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Fallstricke für den NATO-Bündnisfall

PDS fordert Aufhebung des Beschlusses / Antrag im Bundestag vor Bush-Besuch in Berlin

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 4 Min.
Die PDS-Fraktion fordert in einem Bundestagsantrag die rot-grüne Regierung auf, im Nordatlantikrat auf die Beendigung des am 4. Oktober 2001 beschlossenen NATO-Bündnisfalls zu drängen.
NATO-Generalsekretär George Robertson geht davon aus, dass der Einsatz von AWACS-Aufklärungsflugzeugen des Militärpaktes in den USA verlängert wird. Wenn Washington nach dem 1. April weitere Unterstützung durch die Operation »Eagle Assist« wünschten, werde sich die Allianz dem nicht verschließen; Bündnisfall gemäß Artikel 5 NATO-Vertrag eben, im vergangenen Herbst nach den Terroranschlägen in New York und Washington ausgerufen. Was nach diversen Geheimberatungen an jenem 4. Oktober 2001 im Nordatlantikrat konkret erörtert wurde, drang nicht an die Öffentlichkeit. Unterm Strich bewertete man die Osama bin Ladens Terrororganisation zugeschriebenen Attentate aber als »bewaffneten Angriff« von außen auf einen Bündnispartner, was laut NATO-Vertrag als Angriff gegen alle Pakt-Mitglieder anzusehen ist. Acht Maßnahmen wurden damals beschlossen, vom Nachrichtenaustausch über gegenseitige Hilfeleistungen bis zu verstärkten Sicherheitsmaßnahmen in den NATO-Staaten selbst. Dazu gehört auch die Bereitschaft zur Verlegung von Seestreitkräften in das östliche Mittelmeer und der luftgestützten Frühwarnsysteme zur Unterstützung von Anti-Terrorismus-Operationen. Wie lange dieser Bündnisfall dauern soll - kein Wort. Auch die grüne Vizepräsidentin des Bundestages Antje Vollmer rügte, dass der NATO-Rat es versäumt habe, ein klares Ziel und eine so genannte »Exitstrategie« zu definieren. Für die PDS ist das Ganze eine abenteuerliche Konstruktion. Da sich der NATO-Vertrag ausdrücklich auf die UNO-Charta bezieht, könne der Bündnisfall nur dann erklärt werden, wenn ein Verteidigungsfall nach Art. 51 der UNO-Charta vorliegt, so Wolfgang Gehrcke. Individuelle oder kollektive Selbstverteidigung sei nur dann möglich und legitimiert, wenn sie sich gegen einen gegenwärtigen, noch andauernden bewaffneten Angriff wendet, betont der außenpolitische Sprecher der Fraktion. Ist die unmittelbare Gefahr abgewendet oder hat sich der UNO-Sicherheitsrat mit den erforderlichen Gegenmaßnahmen eingeschaltet, bestehe kein Recht mehr, die militärischen Maßnahmen fortzuführen. Und der Weltsicherheitsrat habe mit seinem Mandat für eine internationale Schutztruppe die Maßnahmen ergriffen, die das Selbstverteidigungsrecht aufheben. Eine Präventivverteidigung gegen mutmaßliche neue Angriffe schließlich ist aus PDS-Sicht völkerrechtlich nicht zulässig. Denn auch wenn die Wurzeln des Terrorismus noch nicht beseitigt seien und damit die Gefahr weiterer Anschläge bestehen möge - es spreche doch nichts mehr dafür, dass sie aus Afghanistan kommen könnten. Die demokratischen Sozialisten ziehen aus dieser Sachlage den Schluss, dass die NATO-Alliierten der »Enduring-Freedom-Forces« inzwischen ohne Legitimität sind und fordern das Ende des Bündnisfalls, der ohnehin als »politische Generalabstimmung zum gesamten Vorgehen der USA« gewertet wird und bisher zu keinem wirklichen NATO-Einsatz geführt habe. »Es ist schon ein Kuriosum, dass die USA mit sehr viel Druck und Hilfe des Generalsekretärs sowie anderer im NATO-Rat diesen Beschluss herbeigeführt, ihn dann aber gar nicht abgerufen, sondern lieber bilateral mit einzelnen Mitgliedstaaten Vereinbarungen getroffen haben. Selbst Washington denkt also gar nicht daran, die NATO als kollektives System an ihren Aktionen zu beteiligen«, sagt Gehrcke, Der PDS-Politiker stellt aber auch klar, dass dies alles nicht bedeute, die Verpflichtungen zur gegenseitigen Information und Hilfe bei der Terrorismus-Bekämpfung aufzukündigen. Die bestünden unabhängig von einem NATO-Beschluss für alle Staaten auf Grund zahlreicher Anti-Terrorismus-Konventionen und -Resolutionen der Vereinten Nationen. Aber niemand sonst im politischen Berlin will die im Rahmen von »Enduring Freedom« operierenden deutschen Truppenkontingente zurückholen, wegen eines künftigen Einsatzes in Afghanistan erneut den Bundestag befragen, ja nicht mal über das Problem debattieren. Schon gar nicht unmittelbar vor dem für den 22. Mai geplanten Besuch von USA-Präsident Bush. Da der Bündnisfall in der NATO-Geschichte zum ersten Mal ausgerufen wurde, »gibt es auch keinerlei Regeln, wie er aufgehoben werden kann. Das ist völkerrechtliches Neuland«, hebt Gehrcke zugleich hervor. So versucht man in Berlin, den Antrag auf die lange Bank zu schieben. Die PDS hofft, dass er trotzdem nach Ostern in den beiden April-Sitzungswochen behandelt wird. Wohl wissend, dass sie im Parlament keine Mehrheit finden wird. »Aber wenigstens eine Debatte über den Bündnisfall und die NATO wollen wir anstoßen«, erklärt Wolfgang Gehrcke.
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