den eigenen polizeilichen Kräften. Was ihm den Ruf von Hamburgs beliebtesten Polizisten einbrachte.
Vor einem Jahrzehnt schlüpfte Dirk Bielefeldt das erste Mal in die Rolle des Wachtmeisters Holm. Damals verdiente er als noch unbekannter Schauspieler sein Brot mit Straßenkunst. Heute füllt er große Säle, nicht nur in seiner Geburts- und Heimatstadt Hamburg. Herr Holm hat ihn berühmt gemacht. Dabei wollte Dirk Bielefeldt gar kein Schauspieler werden, sondern Journalist. Dafür studierte er Soziologie und Philosophie. Bis er kurz vor dem Examen zufällig in einen Workshop geriet, der sich mit Pantomime und Clownerie beschäftigte. »Der hat bei mir eine Tür aufgestoßen zu einem Bereich in meinem Herzen, meinem Kopf, in meiner Seele, den ich vorher nicht kannte«, erinnert sich der 44-Jährige. Dieses unbestimmte Gefühl wollte er eigentlich nur ein bisschen weiter verfolgen. »Ich habe damals gedacht, wenn du das jetzt nicht machst, machst du das vielleicht nie mehr.« Er unterbrach sein Studium und ging nach Paris an die Schauspielschule. In den Hörsaal kehrte Bielefeldt danach nicht wieder zurück. Nach Hamburg schon, in die Stadt, die er schätzt, wo er verwurzelt ist und die er gegen keine andere eintauschen möchte.
Bielefeldt schloss sich für eine Saison einer freien Theatergruppe an. In ein festes Ensemble wollte er nicht: »Ich hatte schon immer Lust, mir etwas auszudenken und nicht Sprachrohr eines Autoren oder Regisseurs zu sein.« Eine Zeit lang schlug er sich als Straßenkünstler durch. Anfangs mit anderen in der Gruppe, später als Solist. Für ihn war es immer spannend, eine Situation zu provozieren, wo der Zuschauer nicht sofort merkt, ob es Spiel oder Ernst ist. Er nennt es »unsichtbares Theater«, bei dem der Zuschauer fragt: »Ist der nicht ganz dicht? Darf man da überhaupt zugucken, hinstarren? Wenn die Leute dann merken, dass es nur Theater ist, entfaltet sich ein stark durch Improvisation geprägtes Szenario. Man hat keine Bühne, die Leute mischen sich ein, da kommt mal ein Betrunkener vorbei, ein Hund, ein Kind.«
Eine dieser Rollen war Herr Holm, der zuerst »als Passant sein Unwesen trieb«. Irgendwann kam ihm die Idee, Holm in eine Polizeiuniform zu stecken. »Damit würden die Verwechslungsmöglichkeiten exorbitant steigen«, überlegte sich Bielefeldt: »Wenn ich mich als Polizist auf die Straße stelle und die Hand hebe, ruht der Verkehr. Damit konnte man natürlich einiges machen. Denn wer weiß in dieser Situation sofort, ob der Polizist echt ist oder nicht. Die Leute würden mir erst mal Folge leisten. Weil sie Angst haben, es könnte für sie unangenehm werden, falls sie sich geirrt haben. Das hat sehr gut funktioniert. Nur mit einer sehr großen Einschränkung: dass das verboten ist.« Er habe sich damit viel Ärger eingehandelt, denn er sei in aller Regelmäßigkeit festgenommen worden. »Das war sehr leidig, weil es oft dazu führte, dass die weiteren Auftritte untersagt wurden.«
Eine missliche Situation für ihn und den Veranstalter. Heute kann der Kabarettist darüber herzlich lachen. Damals war ihm etwas mulmig. Obwohl er sich keiner Schuld bewusst war. Schließlich hatte er die Genehmigung der Hamburger Polizei, ebenso eine Dienstuniform. Kriminalhauptkommissar Helmuth Tonne, Mitarbeiter der Pressestelle der Polizei, erinnert sich noch gut, wie der junge, unbekannte Schauspieler vor zehn Jahren zu ihm kam. »Zunächst dachten wir: Ein falscher Polizist in der Einkaufsstraße, das könnte in die Hose gehen. Wir kannten ihn und seine bisherigen Auftritte nicht. Aber er hat uns überzeugt, dass jeder sofort sehen könne, dass es nur ein Spiel sei und er kein echter Polizist.« Helmuth Tonne schickte Dirk Bielefeldt auch zur Kleiderkammer, wo er die Polizeiuniform erhielt. Natürlich ohne Rang- und Hohheitszeichen. »Statt dessen hatte der sich einen Sheriff-Stern an die Mütze und das Hamburger Wappen an den Ärmel geheftet.« Offensichtlich traute Tonne dem Frieden doch nicht so ganz und informierte zusätzlich noch die Dienststelle in der Nähe der Fußgängerzone Spitaler Straße, wo Herr Holm seine ersten Polizeieinsätze durchführte. »Jemand sollte mal vorbeischauen und gucken, wie der's macht.« Der »Inspizient« fand nichts Ungesetzliches, wohl aber einige empörte, aufgeregte Bürger, die bei der zuständigen Polizeiwache anriefen.
