Gefährlicher Protest in Belene

Atomkraftgegnerin Albena Simeonova über ihren jahrzehntelangen Kampf in Bulgarien

  • Lesedauer: 7 Min.
Das umstrittene AKW Belene, welches mit Hilfe des RWE-Konzerns im Norden Bulgariens errichtet werden soll, steht offenbar vor dem Aus.
Gefährlicher Protest in Belene

ND: Ist es gefährlich, in Bulgarien gegen das geplante Kernkraftwerk Belene zu protestieren?
Simeonova: Ja, leider. Ich musste mich die letzten 20 Jahre die halbe Zeit von Bodyguards schützen lassen.

Blieb es bei Drohungen?
Man hat einmal versucht, mich zu überfahren. Auf mein Auto wurden Anschläge verübt, unter anderem die Radmuttern gelockert. Dass man versucht, mich zu schlagen, oder meine Kamera zerstört, kommt häufiger vor.

Wer macht so was?
Der Mann, der mich zu überfahren versuchte, hatte mit einer Sicherheitsfirma zu tun, die Bestechungsgelder dafür zahlte, in dem geplanten Kernkraftwerk die Bewachung zu übernehmen. Bulgarien ist laut Transparency International das korrupteste Land Europas, aus diesem Grund werden auch eine halbe Milliarde Entwicklungsgelder der EU derzeit nicht ausgezahlt. Wer hier einen Auftrag bekommen will oder staatliche Förderung, muss die Leute in der Verwaltung bezahlen – und zwar im Voraus. Viele Firmen haben bezahlt, für die Verwertung von Material aus der bestehenden Bauruine, für den Kraftwerksneubau, für die Bewachung. Diese Leute wollen ihre Investitionen retten und sind dabei nicht zimperlich.

Wer hat wohl am meisten geschmiert?
Es ist ein offenes Geheimnis, dass der russische Konzern Atomstroyexport, eine Tochter von Gazprom, hier vitale Interessen hat und dass hohe Bestechungssummen an Regierungsmitglieder und hohe Verwaltungsbeamte geflossen sind. Atomstroyexport will russische Atomtechnologie verkaufen und auch der Uranbrennstoff soll aus Russland kommen. Die treten hier sehr massiv auf. Vertreter von Atomstroyexport sind z. B. mit Maschinengewehren in die Stadtverwaltung von Svistov gekommen, um Landpreise auszuhandeln.

Sie werden auch ökonomisch unter Druck gesetzt …
Meine größte Sorge gilt der Gefahr, ökonomisch ruiniert zu werden. Man hat unter dem Vorwand von Steuerprüfungen meine Bankkonten für sechzig Tage eingefroren, so dass ich die Erntearbeiter nicht bezahlen konnte. Jemand, der der Provinzregierung nahe steht, bot plötzlich hohe Summen für Felder an, die ich bis dahin gepachtet und mühevoll auf Bioanbau umgestellt hatte. Er verseuchte sie eine Saison lang mit Pestiziden, um sie danach wieder aufzugeben. Ich verliere dadurch die Arbeit von drei bis vier Jahren, bis ich wieder eine Bio-Zertifizierung für diese Flächen erhalten kann.

Ist es gefährlich, in der Provinz Belene ein AKW zu bauen?
Der geplante Standort ist ein ausgewiesenes Erdbebengebiet. Es gibt zwei bis drei Beben pro Jahr und erst am 25. April wurde die Region von einem Beben der Stärke 5,3 erschüttert. Beim letzten großen Beben 1977 wurden in Svistov 120 Einwohner getötet und zwei Drittel der Häuser zerstört oder beschädigt. Die Stadt Zimnicea mit etwa 30 000 Einwohnern wurde komplett zerstört. Der Bau von Belene wurde vor dreißig Jahren begonnen, aber nach der Wende 1990 aufgrund von Gutachten wegen der Erdbebengefahr gestoppt.

Warum werden solch evidente Gefahren heute erneut ignoriert?
Bulgarien ist formell eine Demokratie, aber in vieler Hinsicht wieder ein Satellit Russlands mit engen Verflechtungen zwischen der hiesigen und der russischen Oligarchie. Die Regierung besteht aus den leiblichen Kindern der alten kommunistischen Funktionäre, zum Teil sind sie sogar in Russland aufgewachsen. Es geht hier um die Interessen der russischen Energiewirtschaft, die gleichzeitig das Rückgrat der Macht Putins ist.

Inwieweit betrifft das uns Deutsche?
Belene ist von Deutschland nicht weiter weg als Tschernobyl. Und die Sicherheit ist hier schon im Normalbetrieb nicht gewährleistet. In Bulgariens bestehendem Kernkraftwerk Kozloduj wurden zwar vier von sechs Reaktoren als Bedingung für den EU-Beitritt abgeschaltet, aber es kommt weiterhin regelmäßig zu ernsten Zwischenfällen. Einer der gefährlichsten Unfälle seit Tschernobyl fand am 1. März 2006 im Block 5 statt. Mehr als ein Drittel der Steuerungsstäbe klemmte in ihrer Halterung, so dass die Notabschaltung des Reaktors fehlschlug. Einen 1000-Megawatt-Reaktor ohne Notabschaltung zu betreiben, ist wie einen Zug mit 200 Stundenkilometern ohne Bremsen zu fahren. Die Behörden versuchten, diesen Unfall 50 Tage geheim zu halten. Als der Nuklearphysiker und ehemalige Chef der Atomaufsichtsbehörde, Gueorgui Kastchiev, den Unfall publik machte, hieß es: »Nichts passiert.«

Auch deutsche Unternehmen sind in Belene beteiligt.
Noch 2006 sollte das Kraftwerk von deutschen Großbanken finanziert werden, die sich dann aufgrund des Widerstandes von Antiatomkraftinitiativen zurückzogen. Jetzt ist RWE die letzte Hoffnung der bulgarischen Regierung, dass Belene doch noch gebaut wird. Auch diesmal protestieren deutsche Umweltorganisationen, aber auch Aufsichtsräte und Aktionärsvereinigungen. Es scheint, die entscheidende Schlacht um Belene wird in Deutschland geschlagen.

