Kleist untief im Wasser

Deutsches Theater Berlin: »Prinz Friedrich von Homburg«

  • Christoph Funke
  • Lesedauer: 4 Min.
Kleist untief im Wasser

Sie sind alle Gefangene. In einem blutroten Raum mit schmalen Seitenfenstern und dem preußischen Adler an der gewölbten Rückwand. Nicht nur Prinz Friedrich von Homburg gibt sich einem Traum hin, auch der Kurfürst, die hohen Frauen und die Offiziere scheinen jeder Wirklichkeit entrückt. Im edlen Verlies mit dem unsicheren, wasserüberzogenen Boden suchen sie nach Festigkeit. Der nach außen hermetisch verschlossene Denkraum öffnet ihnen Wege nach innen, in das Verborgene ihrer Wünsche und Sehnsüchte. Jeder ist ganz auf sich selbst zurückgeworfen und doch in stetigem Kontakt mit den Anderen. Es muss ein Modell für Leben gefunden werden – oder doch nur für den nächsten Krieg?

Heinrich von Kleists letztes Stück am Deutschen Theater Berlin. Regie und Bühnenbild Andreas Kriegenburg. Ein Jüngling, selbstbewusst und naiv, ruhmbedürftig und verliebt, verletzt lachend, mit gebleckten Zähnen, ja höhnisch fast wider Disziplin und gegebene gesellschaftliche Ordnung. Ole Lagerpusch spielt den träumenden, jäh verliebten Prinzen anfangs in einer seltsam autistischen Manier, von völliger Versunkenheit hochfahrend in quirlige Bewegung, als ein Wesen außerhalb der Welt.

Nach diesem Beginn müsste die Disziplinierung kommen, das rücksichtslose Zurichten des psychisch Labilen für das Ganze, dessen Grundfesten er durch die Missachtung eines militärischen Befehls erschüttert hat. Aber so einfach macht es sich Kriegenburg nicht. Er gesteht den von Kostümbildnerin Andrea Schraad in festliches Rot gekleideten Männern und Frauen des kurfürstlichen Hofstaates weitgehende Gleichberechtigung zu. Denn in ihrer Individualität sind sie alle gefährdet – wo vor der Eigenmächtigkeit Homburgs disziplinierte Ruhe war und gesellschaftliche Fügungen nicht in Frage standen, herrscht nun Anarchie, der Gefühle, aber auch des Verhaltens. So nimmt der Regisseur Kleists Schauspiel aus den gewohnten Antinomien heraus. Nicht einer wird erzogen, alle stehen, um im Bühnenbild zu bleiben, mit den Füßen im Wasser.

Und so kann Jörg Pose einen Kurfürsten spielen, der staunend, nachdenklich, grübelnd, eher beobachtet als handelt. Dann aber auch plötzlich hasserfüllte Kraft gewinnt, die aus tiefer Verletzlichkeit kommt. Dieser Kurfürst ist eher ein Denker, ein Philosoph, der das Herrschenmüssen als Zwang empfindet und gedanklich zu ordnen versucht.

Aber: Wieder könnte das auf eine falsche Fährte führen. Kriegenburg hat das Schauspiel auf hundert Minuten zusammengestrichen, und er verzichtet auf mehr als die Hälfte der von Kleist ins Feld geführten Figuren. Er will nicht Harmonie, sondern eine gesellschaftliche Formation vorführen, die zu keiner wie auch immer gearteten Freiheit findet. Deshalb werden die Gesichter der Handelnden, wenn sie ins Licht treten, grau und denkmalhaft – durch eine besondere Schminke in steinernen Tönungen, die sich erst im Kontakt mit Wasser allmählich löst.

Überhaupt das Wasser. In ihm spielt sich die Schlacht ab, es dient zur Reinigung und zum Entladen psychischer Hochspannung. Der Regisseur lässt in der fußtiefen Nässe das streng Bemessene höfischen Verhaltens mit wirbelnden, spritzenden Schwüngen, mit Niederbrechen und Hochreißen, mit brutalen Würfen an die Wand außer Kraft geraten: Revolten im Gefängnis, die nur mühsam abgefangen werden können. Plötzlich wird dann aber auch, in inniger Umarmung oder verzweifeltem Anklammern, ein Mensch sichtbar, hinter Uniform und Festkleid.

Ole Lagerpusch gewinnt im Verlauf der Aufführung eine fast leuchtende Festigkeit. Sein Prinz wirft Licht auf die Anderen, die bereit sind, sich ihm zu unterwerfen. Bernd Stempel (Obrist Kottwiz) liefert in einer glühenden Verteidigungsrede für den Prinzen, die aus der Starrheit eines alten Kriegers mit ungebändigter Wucht hervorbricht, das Beispiel für diese Anziehungskraft. Judith Hofmann als Kurfürstin, Barbara Heynen als Prinzessin Natalie bleiben wie Johannes Schäfer als Hohenzollern im Gefüge der hohen Auseinandersetzung um Pflicht, Ehre, Gehorsam und Liebe eher Begleitende als Antreibende. In einer Liebesszene allerdings, die Homburg und Natalie geradezu aneinander schweißt, sind alle höfischen Konventionen vergessen.

Zum Schluss dann bricht doch preußischer Furor los. Der Prinz wird brutal an die Rampe geschleift, der Traum ist aus. »Zur Schlacht! Zum Sieg!« Lagerpusch zeigt Homburg nun als gedopte Kampfmaschine. War das Träumerische, Philosophische eine einzige Illusion?

Nächste Aufführung: 1. 10.

Kleist untief im Wasser
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