Wie vereinbart, gab Dirk Bielefeldt die Uniform zurück und ließ sich eine schneidern. Aber auch damit geriet er hin und wieder in Bredouille. Während eines Straßentheater-Festivals in Kassel zeigten die dortigen Ordnungshüter wenig Verständnis für den kauzigen Wachtmeister und nahmen ihn fest: Schädigung des Ansehens der Polizei. Der Fall Holm alias Bielefeldt gelangte wiederum auf den Tisch von Helmuth Tonne. »Wir haben das in Hamburg aber nicht so eng gesehen.« Die beiden haben sich seitdem oft getroffen. Wenn der Kabarettist Polizeiluft schnuppern wollte, vermittelte Tonne die Kontakte zu verschiedenen Einrichtungen. Daraus sei mittlerweile ein freundschaftliches Verhältnis geworden, sagt Dirk Bielefeldt. Er ist dem Kommissar dankbar: Denn hätte der damals den Polizisten Holm nicht auf die Straße gelassen, »hätte es ihn nie gegeben«. Helmuth Tonne blieb gegenüber Herrn Holm allerdings über die Jahre skeptisch. »Ich bin nicht so für Kleinkunst.« Er hatte ihn hin und wieder mal im Fernsehen gesehen, aber in seiner Vorstellung war er erstmals im Dezember. »Da hat er mich voll überzeugt. Wirklich Klasse, was der da macht.«
Seitdem Herr Holm von der Straße auf die Bühne umgezogen ist, trägt er wieder eine echte Polizeiuniform. Längst kennen ihn nicht nur die Leute dem Norden. Auftritte im Fernsehen haben ihn bundesweit bekannt gemacht und seine Fan-Gemeinde beträchtlich erweitert. Tourneen führen ihn immer wieder quer durch Deutschland. Selbst in Bayern hat der Kabarettist volle Häuser, was für einen Norddeutschen nicht unbedingt alltäglich ist. Wenn Dirk Bielefeldt über Herrn Holm spricht, verfällt er nicht selten in dessen Sprache. Man merkt, die Figur ist sein zweites Ich. Dieses unbestimmte Gefühl, das er bei diesem ersten Workshop spürte in seinem Herzen, seinem Kopf und seiner Seele. Seine Lust, sich zu verwandeln, komisch zu sein.
Denn eigentlich ist er ein »ganz ruhiger, zurückgezogener Typ. Bei großen Gesellschaften bin ich immer der, der die ganze Zeit schweigt. Da muss ich mir manchmal einen Ruck geben, überhaupt was zu sagen, damit die Leute nicht denken, ich bin genervt«. Er sei ganz uns gar nicht der Spaßvogel, der in jeder Runde im Mittelpunkt stehe und alle zu begeistern weiß, »der immer einen guten Spruch hat, Witze und Anekdoten erzählen kann«. Auch Zuhause nicht. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. »Die sind davon verschont geblieben. Weil ich diese Ader in mir auf der Bühne ausagieren kann.«
Der Erfolg ist über die Zeit ungebrochen. Es sind die Kleinigkeiten des Lebens, die jeder von uns erlebt, die die Faszination dieses Herrn Holm ausmachen. Seine Menschlichkeit. Einer der nicht nur unverschämt, poltrig mit dem Zeigefinger droht, sondern sich auch mal zurücknimmt, etwas sentimental ist, was Kindliches hat, so dass der Zuschauer »Mitleid kriegt und denkt: Oh, der Arme!« Dirk Bielefeldt liebt und schätzt diese Figur. Er würde sie niemals missbrauchen, »verraten« als einen Artikel, den man auf der Bühne verkauft, Hauptsache lustig. Der Zuschauer kann sich mit ihr identifizieren. Er findet sich in ihr wieder, mit all seinen Schwächen und Unzulänglichkeiten. Darin sieht Bielefeldt das Geheimnis von Figuren, die sich relativ lange auf der Bühne behaupten können und »die man so mag«. Dabei spielt es keine Rolle, ob Herr Holm Polizist ist, Förster oder Privatmann. Wichtig sei, dass er immer Herr Holm bleibt mit seiner Eigenart zu gehen, zu sprechen, mit seiner Mimik und Gestik. »Eine Figur kann man nicht beliebig wechseln. Charlie Chaplin war immer dieser Tramp, egal welche Rolle er spielte.«
Es ist 20 Uhr. Die Zuschauer sitzen dichtgedrängt im Saal. Endlich hebt sich der Vorhang. Für einen Moment herrscht Stille. Dann setzt sich der Fahrstuhl hinter dem Grüne-Minna-Tresen auf der Bühne in Bewegung. Die Tür geht auf: Etwas ungelenkt stolpert Herr Holm auf die Bühne, knurrend, fluchend. Was Heiterkeit provoziert. Und schon als er sich vorstellt, so wie immer seit zehn Jahren: »Holm ist mein Name. Herr Holm für Sie!«, ist das Publikum nicht mehr zu halten. Und als im Laufe der Vorstellung Herr Holm immer wieder leise flucht: »Ooch, das ist aber ääärrgerlich«, weil ihm wieder etwas schief gegangen ist, gibt es einige im Publikum, die das nach einiger Übung im Chor täuschend echt nachahmen können, was die Stimmung im Saal weiter hebt.