Nimmt der RWE-Konzern Ihre Bedenken ernst?
Im Vorstand wird Belene nicht hinterfragt. Aber die Erdbebengefahr, die eklatante Korruption mit den damit einhergehenden Qualitäts- und Sicherheitsproblemen, die Tatsache, dass es sich um einen völlig neuen russischen Kraftwerkstyp handelt, mit dem niemand Erfahrung hat, all das liegt offen auf der Hand. In den Gesprächen mit RWE schien es uns, dass dieses Kraftwerk Teil eines größeren Deals ist, der den Vorstand veranlasst, die Risiken bewusst in Kauf zu nehmen. Die Renditeerwartung selbst kann es nicht sein, auch wenn sich die bulgarische Regierung unüblicherweise verpflichtet hat, den Strom zehn Jahre lang zu einem Garantiepreis abzunehmen. Was ist die Garantie in einem Land wert, in dem EU-Fördermittel bis zu 90 Prozent einfach verschwinden?

Was könnte der Deal sein?
Wir wissen es nicht. Wir können nur vermuten, dass es um einen Deal mit Gazprom geht und das eigentliche Ziel Russland heißt.

Sie nahmen im April an der RWE-Hauptversammlung teil. Wie war Ihr Eindruck?
Man hat uns sehr unhöflich behandelt, ans Ende der Rednerliste gesetzt, die Redezeit gekürzt und unsere Fragen nicht beantwortet. Aber der Vorstand konnte das Thema Belene dennoch nicht aus der Hauptversammlung heraushalten, denn zu meiner Überraschung wurde es in etwa einem Drittel der Redebeiträge angesprochen – fast immer mit Sorge und Bedenken. Auch größere Aktionäre wie Union Investment (Fondsgesellschaft der Genossenschaftsbanken, d. Red.) sehen Belene anscheinend nicht als solide Investition an. Und die Oberbürgermeisterkandidaten der Städte Dortmund, Mühlheim und Essen, die nach der Kommunalwahl im Aufsichtsrat von RWE sitzen werden, waren über alle Parteien hinweg der Meinung, dass ein Kernkraftwerk nicht in ein Erdbebengebiet gehört.

Was bringt der Region Belene ein Kernkraftwerk?
Schon der Normalbetrieb würde erhebliche wirtschaftliche und ökologische Schäden anrichten. Belene ist eine der fruchtbarsten Agrarregionen Bulgariens. Gäbe es hier ein Kernkraftwerk, würde die Produkte keiner mehr kaufen. Auch in Kozloduj gibt es praktisch keine gewerbliche Landwirtschaft mehr.

Was wären die Folgen für die Umwelt?
Gerade in Belene gibt es viele seltene Tier- und Pflanzenarten, es ist ein Paradies für Ökotourismus. Schon eine Erwärmung des Donauwassers um nur ein Grad würde das Ökosystem unwiderruflich stören und viele Arten verschwinden lassen, der Tourismus käme zum Erliegen. Auch das kennen wir von Kozloduj.

Auch ein Zwischenlager ist geplant.
Die Entsorgungsfrage ist völlig ungeklärt. Man will die abgebrannten Brennstäbe nach Russland verschieben und den Rest hier lagern. Wir haben große Sorge wegen Lecks aus dem Betrieb und aus dem Zwischenlager. Das Grundwasser in der Donautiefebene und im Mündungsgebiet ist das Trinkwasserreservoir für den halben Balkan.

Braucht Bulgarien überhaupt mehr Energie?
Würden wir die Effizienz der Energieerzeugung und -verwendung verbessern, könnten wir auf das neue Kraftwerk verzichten und auf das bestehende in Kozloduj. Die Region Belene ist zudem ideal für die Erzeugung von Öko-Strom. Andere Konzerne haben das begriffen, E.on zum Beispiel hat hier in Windkraft investiert.

Sie kämpfen schon zwanzig Jahre gegen das Kernkraftwerk. Woher nehmen Sie die Kraft?
Manchmal bin ich müde und frustriert. Für eine Frau ist es hier doppelt schwierig. In Bulgarien ist man schon nicht gewöhnt, dass ich als Frau Landwirtschaft mit 600 Hektar betreibe und erst recht nicht, dass ich mich politisch engagiere. Ich stehe nicht alleine, aber wir werden auch angefeindet.

Vom wem?
Seit 1970 dieser Standort gewählt wurde, sind viele Menschen nach Belene gezogen in der Hoffnung auf Arbeitsplätze. Der Widerstand gegen das Kraftwerk kommt daher nicht aus der Stadt Belene, sondern vor allem aus den umliegenden Ortschaften. Dort stehen die Bürgermeister und Gemeinderäte unter Druck, weil ihnen Finanzzuteilungen von der Zentralregierung verweigert werden, wenn sie sich offen gegen das Kraftwerk aussprechen. Dann können sie ihre Straßen und öffentlichen Gebäude nicht reparieren. Trotzdem weitet sich der Widerstand immer mehr aus, denn Belene bedroht unsere Lebensgrundlage. Wir wollen nicht Geigerzähler aufstellen müssen, um zu entscheiden, ob unsere Kinder draußen spielen können.

Interview: Martin Fütterer

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