»Wir haben schon gewählt«

In Schönberg protestieren Bürger gegen die Absetzung ihres LINKE-Bürgermeisters, der IM des MfS war

  • Claudia Emmerling
  • Lesedauer: 3 Min.
So viel Aufregung hatte Schönberg seit Jahren nicht mehr: volle Säle im Stadtparlament, Demos auf dem Marktplatz, Presserummel, ein offener Brief. Und das alles wegen eines einzigen Mannes: Michael Heinze, 53, Mitglied der LINKEN und ehrenamtlicher Bürgermeister der 4422-Einwohner-Stadt in Nordwest-Mecklenburg.
Bürgerprotest in Schönberg
Bürgerprotest in Schönberg

Die Frage bei dem Trubel ist, ob Michael Heinze überhaupt noch Bürgermeister ist oder nicht. Denn offiziell wurde Heinze vor anderthalb Wochen vom Stadtparlament abgesetzt. Der Grund: Heinze, der früher Kommandeur bei den Grenztruppen der DDR war, hat seine Stasi-Vergangenheit verschwiegen. Fast ein Jahr lang, von 1988 bis 1989, hat er unter dem Decknamen »Richard« Berichte an den Geheimdienst geliefert. Er sagt, das sei Teil seiner Arbeit gewesen. Ein öffentliches Thema wurde das kurz vor der Kommunalwahl am 7. Juni. Die Schönberger wählten ihn trotzdem zum zweiten Mal zu ihrem Oberhaupt, mit 72 Prozent.

Ob diese Wahl gültig war, wollte am Mittwoch Abend auch noch ein Wahlprüfungsausschuss beraten, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Ausschuss, der am Tage von Heinzes Abwahl eingesetzt worden ist, soll bewerten, ob die Voraussetzungen sowohl für die Wahl als auch für die Ernennung Heinzes erfüllt waren. Doch dieser Termin brachte keine Klarheit, der Ausschuss vertagte sich auf unabsehbare Zeit. Es müssten, so hieß es, weitere Unterlagen von der Birthler-Behörde angefordert und gesichtet werden.

Den Bürgern der ehemaligen Grenzstadt, in der vor der Wende mehr als die Hälfte der Bewohner bei den Grenztruppen arbeitete, ist das MfS-Detail in Heinzes Biografie egal. Sie wollen ihren Bürgermeister zurück. Er sei der einzige unter den Bürgermeistern der vergangenen Jahre, sagen sie, der sich wirklich um die Belange des Ortes kümmere. Deshalb demonstrierten sie bereits mehrfach auf dem Marktplatz, mit Sprechchören und mit Plakaten, auf denen stand: »Sachpolitik statt Hetzjagd« und »Wir haben schon gewählt«.

Jetzt haben einige Schönberger einen offenen Brief an die Stadtvertreter geschrieben: »Wir wenden uns in Sorge um unsere Stadt an Sie. Die Eskalation der Verunglimpfung der Bürger Schönbergs, von denen Sie gewählt wurden, hatte ihren vorläufigen Höhepunkt in der Bekanntmachung ..., hinter jeder Haustür in Schönberg sei die Stasi. Wir sind damit, um mit den Worten des geachteten Bürgerrechtlers Friedrich Schorlemmer zu sprechen, in der Sprache des kalten Krieges angekommen.«

Michael Heinze habe alle arglistig getäuscht, meint Helmut Preller. Der 58-jährige ehemalige Kunsterzieher ist vor vier Jahren aus Hamburg nach Schönberg gezogen und hat sich dort seitdem nicht sonderlich beliebt gemacht. Unter anderem, weil er jetzt gegen Heinze zu Felde zieht. Preller, Mitglied der Liberalen Wählergemeinschaft, sagt, der LINKE-Mann Heinze wisse immer ganz genau, was er tue und was er nicht tue. Damals, vor der Ernennung zum Bürgermeister, musste Heinze ein Formblatt unterschreiben und ankreuzen, ob er Stasi-IM war oder nicht. Das Formular hat Heinze zwar unterschrieben, aber nichts angekreuzt. Später soll er das Blatt aus seinen Akten entfernt haben.

Heinze räumt heute ein, dass das falsch war. Aber er sagt auch: »Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Außerdem habe ich schon 2005 gesagt, dass ich IM war. Damals hat das aber keinen interessiert.«

Warum? Weil es, so glauben viele Schönberger und so glaubt es Heinze, gar nicht so sehr um seine Person geht, sondern um etwas ganz anderes – um die Mehrheitsverhältnisse in der Stadt. Die haben sich mit der Wahl am 7. Juni verschoben – zugunsten der LINKEN. Bis dahin hatte ein Bündnis aus CDU, SPD und Liberaler Wählergemeinschaft die Mehrheit in der Stadtvertretung und konnte gegen die stärkte Fraktion, die der LINKEN, Beschlüsse fassen. Seit der jüngsten Wahl herrscht wegen des Stimmengewinns der LINKEN eine Patt-Situation. Und weil auch Bürgermeister Heinze wiedergewählt wurde, ist die LINKE nun noch stärker. »Das passt den anderen nicht, die können nicht akzeptieren, dass sie verloren haben und damit keine Mehrheit mehr«, sagt eine junge Frau. Das sehen auch Beobachter von außerhalb so. Die »Ostseezeitung« jedenfalls bescheinigte dem Versuch, den Bürgermeister mit Hilfe von Stasiakten zu stürzen, die »Eleganz einer Blutgrätsche«.

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