Selbst in der Pause lässt sie dieser Holm nicht los, sie lachen und kichern laut. Die graumelierten Herren im feinen Zwirn genauso wie die Damengruppe, die ihren Betriebsausflug ins Theater verlegt hat. Meistens haben sie den Holm »schon im Fernsehen gesehen. Aber live ist der ja viel, viel besser. Die Gestik, die Mimik. Köstlich sein Humor. Man erkennt sich selbst in ihm wieder.«
Die Requisiten auf der Bühne, die kleinen, aber feinen technischen Raffinessen denkt sich Dirk Bielefeldt nicht nur selbst aus, er baut sie auch selber. Das macht ihm Spaß, und er findet es lustig. Wie die Apparatur, mit der er hinterm Tresen hin und her fährt und manchmal im Nichts verschwindet. Die weckt immer wieder die Neugierde des Publikum. »Die erste Frage von jedem, der mich nach dem Stück sieht, ist: Herr Holm, was haben Sie eigentlich hinter dem Tresen? Das ist mein kleines Geheimnis, wie beim Zaubern.« Und das, was funktioniere und auch ankomme bei den Leuten, solle man beibehalten.
Wohl auch darum ist Herr Holm solange Polizist geblieben. Seit sieben Jahren ist er mit dem selben Programm unterwegs, verrät der Künstler: »Herr Holm, der Aufklärer.« Das ist ein Staatsbürgerkundeunterricht, worin Holm behauptet, die Polizei würde die Bürger auf Grund zunehmender Unübersichtlichkeit der politischen, ökonomischen und anderen gesellschaftlichen Verhältnisse darüber aufklären, »was hier im Land alltäglich läuft und wie man sich zu verhalten hat«. Und das tut er nicht nur auf eine unübertrefflich kauzig-komische Art, sondern ziemlich nah an der Wirklichkeit. So dass die echten Polizisten, die zuhauf in seine Vorstellungen strömen, immer wieder begeistert ausrufen: Genau so einen haben wir bei uns auf der Wache, der telefoniert wie Herr Holm, der hat genau so eine Haltung.
Doch die Ideen für seine Sketche holt sich Bielefeldt in den seltensten Fällen aus dem Polizeialltag. In den begibt er sich nur, um Atmosphäre zu schnüffeln und sich die Dinge anzuschauen, die den Dienst betreffen. »Die sogenannten Interna, die müssen stimmen. Aber sonst machen die ihre Arbeit und ich meine. Wir tun das sozusagen in gleichen Kostümen. Ich scher mich nicht besonders um die Realität, sondern lasse meine Phantasie sprudeln.« Was harte Arbeit am Schreibtisch bedeutet. Gern würde er an der Elbe spazieren gehen und Ideen haben. »Aber das funktioniert bei mir nicht. Ich muss richtig stramm am Schreibtisch sitzen und grübeln. Dann bin ich auch gut«, sagt er.
Irgendwann möchte er ein neues Bühnenprogramm machen. Er will mal raus aus diesem polizeilichen Kontext. »Denn Herr Holm hat ja auch ein Privatleben. Man könnte ihn zu Hause zeigen, im Urlaub, im Schrebergarten. Da passiert ja auch eine Menge.« Aber Herr Holm wird er immer bleiben. Dieser skurrile, mürrische und doch so liebenswerte Mensch, den die Zuschauer so mögen. Doch zuvor geht er erst mal wieder auf Tournee, die ihn bis ins Frühjahr hinein durch die nördlichen Bundesländer führt: von Flensburg bis Braunschweig, von Schwerin bis nach Stralsund. Und zwar mit einem Jubiläumsprogramm zum 10. Geburtstag von Herrn Holm. Ein Polizist, der zur Kultfigur geworden ist. Das ist einmalig in Deutschland.
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